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Hamburgische Staatsoper, 1. November 2018
„Beethoven-Projekt“, Ballett von John Neumeier
Musik: Ludwig van Beethoven
Choreografie, Licht und Kostüme: John Neumeier
Bühnenbild: Heinrich Tröger
Michal Bialk, Klavier
Joanna Kamenarska, Violine
Sebastian Deutscher, Violine
Matthias Schnorbusch, Viola
Thomas Tyllack, Violoncello
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Simon Hewett, Musikalische Leitung
von Leonie Bünsch
Es gibt viele Arten, sich mit Ludwig van Beethoven auseinanderzusetzen: historisch, biographisch, musikalisch… John Neumeier tut es durch den Tanz. Dabei choreographierte er in seinem „Beethoven-Projekt“ kein Handlungsballett, vielmehr ist es ein sinfonisches Ballett, bei dem es darum geht, die Emotionen, die man beim Hören von Beethovens Musik empfindet, in Tanz auszudrücken. „Mein ursprüngliches, mein hauptsächliches Vorhaben bestand und besteht darin, zu seiner Musik zu tanzen“, sagt John Neumeier und nennt sein Ballett „Visuelle Tanz-Dichtung“.
Aus der Fülle an Werken Beethovens hat Neumeier durch seine Auswahl einen schönen musikalischen Rahmen geschaffen. Beginnen tut das Ballett mit den „Eroica-Variationen“ mit Michal Bialk am Flügel. Bialk wird auf der Bühne wenig Beachtung geschenkt, gilt das Augenmerk doch dem Beethoven-Darsteller Aleix Martínez, der sich an den Flügel schmiegt, als wäre der Künstler eins mit seinem Instrument.
Bialk spielt jedoch hinreißend und fügt sich wunderbar in das Bühnengeschehen ein. Von hammerharten Anschlägen über rasante Pizzicati bis hin zu butterweichen Legato-Linien, in denen sich jeder Ton entfalten kann – eine bunte Klangfarbpalette bietet er an.
Die Variationen stellen Figuren, Fantasien und Ängste aus Beethovens Welt dar. So zum Beispiel, wenn der Protagonist seine Geliebte einen anderen heiraten sieht und sich vor Schmerz in den geöffneten Flügel legt. So findet der Künstler Trost in seiner eigenen Musik.
Je verspielter die Variation, desto verspielter die Szenerie. Die Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Ballett sind wie üblich in Topform und begeistern durch Präzision, Anmut und Ausstrahlung. Die ausdrucksstarke Stimmung aus den „Eroica-Variationen“ verlängert Neumeier durch den mystischen 2. Satz des Klaviertrios D-Dur op. 70, des sogenannten „Geistertrios“. Nun haben sich Joanna Kamenarska mit der Geige und Thomas Tyllack mit dem Cello zu Bialk auf die Bühne gesellt. Gerade der Anfang des Trios ist äußerst bewegend. Ganz, ganz leise, mit rauem Beiklang und minimalem Vibrato spielen sie die ersten Töne und schaffen sogleich eine viel intimere Szenerie.
Auf das Klaviertrio folgt der 2. Satz aus der Klaviersonate D-Dur op. 10. Hier nun mischen sich die Klänge Bialks mit denen einer Aufnahme, letztere angereicht durch Störgeräusche. Und plötzlich wird man aus diesem Ruhepol gerissen, man merkt: irgendwas ist nicht echt. Und tatsächlich: aus dem Nichts ertönt ein Donnerschlag, alle Kulissen verschwinden und Martínez steht verlassen auf der Bühne und weiß nicht, wie ihm geschieht. Doch nun kommt Leben ins Bühnengeschehen. Das Philharmonische Staatsorchester ist mittlerweile im Orchestergraben eingezogen und beginnt zu stimmen. Tänzer in antiken Kostümen kommen auf die Bühne und umringen Martínez, reichen ihm Requisiten in die Hand. Während sich im Hintergrund noch Tänzer dehnen, kommt Patricia Friza auf die Bühne, die vorher noch so anmutig und charakterstark tanzte, und gibt eine kurze programmatische Einführung in die „Geschöpfe des Prometheus“. Es scheint als wären wir hier bei einer offenen Probe. Nein, es ist vielmehr ein Stück im Stück, bei dem man nicht mehr weiß, ob es ein Traum ist oder nicht. Martínez ist nun Prometheus, der Komponist Beethoven wird also mit seiner eigenen Titelfigur eins.
Die Musik ist lebhaft, fast überschwänglich. Dadurch bildet sie ein wunderbares Gegengewicht zu dem eher schwermütigeren ersten Teil. Gleichzeitig stellt sie den Aufbruch zum noch Kommenden dar. Denn nach der Pause geht es weiter mit der „Eroica“ – und so wird musikalisch fast alles verbunden. Das prägnanteste Thema im Finale der „Eroica“ verarbeitete Beethoven bereits in den „Eroica-Variationen“ sowie der Ballettmusik „Geschöpfe des Prometheus“. So schafft Neumeier durch die Musikauswahl einen perfekten roten Faden, der auch dramaturgisch absolut Sinn ergibt. Von dem ruhigen Einstieg, der einen wirklich ergriffen macht über die fast lustigen „Prometheus“-Auszüge bis hin zu Beethovens 3. Sinfonie, die alles an Stimmungen und Energien vereint.
Der erste Satz ist wild und energetisch. Die Musik scheint sich unmittelbar auf den Tanz zu übertragen. Der zweite Satz hingegen fesselt durch die düstere Intensität. Der Pas-de-Deux von Anna Laudere und Edvin Revazov ist einfach fantastisch! Die Bewegungen so geschmeidig, als sei jedes Gelenk eingeölt und in jede Richtung biegsam. So ausdrucksstark und kraftvoll tanzen die beiden, dass es einem schier den Atem verschlägt. Und das trotzdem mit einer Ruhe, welche die Spannung noch größer werden lässt. Großartig!
Das energetische Scherzo geht unmittelbar in das Finale über, in dem nun Freude vorherrscht. Und während das Orchester unter der Leitung von Simon Hewett eher etwas lieblos musiziert, transportiert das Ensemble des Hamburg Ballett samt den Solisten wie üblich alles an Emotionen, was es zu bieten hat. Toll, wie sie die Energie in der Musik Beethovens mit ihrer ganzen Gefühlsbandbreite zum Ausdruck bringen! Sie hinterlassen ein eindrucksvolles Bild, das tief bewegt und schwer begeistert.
Leonie Bünsch, 2. November 2018, für
klassik-begeistert.de