Garsington Opera/Midsummer © Craig Fuller
Wer, wenn nicht die Engländer bringen überzeugend, köstlich, humorvoll und mit spritziger Originalität die Kombination von Shakespeare und Britten auf ihre Opernbühne?
So geschehen an den bukolischen Garsington Opernfestspielen mit Benjamin Brittens „A Midsummer Night’s Dream“ (Opus 64), uraufgeführt am 11. Juni 1960 im englischen Aldenburgh Festival unter dem Dirigat des Komponisten. Humorvoll inszeniert und perfekt die Möglichkeiten des Hauses ausnützend. Das Philharmonia Orchestra unter Douglas Boyd tadellos wie immer; gesanglich allerdings nicht in allen Rollen vollständig überzeugend.
Benjamin Britten, A Midsummer Night’s Dream
Garsington Opera, 27. Juni 2024
Dirigent: Douglas Boyd
Regie: Netia Jones
Choreographie: Rebecca Meltzer
Philharmonia Orchestra
Garsington Opera Youth Company
Koproduktion mit der Santa Fe Opera
von Dr. Charles E. Ritterband
Die Glissandi der Streicher des ausgezeichneten Philharmonia Orchestras unter der souveränen Stabführung von Douglas Boyd tauchen das Publikum direkt in die überirdisch klingende Sphärenmusik, mit der Britten die so unterschiedlichen Sphären dieses wunderbaren Stückes hörbar macht:
Die Sphäre der Feen und Waldgeister, die Ebene der ungeschickt und mit ihren Konflikten und erotischen Antrieben durch den Wald stolpernden und sich dort verirrenden jugendlichen Paare, schließlich das Ambiente des fürstlichen Palastes, wo Theseus und Hippolyta das Fest ihrer Eheschließung mit der umwerfend komisch-amateurhaften Theatervorstellung der Handwerker (Mechanicals) begehen. Hier wird die Musik Brittens mit einem Schlag ganz anders – irdisch eben: da gibt es witzige Zitate und Anspielungen auf barocke Komponisten und dann sogar Jazz.
Die in Schwarzweiß gehaltene Bühne ist meisterhaft gestaltet: Aus vorerst fast unsichtbaren Kanaldeckeln am Bühnenboden erheben sich und steigen die schwarzgekleideten Feen (dargestellt und kraftvoll-melodiös gesungen von munteren Kindern), die Hinterwand der Bühne wurde entfernt, sodass der Bühnenraum direkt und übergangslos in die Natur als reale Kulisse übergeht – die Natur, welche dieses fantastische Garsington umgibt und beherrscht und dank dem funktionalen Bau des Zuschauerraums mit seinen durchsichtigen Wänden aus Plastikplanen während allen Vorstellungen stets präsent bleibt.
Garsington ist der ideale Aufführungsort für dieses Stück, in dem die Natur und die Naturgeister eine derart dominante Rolle spielen.
Auf der Bühne gibt es nur einen großen Baum, der den Wald repräsentiert und in den sich nicht ganz plausibel aber zugegebenermaßen originell ein Konzertflügel verheddert hat, und in dem Puck – die einzige Sprechrolle übrigens – herumturnt. Auch zu sehen gibt es eine Armillarsphäre und im Hintergrund sind Teleskope aufgestellt – vielleicht deshalb, weil der Mond in diesem Stück (personifiziert dargestellt von einem der Handwerker) so oft vorkommt. „Lunatic“ bedeutet im Englischen „Verrückter“ und Shakespeare vergleicht im „Midsummer Night’s Dream“ unverblümt Liebende und Verrückte: „Lovers and madmen have such seething brains, Such shaping fantasies… The lunatic, the lover and the poet Are of imagination all compact…“
Den amüsanten Höhepunkt bilden natürlich auch in dieser Produktion die köstlich kostümierten Handwerker, die sich vorgenommen hatten, die simplistische Tragödie von Pyramus und Thisbe zur Aufführung zu bringen.
Schwarzweiß dominiert auf der Bühne und auch in den Kostümen – abgesehen vom Puck in gelbgrüner Leuchtfarbe und den Farbakzenten der Gewänder der schauspielernden Handwerker, die sich nicht an die Kleidungsvorschriften am Hof des Theseus zu halten haben… Dass sich Oberon einen Wolfskopf aufzusetzen hatte war ziemlich unsinnig – denn er nahm damit den zentralen Gag des Eselskopfes von Bottom vorweg und stahl im gewissermaßen die Pointe…
Stimmlich herausragend, leuchtend und stimmstark mit Sicherheit in den hier geforderten hohen Stimmlangen, die Tytania der englischen Sopranistin Lucy Crowe – weniger überzeugend ihr Gatte, der Oberon des ebenfalls englischen Countertenors Iestyn Davies, der sich in dieser Rolle weder darstellerisch noch stimmlich wirklich durchzusetzen vermochte. Die Besetzung des Oberon mit einem Countertenor war damals, im Jahr 1960, bei der Uraufführung dieser Oper, eine Neuheit und damit ein Wagnis.
Britten war ein großer Bewunderer Mozarts – ob er wohl an die Parallelen des „Midsummer Night’s Dream“ mit zwei der wichtigsten Mozart-Opern gedacht hat: Auch in der „Così“ geht es ja um die Vertauschung der Partner in den beiden Paarbeziehungen und im letzten Akt der (hier in Garsington am folgenden Tag zur Aufführung gelangten!) „Nozze“ ist es zwar nicht ein wilder Wald, in dem sich die Paare verirren, sondern der Schlosspark, in dem es im Dunkeln zur verhängnisvollen Verwechslung zwischen Gräfin und Susanna kommt.
Sowohl Freud als auch Jung liebten „A Midsummer Night’s Dream“, dieses großartige, inspirierende und poetische Stück Shakespeares – die beiden Pioniere der Tiefenpsychologie bzw. Psychoanalyse hatten zweifellos die symbolische Bedeutung des Waldes im Stück Shakespeares erkannt und als Sphäre des Unbewussten identifiziert.
In dieser sehr lebendigen Inszenierung (Netia Jones) kommt allerdings die Poesie des Stückes eher zu kurz. Mitreißend jedoch der Enthusiasmus der Darsteller und Darstellerinnen, vor allem der in diesem Stück so wichtigen Feenkinder.
Dr. Charles E. Ritterband, 27. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Puck: Jerone Marsh-Reid
Oberon: Iestyn Davies
Tytania: Lucy Crowe
Lysander: Caspar Singh
Hermia: Stephanie Wake-Edwards
Demetrius: James Newby
Helena: Camilla Harris
Quince, Schreiner: John Savournin
Snug, Tischler: Frazer Scott
Starveling, Schneider: Geoffrey Dolton
Flute, Blasbalg-Flicker: James Way
Snout, Kesselflicker: Adam Sullivan
Botton, Weber: Richard Burkhard
Theseus, Fürst von Athen: Nicholas Crawley
Hippolyta, Königin der Amazonen: Christine Rice
Jean-Philippe Rameau, Platée Garsington Opera, 22. Juni 2024
DVD-Rezension: Benjamin Britten, A Midsummer Night’s Dream klassik-begeistert.de, 31. August 2023
Benjamin Britten, A Midsummer Night´s Dream, Wiener Staatsoper, 17. Oktober 2019