In Monteverdis Orfeo fühlt man sich abermals wie in einem düsteren Thriller

Bayreuth Baroque Opera Festival, Claudio Monteverdi: L’Orfeo  Bayreuth, 13. September 2023

Baroque Orfeo, Villazón © Clemens-Manser

Das Bayreuth Baroque Opera Festival zeigte die Neuproduktion als Deutschlandpremiere


Bayreuth, 13. September 2023

von Kirsten Liese

Max Emanuel Cenčić ist mit seinem Bayreuth Baroque Opera Festival innerhalb von wenigen Jahren etwas gelungen, was nur wenige schaffen: Trotz Start in schwierigen Corona-Zeiten fand er mit seinem ansprechenden Barockopernproduktionen auf Anhieb viel Zuspruch, stets ist das herrliche Markgräfliche Opernhaus trotz zahlreicher schlechter Plätze mit Sichteinschränkungen rappelvoll. Und das nun an einem Ort, der eigentlich in der Musikwelt stärker mit Richard Wagner assoziiert wird als mit Barockopern von teils weniger bekannten Meistern wie Nicola Porpora oder Leonardo Vinci.

Die große Resonanz hat den ambitionierten Festivalleiter dazu bewogen, in diesem Jahr erstmals zwei Opern szenisch auf die Bühne zu bringen. Neben Händels Flavio, den ich noch vor mir habe, galt es in Deutschlandpremiere Claudio Monteverdis Orfeo in einer ungewöhnlichen Neuinterpretation zu erleben.

Die kurze persönliche Einführung, die mir Cenčić wenige Stunden vor der Aufführung auf den Weg gibt, klingt durchaus spannend: Das Libretto zu Monteverdis „Favola in Musica“, enthält analog zum antiken Mythos  die schaurige Episode, in der Orpheus auf seiner Reise in die Unterwelt von den Mänaden zerrissen und getötet wird. Die Musik dazu ist verschollen. Vermutlich wurde das lieto fine, also das glückliche Ende, von dem Komponisten dahinter gesetzt, weil das Stück erstmals zu einer Hochzeit gespielt werden sollte. Welche ursprüngliche Gestalt diese erste Oper der Musikgeschichte also anno 1607 tatsächlich einmal hatte und wie sie unter dem Einsatz welcher Instrumente geklungen haben wird, lässt sich nicht genau rekonstruieren.

Baroque Orfeo, Villazón © Clemens-Manser

Das war freilich auch Nikolaus Harnoncourt, dem Pionier auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis, bekannt, als er 1980 in einer unvergessenen, legendären Einstudierung mit dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle den Orfeo in Zürich herausbrachte, dabei ganz und gar konzentriert auf alles an Musik, was von Monteverdi hinterlassen wurde, also mit Happy End – für mich bis heute die beste Interpretation. So hielten es fortan auch alle weiteren Barockexperten, die das Musikdrama einstudierten.

Das griechische Team um den Dirigenten Markellos Chryssicos und den Regisseur Thanos Papakonstantinou hat nun eine radikale Neuinterpretation unternommen, die  das tragische Ende aufgreift, zu dem keine Musik des Urhebers überliefert ist.

Baroque Orfeo, Villazón © Clemens-Manser

Regisseur und Dirigent wollten sich dabei offenbar nicht mit einer rein schauspielerischen Darstellung ohne Musik zufrieden geben, sondern die Leerstelle füllen. Ein solches Vorhaben erweist sich jedoch – ganz gleich um welchen Komponisten es sich handelt – immer als heikel. Keine vervollständigte Fassung von Bruckners Neunter hat sich jemals durchgesetzt, von Mahlers Zehnter ebenso wenig.

Und nicht einfacher wird es mit Monteverdi, auch wenn im 17. und 18. Jahrhundert grundsätzlich vielmehr improvisiert wurde.

Im Kino hätte das Experiment vielleicht besser aufgehen können. Die Idee des Regisseurs, die tragische Geschichte von Orpheus fast surreal wie eine Rückblende aus lang zurückliegender Vergangenheit aufzuzäumen, erscheint durchaus spannend.

Allein schon der Prolog mit einer süffisant grinsenden Frau, die auf einen schallen lachenden Transvestiten trifft und kurz darauf aus einem undefinierbaren Kästchen die ersten pompös-majestätischen Klänge der Oper im klanglichen Gewand einer leisen Spieluhr hervorzaubert, mutet unheimlich an wie Szenen aus einem Mystery-Thrillern von David Lynch oder Roman Polanski.

Aber nun sitzen wir nicht im Kino, sondern in der Oper. Und da sollte vor allem die musikalische Gestaltung überzeugen. Der Versuch, Monteverdi mit Live-Elektronik zu kombinieren (Zusatzmusik: Panos Iliopoulos), erweist sich als unvorteilhaft. Zwar mag es den Horror unterstreichen, wenn zum Auftritt des Caronte hoch zu Ross, dem Fährmann in der Unterwelt (profunder Bass: Marios Sarantidis), düstere Cluster ins Spiel kommen, aber zwingend erscheint das ganz und gar nicht, tönen doch Regale, Zinken und Krummhörner, die die meisten Barockorchester in dieser Szene als Instrumente des Hades einsetzen, nicht weniger gespenstisch.

Baroque Orfeo, Villazón © Clemens-Manser

Kurzum: Die elektronischen Dreingaben geraten zum Störfaktor.  Weshalb sogar unfreiwillig bei so manchem Zuschauer der Eindruck entstanden sein mag, hier habe wieder einmal jemand ein Werk mutwillig zerstören wollen.

Gesungen und musiziert wird immerhin respektabel. Über weite Strecken ist es fast eine One-Man-Show, zugeschnitten auf Rolando Villazón, der nach Strecken stimmlicher Krisen wieder singen kann, aber sehr genau darauf achten muss, was für ihn mit Einschränkungen in der Höhe machbar ist.

Orpheus liegt ihm besser als im vergangenen Herbst der Loge in Wagners Ring an der Berliner Staatsoper. Weitgehend in der Mittellage bewegen sich seine monodischen Gesänge, die er ausdrucksreich und voller Kraft mit Leben füllt. Myrsini Margariti lässt als Euridice einen strahlklaren schönen Sopran hören. Sophia Patsi gibt eine furchteinflößende Messaggiera.

Markellos Chryssicos und sein Ensemble Latinitas Nostra gefallen am besten in den Strecken, in denen Monteverdi ohne Zusatzmusiken ertönt,  all die schönen filigranen Instrumente wie Cembalo, Theorben, Blockflöten und Posaunen einmal nicht von zeitgenössischen Clustern überlagert werden.

Baroque Orfeo, Villazón © Clemens-Manser

Am Ende, wenn alles auf der Bühne vor einem Zerrspiegel unwirklich erscheint und weiß gewandete weibliche Gestalten sich des Orpheus als Psychopathinnen nähern, enthaupten und dazu irre Laute von sich geben, fühlt man sich abermals wie in einem düsteren Thriller.

Dem Publikum geht das deutlich zu weit. Es geht am Ende hoch her zwischen Bravo- und Buhrufen, wie ich es an diesem Ort noch nicht erlebt habe. Jede Fraktion will die andere noch übertönen, was für ein Spektakel!

Ein interessanter Abend war es in jedem Fall, einer, der anregt darüber nachzudenken, wie man diesem geschichtsträchtigen Werk am besten gerecht wird.

Kirsten Liese, 15. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Claudio Monteverdi: L’Orfeo

Musikalische Leitung: Markellos Chryssicos
Regie: Thanos Papakonstantinou
Bühne und Kostüme: Niki Psyhogiou

Orfeo: Rolando Villazón
Euridice: Myrsini Margariti
Musica: Theodora Baka
Messaggiera: Sophia Patsi
Caronte: Marios Sarantidis
Proserpina: Maria Palaska
Pastore: Yannis Filias u.a.
Ensemble Latinitas Nostra

Bayreuth Baroque Opera Festival, Bruno de Sá Bayreuth, Ordenskirche St. Georgen, 14. September 2023

Festivals Bayreuth Baroque, Händel, „Flavio, Re de’ Longobardi“ klassik-begeistert.de, 13. September 2023

Ton Koopman, Amsterdam Baroque Orchestra, Elisabeth Breuer, Maarten Engeltjes, Tilman Lichdi, William Knight, Klaus Mertens, Andreas Wolf, Schleswig-Holstein Musik Festival, 19. Juli 2019

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