Premiere, Oper Halle, 18. September 2021
Benjamin Britten, Ein Sommernachtstraum
v.l. Sergiy Mishchurenko, Leandro Marziotte, Vanessa Waldhart, Ki-Hyun Park © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Federico Pedrotti
von Guido Müller
Ein Theaterfest der feinsten Art und eine prächtige Ensembleoper bietet uns der britische Regisseur Walter Sutcliffe mit seinem Team an der Oper Halle zu Beginn seiner neuen Intendanz. Er feiert damit das Musiktheater und zugleich das Publikum.
Und es gelingt dem Britten-Fan Sutcliffe und seinen Mitstreitern virtuos mit (fast) allen Mitteln des Theaters zu zeigen, wie das Publikum mit seiner Fantasie die Aufführung mit erschafft. Er entfesselt den Zauber einer Theaternacht in den quasi „chemischen Reaktionen“ (Sutcliffe im Programmheft) zwischen Bühne und Zuschauern auf magische Weise.
Ganz besonders gilt das für den dritten Akt, in dem auch Brittens kompositorische Meisterschaft für ein Kammerorchester und menschliche Stimmen ihre ganze Kraft entfaltet, besonders in den drei Szenen des Erwachens der Elfenkönigin Tytania, der vier aristokratischen Liebenden und des Handwerkers Zettel wie in dem von den Handwerkern aufgeführten tragischen Spaß voller Zitate und Anspielungen auf die Operngeschichte.
Das schöpft nicht nur bei Britten aus der Tradition, ohne ein Rückschritt zu sein. Sondern das gilt genauso für die Inszenierung. Sutcliffe ist dabei die „kreative Mitarbeit des Publikums“ (ebd.) von zentraler Bedeutung. Und er wirbt offen und unverhohlen um das Publikum. So sagt er im Gespräch mit dem Chefdramaturgen Boris Kehrmann – der ein sehr informatives Programmheft gestaltet hat und die Übertitel der deutsch gesungenen Oper – zum Schluss – und da kann ich nur voll zustimmen: „Ich fühle mich mit dieser Besetzung wirklich wie auf einem Festival. Hoffentlich sieht die Stadt, was wir hier machen.“
Zu Beginn der Oper sehen wir am rechten Bühnenrand einen Zuschauer im grauen Mantel in einem Opernsessel, wie er auf den Beginn der Oper wartet. Mit der Ouvertüre öffnet er den roten Theatervorhang zum Spiel auf der Bühne und wird dann auch bald als Akteur mit in die Aufführung gezogen.
Später erst erfahren wir, dass es sich bei diesem Zuschauer um den Herzog Theseus von Athen handelt, vor dem und vor seiner Braut Hippolyta, der Königin der Amazonen (Gabriella Guiffoil schön gesungen), im dritten Akt zu ihrer Hochzeitsfeier die Handwerker ein Theaterstück vorführen werden.
Ki-Hyun Park stellt den Herzog und Jeder-Mann als Vertreter von uns mit starker körperlicher, mimischer und stimmlicher Präsenz und Aura dar, auch mit augenzwinkerndem Humor, – bis hin zum Pas-de-deux mit dem grandios tanzenden Sergiy Mishchurenko. Dieser großartig charismatische und technisch perfekte Tänzer stellt den Hofnarren des Elfenkönigs Oberon und den trickreichen Puck als sprechenden Akrobaten (so die Rollenbeschreibung bei Britten) in virtuosester Weise dar (Choreographie David Laera). In der Inzenierung tritt Puck auch als dunkler Schatten sowohl von Oberon wie von Theseus und somit von uns allen für das Unterbewusste auf.
Puck dient dem König der Elfen, Oberon, der sehr fein, zart und wunderbar schön ästhetisch gerade auch in der hohen Lage gesungen wird von dem Countertenor Leandro Marziotte – immer ein gern gesehener Gast an der Oper Halle.
Seine Gattin Tytania, mit der er im Streit um einen Edelknaben und um ihre Aufmerksamkeit entbrannt ist und damit zusammen mit Puck alle möglichen erotischen Verwicklungen im Laufe des nächtlichen Spiels auslöst, um sie zurück zu gewinnen, wird von der Koloratursopranistin Vanessa Waldhart mit spielerisch leichter und virtuoser Höhe gesungen.
Vanessa Waldhart vermag uns von der starken weiblichen Ausstrahlung der Elfenkönigin ebenso zu überzeugen wie der ambigue Herrscher Oberon über das Reich der Feen auf uns anziehend wirkt, indem er uns über seine männliche Identität im Zweifel lässt. 1960 war ein Countertenor in der Oper noch eine wahre und provokante Sensation. Damals sangen diese hohen Männerstimmen eigentlich in England nur sakrale Musik und keine Anstifter zu sexueller Verwirrung.
Die Begleitung Tytanias durch vier Solo-Elfen und den Kinder- und Jugendchor der Oper Halle (Leitung Bartholomew Berzonsky / Peter Schedding) bezaubert durch ihre stimmliche Ausstrahlung.
Als Spiel im Spiel und Spiegel der angekratzten Liebesbeziehungen der beiden hohen fürstlichen Paare Theseus-Hippolyta und Oberon-Tytania fungiert das Liebesgeplänkel und der durch einen von Puck verabreichte Liebestrank verursachte Partnertausch des schließlich nur noch von sexueller Begierde angetriebene Quartett auch der zwei aristokratischen Paare Helena (sehr schön lyrisch gesungen von Linda van Coppenhagen) und Demetrius (der im Gesang und Spiel ansprechende Bariton Andreas Beinhauer) wie Hermia (die mit wunderschöner samtiger Mezzosopranstimme gestaltende Yulia Sokolik) und Lysander (der packend präsente lyrische Tenor Chulhyun Kim).
Und im Zentrum der drei Akte stehen die sich in die Herzen der Zuschauer spielenden und im Gesang und Spiel sehr gut harmonierenden sechs Handwerker, die stellvertretend für uns auch mitten unter im Parkett auftauchen. Sie sind sozusagen das perfekte Männer-Ensemble im Ensemble dieses architektonisch perfekt und liebevoll konstruierten musiktheatralischen Meisterwerks von Benjamin Britten, der damit auf Shakespeare fussend auch sein Talent für humanistisch vertiefte Komik, Parodie und Satire zeigt.
Michael Zehe ist als Zimmermann Squenz Chef der Theater-Truppe und auch stimmlich eine Autorität. Gerd Vogel präsentiert den Weber Zettel, der in einen Esel mit langen Ohren und noch längerem rosa verzaubert wird und uns mit seiner kräftigen Baritonstimme und darstellerischen Präsenz beeindruckt. Damit vermag er sicher Tytania nicht nur mit Wirkung des Zaubermittels zu beeindrucken. Robert Sellier singt den als Bälgeflicker Flaut und Kristian Giesecke den Spengler Schnauz. Andrii Chakov verleiht mit seiner schönen Baritonstimme dem Schneider Schlucker Profil. Matthias Schulze schließlich stellt den Schneider Schnock dar.
So wie auf der Bühne die Handwerksmeister die eigentlichen Personen im Zentrum der Aufmerksamkeit sind, so ist es musikalisch die im Orchestergraben in Kammerbesetzung sowohl solistisch wie im vollen Orchesterklang herrlich aufspielende Staatskapelle unter dem „meister“haften Dirigat von Michael Wendeberg. Unter seiner Leitung als „Chef der Truppe“ (um im Bild der Handwerker zu bleiben) entgeht kein Detail und keine solistische Leistung dem Ohr. Die Transparenz ebenso wie der orchestrale Rausch gelingt der Staatskapelle unter der stets präsenten Leitung Michael Wendebergs herausragend.
Doch was wäre in dieser Aufführung der Zauber aus dem Orchestergraben und der Sängerdarsteller ohne das zunächst schlicht reduziert wirkende und dann immer stärker einnehmende Bühnenbild (John Bausor), die Wirkungen der Beleuchtung (Victor Schenke) und Leistungen der Technik (Daniel Schreiner und andere).
Die Personen sind in ihrer psychologischen Funktion gut durch die Kostüme (Dorota Karolczak) charakterisiert und auch humorvoll ausgestattet mit durchaus erotischen Komponenten wie Shakespeare und Britten mit seinem Lebensgefährten und Mitautor Peter Pears sie in das Stück eingeschrieben haben, das nicht zuletzt sicher auch den Erfolg dieser Komödie seit Jahrhunderten mit ausmacht.
Das Theaterfest gelingt und wird am Ende vom Publikum in der Oper Halle bejubelt und „gefeiert“.
Dr. Guido Müller, 20. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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