Bamberger Symphoniker, Ray Chen © Reinhard Deutsch
Jakub Hrůša dirigiert die herausragenden Bamberger Symphoniker. Ein begeisternder Abend.
Antonín Dvořák (1841-1904) – Heldenlied op. 111
Pjotr Tschaikowski (1840-1893) – Violinkonzert D-Dur op. 35
Bohuslav Martinů (1890-1959) – Sinfonie Nr. 5 H 310
Ray Chen, Violine
Bamberger Symphoniker
Jakub Hrůša, Dirigent
Kölner Philharmonie, 7. Februar 2025
von Brian Cooper, Bonn
Kinder, wie die Zeit vergeht. Nächstes Jahr schon wird Jakub Hrůša sein zehnjähriges Jubiläum als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker feiern. Und zu feiern gibt es viel. Natürlich war es schon immer ein großartiges Orchester, man denke an die – inzwischen leider aus der Orchesterbiographie im Programmheft getilgten – Namen Keilberth, Jochum, Stein und zuletzt Nott. (Letzterer bleibt mit einem beeindruckenden Mahler-Zyklus, beim Label Tudor eingespielt, in bester Erinnerung.) Aber schon jetzt reiht sich Hrůša in diese illustre Liste klangvoller Namen der Orchesterhistorie ein. Man wird von einer Ära sprechen.
Er ist ein sehr kultivierter Mann, der einen sehr kultivierten Klang pflegt, und das völlig unaufgeregt – nicht unbedingt mit sparsamen Gesten, das nicht, aber ohne jegliches Showgehabe. Zudem hat er, wie ich anlässlich seines Konzerts beim letztjährigen Beethovenfest in Bonn schrieb, „ein Händchen für das Repertoire aus seiner tschechischen Heimat“. So auch an diesem in jeder Hinsicht begeisternden Abend in Köln.
Hand aufs Herz: An welchen Komponisten denken Sie, wenn Sie „Opus 111“ hören? Oder „5. Sinfonie“? Eben. Genau das ist der Punkt. Jakub Hrůša, den Bambergern und einmal mehr der Westdeutschen Konzertdirektion kann nicht genug gedankt werden, dass sie den Mut beweisen, auch mal völlig Abseitiges, zu Unrecht Vernachlässigtes, aufs Programm zu setzen. Im Falle von op. 111 handelt es sich um Dvořáks Heldenlied; die 5. Sinfonie ist jene von Bohuslav Martinů, laut Hrůša – im lesenswerten Programmheft-Interview mit Stefan Schickhaus über das Programm des Abends – „der beste tschechische Komponist nach Dvořák. Und einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts“.
Vielleicht kennen Sie den berühmten Ausspruch, den Johannes Brahms mal über Antonín Dvořák tätigte: „Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle! Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben.“ Und auch das knapp 25minütige Heldenlied wartet mit einer Fülle melodischen Materials auf. Von Anbeginn erleben wir fantastischen Streicherklang, das so „böhmische“ Holz der Bamberger, das Blech aus einem Guss (an einer Horn-Stelle denkt man kurz an den Freischütz). Diese Musik ist, wie der Dirigent indirekt einräumt, vielleicht nicht Dvořáks bestes Werk, aber es ist sofort als Dvořák erkennbar und wurde an diesem Februarabend so toll dargeboten, dass man den „Wow!“-Seufzer nach dem letzten Ton nachvollziehen konnte, ebenso wie die Tatsache, dass sich einige Leute schon nach diesem ersten Stück beim Applaus für das Orchester erhoben.
Und wie hätte die Kritikerin der Lokalzeitung meiner Jugend über die Konzerte, die sie in der Provinz besprach, nun geschrieben? „Dann kam der Tschaikowski.“ Dann kam vor allem Ray Chen, dem es weder auf dem Weg zur Bühne noch in der Interaktion mit dem jubelnden Publikum an Selbstvertrauen zu mangeln scheint. Dieser Mann weiß, was er kann. Und er kann alles auf der Geige. Absolut souverän spielt er Tschaikowskis Violinkonzert, scheut sich nicht, hier und da mal auf Kosten einzelner Töne das Maximum an Emotion herauszuholen.
Die Bamberger bereiten ihm ein sattes Intro, seine allerersten Töne sind kratzig, und ab dem ungefähr zehnten Ton denkt man, ja, genau so soll es sein. Man fühlt sich an die Großen erinnert, in der Süße des Tons und in der Virtuosität an Itzhak Perlman, oder an Jascha Heifetz, dessen „Dolphin“-Stradivari Chen spielt. Wenn Du alles kannst, technisch, musikalisch, und Du hast SO ein Orchester hinter Dir (Chen spielt tatsächlich fast an der Bühnenrampe), dann kann es nur ein großer Abend werden. Satte Töne selbst in den höchsten Lagen.
Frenetischer Applaus schon nach dem ersten Satz, Standing Ovations vielleicht auch ob der sensationellen Kadenz, man wähnt sich bei einem dieser Paganini-Abende, wo die Frauen reihenweise in Ohnmacht fielen. Chen ist so etwas wie ein Popstar, für meinen Geschmack etwas zu showy, aber es klingt super, darauf kommt’s an. Und die jungen Leute kommen ins Konzert!
Während der Canzonetta, die trotz Zwischenapplaus die gebührende Ruhe auch im Publikum bekommt, schweift der Blick eines zweiten Geigers ins weite Rund der Philharmonie. Unbewusst mache ich das auch im Laufe des Satzes und denke: Schön, hier sein zu dürfen. Das Finale gerät kontrolliert explosiv, d.h. nicht zu schnell, dafür profitiert es vom phänomenalen Zusammenspiel zwischen Orchester und Solist. Hier wurde akribisch geprobt, und im Konzert konnte man die Gäule losjagen.
Leider verließen einige Menschen zur Pause den Saal. Ihnen entging ein aufregendes Werk, das ebenso wie das erste Stück des Abends – wie kann man das bloß herausfinden? – allenfalls eine Handvoll Male in der Kölner Philharmonie erklungen sein dürfte. Es ist eine ganz eigene Tonsprache, die Martinů hat, auch wenn man beim Hören an eine Vielzahl von Komponisten denkt – Schostakowitsch, Bruckner, ein wenig Copland vielleicht (Martinů war tatsächlich in Amerika), und im zweiten Satz bin ich schon bei Respighi und sogar Nino Rota, Der Pate II...
Herrlichste Soli im zweiten Satz, von Flöte, Trompete, Konzertmeister. Üppiger Klang im Fortissimo; im letzten Satz dominiert die Schönheit des Elegischen; der Beginn kommt aus tiefster Romantik und weist zugleich stark in die Zukunft.
Ja, das waren schon Entdeckungen an diesem Abend. Aufregend auch die Zugaben: Chen spielte den ersten Satz von Eugène Ysaÿes zweiter Solosonate; das Orchester bedankte sich mit einem packenden Tanz von Witold Lutosławski.
Die Bamberger haben Puls und Wärme, sie präsentierten uns ihr Herz auf dem Silbertablett. Es ist eines der besten Orchester in Europa, daran besteht kein Zweifel.
Dr. Brian Cooper, 8. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Christian Măcelaru, Ray Chen, WDR-Sinfonieorchester, Kölner Philharmonie, 17. Januar 2020