Wahnsinn, diese Barbara Hannigan!

Barbara Hannigan,  Elbphilharmonie, Hamburg

Foto: Dittus (c)
Elbphilharmonie, Hamburg, 11. Dezember 2017
Barbara Hannigan Sopran und Dirigentin
Ludwig
Orchester
Ingrid Geerlings
Flöte
Claude Debussy,
Syrinx für Flöte solo
Arnold Schönberg,
Verklärte Nacht op. 4 / Fassung für Streichorchester
Alban Berg,
Lulu-Suite / Symphonische Stücke aus der Oper »Lulu«
George Gershwin,
Suite aus »Girl Crazy«

von Sebastian Koik

Diese Barbara Hannigan!
Was für eine Frau!
Sie ist schön, stark und unfassbar talentiert – als Sängerin, Dirigentin und mehr.

Das Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie beginnt so richtig mit Arnold Schönbergs Verklärte Nacht op. 4 in einer Fassung für Streichorchester. Das Streicher-Kollektiv ist sofort voll da, vom ersten Ton an packt es die Zuhörer mit großer musikalischer Spannung und herrlicher dramatischer Ausgestaltung. Das ist ganz wunderbar!

Berühmt ist Barbara Hannigan für ihre einzigartige Stimme. Die Kanadierin erhielt zahlreiche renommierte Preise – unter anderem als Sängerin des Jahres 2013 der Zeitschrift Opernwelt und den Deutschen Theaterpreis 2015 für die beste Sängerdarstellerleistung im Musiktheater.

Doch diese unglaublich schöne Frau, die inzwischen überwiegend in Amsterdam lebt, ist ein Tausendsassa! Sie dirigiert auch. Das hat sie nicht studiert und sieht auch sehr, sehr unkonventionell, extravagant und wirklich einzigartig aus – doch es funktioniert! Diese Frau hat scheinbar Musik im Blut und das Ergebnis gibt ihr recht. Ohne Taktstock und mit energischen Bewegungen entsteht die Musik unter ihren Fingern, ihre Arme umfassen und durchwirken die Energie des Klangkörpers auf der Bühne.

Die erzeugte Musik beeindruckt, fesselt. Das Orchester berührt unter ihrer Leitung mit Zartheit und kann sich urplötzlich wieder in hochdramatische Steigerungen hineinwerfen. Musikalisch brennt die Luft im großen Rund der Elbphilharmonie.

Die Musiker brillieren mit ernsthafter Leichtigkeit und agiler Spritzigkeit. Es ist ein rundum starkes Stück! Die Musik strahlt Dringlichkeit aus. Die Neue Musik kann sich keine besseren Botschafter auswählen als Barbara Hannigan mit ihrem kraftvoll-leidenschaftlichen Dirigat, dass die Komposition durchdringt und das Orchester konstant auf höchstem Energie-Level und auf Spitzen-Niveau hält.

Die Konzertmeisterin Nadia Wijzenbeek glänzt im Violin-Solo und wird bei jedem Applaus herzlich von ihrer Dirigentin umarmt.

Die zweite Hälfte beginnt mit Alban Bergs Lulu-Suite / Symphonische Stücke aus der Oper »Lulu«. Jetzt kommen auch Holz- und Blechbläser, Schlagwerker und ein Pianist auf die Bühne. Auch hier spielt das Orchester mit herrlicher Schärfe, Biss, Spannung, Energie. Nach wie vor strahlt die Interpretation große Dringlichkeit aus.

Als Barbara Hannigan in der Mitte des Stückes zusätzlich zum Dirigieren mit dem Lied der Lulu auch noch zu singen anfängt, wird es erstmals an diesem Abend leicht wild. Das Orchester sieht die Dirigentin jetzt nur noch von hinten. Barbara Hannigan singt und dirigiert gleichzeitig ein wenig mit den Armen und ihrem Rücken. Das ist ein wenig unglücklich.

Ohne die volle Aufmerksamkeit von Barbara Hannigan spielt das Orchester hörbar schwächer, agiert nicht mehr so kompakt und knackig wie zuvor. Die Musik fällt leicht auseinander.

Auch in ihrem Gesang ist ein wenig unnatürlicher Stress zu hören. Für eine sehr kurze Zeit ist das Konzert suboptimal. In diesem Moment ist die Doppelrolle als Dirigentin und Solistin scheinbar zu viel gewollt und wirkt etwas unglücklich.

Als Barbara Hannigan sich wieder dem Orchester zuwendet, bleibt die durch die Doppelrolle hineingetragene Unruhe noch eine kleine Weile in der Musik hörbar. Doch sehr schnell ist das Orchester unter der vollen Aufmerksamkeit von Frau Hannigan wieder voll da und brilliert, spielt mit Spannung und Kraft groß auf und reißt die Zuhörer mit.

Bei ihrem nächsten Gesangseinsatz singt Barbara Hannigan dem Orchester zugewandt und dirigiert normal weiter. Das funktioniert! Orchester und Sängerin musizieren wundervoll! Als das Stück verklingt, bleibt Energie in den Köpfen und Körpern des Publikums.

Als letztes Stück eines beeindruckenden Konzertes erklingt George Gershwins Suite aus »Girl Crazy«. Barbara Hannigan zeigt sich hier als musikalischer Wirbelwind. Ihr Gesang ist unglaublich schön und erzeugt Gänsehaut. Ihre Stimme ist unglaublich dicht, mit herrlich funkelnden Höhen. Sie entzückt in den spielerisch-frivolen Passagen, mit luftiger Ätherik bei totaler Präsenz und mit edelstem kühlen Soul. Sie singt mit wahnsinnig viel Charakter und Persönlichkeit in der Stimme, mit grenzenlosem Charme und präsentiert in diesem Stück eine starke Frau wie sie selbst es ist. Ihre unfassbare Souveränität überwältigt. Schwierigstes singt sie mit einer übernatürlich wirkenden Leichtigkeit. Barbara Hannigan ist definitiv eine der beeindruckendsten Sängerinnen dieses Planeten!

Und gleichzeitig dirgiert sie das Orchester zu gnadenlos guter Performance an. Das Orchester brilliert in jedem Moment. Wahnsinn, diese Frau Hannigan! Das ist unfassbar stark.

Irgendwann dürfen auch die Instrumentalisten alle mitsingen und machen auch das richtig gut! Die Musikalität aller Beteiligten sprüht Funken und bringt den großen Saal zum Swingen.

Das Publikum jubelt laut und lange. Eine Zugabe gibt es nicht. Der Gershwin-Jazz war aber auch ein zu schöner Konzert-Abschluss. Ein Pärchen tanzt auch lange nach Ende noch im Gang auf den Rängen des Saals. Was für ein schöner Abend! Diese Barbara Hannigan ist ein Ereignis!

Sebastian Koik, 12. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de

Foto: Claudia Höhne

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