Foto: Marco Borggreve, Andris Nelsons
Philharmonie Berlin, 9. Dezember 2021
Berliner Philharmoniker
Andris Nelsons Dirigent
Håkan Hardenberger Trompete
Jüri Reinvere
Maria Anna, wach im Nebenzimmer
Mieczysław Weinberg
Konzert für Trompete und Orchester
Igor Strawinsky
Le Sacre du Printemps
Fassung von 1947
von Peter Sommeregger
Ein ungewöhnliches Programm hatte Andris Nelsons, gern gesehener Gast am Pult der Berliner Philharmoniker, für dieses winterliche Konzert gewählt. Im ersten Teil konnte das Publikum gleich zwei angenehme Überraschungen erleben. Das etwa 15-minütige Stück des estnischen Komponisten Jüri Reinvere, das auf spirituelle Weise die gefühlte Nähe Mozarts zu seiner Schwester Maria Anna ausdrücken will, entspinnt sich aus zarten Streicherklängen, die eine dichte, durchaus melodische Intensität herstellen. Ein sanftes, ansprechendes Werk, für das der anwesende Komponist verdienten Beifall erhält.
Von ganz anderem Kaliber ist das 1968 in Moskau uraufgeführte Konzert für Trompete und Orchester von Mieczysław Weinberg. Der 1996 verstorbene Komponist gewinnt inzwischen auch posthum noch an Zustimmung, immer häufiger finden sich seine Werke auf deutschen Spielplänen. Das Trompetenkonzert ist ein abwechslungs- und facettenreiches Stück in drei Sätzen. Die Anforderungen an den Solisten sind dabei enorm. Für dieses Konzert konnte der schwedische Star-Trompeter Håkan Hardenberger verpflichtet werden. Mit schier unglaublicher Präzision und Virtuosität interpretiert er den anspruchsvollen Solopart. Die Struktur des Werkes ist kompliziert, wobei die Soli des Trompeters immer wieder das Bindeglied bilden. Das Werk wird vom Publikum sehr positiv aufgenommen, Håkan Hardenberger wird am Ende stürmisch gefeiert.
Nach diesen, zum ersten Mal von den Berliner Philharmonikern gespielten Werken, folgte mit Strawinskys „Sacre du Printemps“ ein schon lange ins Repertoire gewachsenes Stück. Die Komposition, die bei ihrer Uraufführung als Ballettmusik zu einem Skandal führte, besticht noch immer durch ihre Kühnheit. Die Schilderung mythischer, heidnischer Rituale brach seinerzeit zwar mit vielen Regeln der Komposition, war aber in seiner direkten effektvollen Wirksamkeit schon bald nach der Uraufführung erfolgreich. Obwohl als Ballettmusik konzipiert, fand es Eingang in die internationalen Konzertprogramme.
Die Berliner Philharmoniker entfesselten unter Andris Nelsons ein wahres Feuerwerk, das an diesem kalten Winterabend die Saaltemperatur deutlich aufheizte. Bei Stücken wie diesem zeigt sich einmal mehr die Virtuosität dieses Orchesters, dessen einzelne Mitglieder fast ausnahmslos solistische Qualitäten haben, und auch als solche auftreten.
Überrascht konnte man an diesem Abend feststellen, dass der große Saal der Philharmonie nicht ausverkauft war, in den Sitzreihen sah man deutliche Lücken. Ist das Berliner Konzertpublikum tatsächlich so konservativ, dass es von diesem Programm nicht angesprochen wurde?
Ohne diese Vorbehalte konnte man ein großartiges Konzert erleben, und interessante, noch nie gehörte Stücke kennenlernen. Es muss nicht immer der von der „Wiener Klassik“ vorgegebene Trampelpfad sein, auch Musik lebt von der Abwechslung.
Peter Sommeregger, 10. Dezember 20, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at