Foto: Daniel Barenboim, Martha Argerich 2018 © Daniel Dittus
Berliner Philharmoniker
Daniel Barenboim, Dirigent
Solistin: Martha Argerich, Klavier
Robert Schumann: Klavierkonzert a-moll op.54
Johannes Brahms: Symphonie Nr.2 op.73
Philharmonie Berlin, 6. Januar 2023
von Kirsten Liese
Die Philharmonie ist bis unters Dach voll, nicht ein einziger Platz ist mehr frei, schließlich beschert das jüngste Konzert noch einmal ein ganz besonderes Zusammentreffen, von dem man zwischenzeitlich kaum zu hoffen gewagt hatte, dass es stattfinden können würde: Daniel Barenboim und Martha Argerich konzertieren noch einmal gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern.
Die beiden sind ein eingeschweißtes Team, haben dem Berliner Musikleben insbesondere in den vergangenen Jahren unzählige Sternstunden beschert, in allen Kombinationen, die sich denken lassen: an zwei Flügeln, vierhändig und – so wie nun – Er am Pult und Sie allein an den Tasten.
Nun ist er 80 und sie 81 Jahre alt, und die Spuren, die das Alter fordert, sind bei beiden nicht mehr zu übersehen. Er leidet unter einer schweren neurologischen Erkrankung, die ihm zum Kürzertreten zwingt, sie kann nicht mehr so gut gehen. Ein Damoklesschwert schwebt über der ungewissen Zukunft, ob und wie oft man noch Gelegenheit haben wird, sie im Doppelpack zu erleben, aber an diesem Abend muss man sich nicht groß sorgen. Mag auch das Haar über die Jahre schütter und weißer geworden sein: Ihre Könnerschaft haben sich die genialen Longtime Companions, beide geboren in Buenos Aires, bewahrt.
Barenboim, der bei seinem Auftritt noch stabiler wirkt als zum Neujahrskonzert vor einer Woche, wirkt wie befreit. Am Vormittag hatte er seinen Rücktritt als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper zum 31. Januar 2023 bekanntgegeben. Das war sicherlich ein schmerzlicher Schritt, aber der Moment hätte angesichts des glanzvollen Comebacks nicht besser gewählt werden können.
Die kurzfristige Programmänderung kommt meinen Vorlieben entgegen: Statt dem etwas sperrigen Orchesterkonzert von Lutosławski hat Barenboim Brahms’ Zweite angesetzt, und darauf abgestimmt geht der Sinfonie statt dem ersten Klavierkonzert von Tschaikowski das Schumann-Klavierkonzert voraus.
Sehen können Solistin und Dirigent diesmal beim Musizieren einander nicht, das ist der Aufstellung auf dem Podium geschuldet, Barenboim thront auf dem Dirigier-Hochstuhl vor dem Orchester, Argerich sitzt ihm im Rücken. Aber beide sind derart gut miteinander eingespielt, dass auch ohne Blickkontakt vom ersten forschen Einsatz an alles bestens funktioniert.
Schumann zählt zu Argerichs Lieblingskomponisten, das Konzert beherrscht sie mit schlafwandlerischer Sicherheit, die aber nie in Routine abdriftet. Vielmehr lauscht sie mit einer spürbaren Freude jeder Melodie nach, jeden einzelnen Ton spielt sie bedeutsam und in kantabler Schönheit aus. Dies insbesondere auch in dem schlicht gehaltenen Andantino grazioso im perfekten Zusammenspiel mit den Holzbläsern, die einzelne Motive des Klavierparts imitieren.
Mit dem Flötisten Emmanuel Pahud und dem Oboisten Albrecht Mayer versammelt sich freilich auch die erste Garde unter den Bläsersolisten. Musiziert wird hier auf allen Ebenen mit der höchsten Sensitivität, jeder hört auf jeden, tritt zurück, wo andere Instrumente bedeutsamer in den Vordergrund drängen und reagiert auf die Mitspielenden. Man könnte diese Feinnervigkeit auch als ein Musizieren unter Freunden bezeichnen.
Unverhofft gibt es vor der Pause noch eine Zugabe, eine schlichte reizvolle Miniatur zu vier Händen, die wunderbar zu der gesamten Konstellation passt, auch in der Weise, wie Daniel Barenboim sie mit trockenem Humor ankündigt: Das Stück ist von Georges Bizet, den wohl nur wenige als Komponisten von Klaviermusik kennen mögen, stammt aus seinem Album Jeux d’enfants, trägt den liebenswerten Titel „Kleiner Mann, kleine Frau“. Dass sich der Reiz dieser etwas spröden Petitesse nicht beim ersten Hören erschließt, macht nichts, was zählt ist, den 80-Jährigen und die 81-Jährige noch einmal beim gemeinsamen Spiel eines intimen kammermusikalischen Stücks zu erleben, das beide sichtlich genießen wie ein altes Ehepaar.
Was sich hier vermittelt, kennzeichnet letztlich den gesamten Abend: Ein dankbares Erleben von Musik fernab des Markts der Eitelkeiten.
Etwas erschrak ich, als Kritiker nach dem Neujahrskonzert hinsichtlich Barenboims langsamen Tempi mutmaßten, er könnte womöglich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr schneller dirigieren. Einen solchen Unsinn habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gelesen, und unweigerlich muss ich dabei an Celibidache denken, der Zeit seines Lebens nicht müde wurde, verständnislosen Kritikern beizubringen, warum viel musikalisches Material mehr Zeit braucht.
Barenboim, der schon in seinen jungen Jahren den Rumänen sehr schätzte, unter dem er übrigens die Tschaikowski-Klavierkonzerte spielte, kommt nun mit seinem Musizieren Celibidache näher denn je.
Beweisen muss sich Barenboim ohnehin schon lange nichts mehr, aber nun hat er eine Stufe erklommen, auf der er nur noch als eine Art Stichwortgeber fungiert, der hier und da sparsame Impulse im Atmosphärischen setzt.
Er lässt die Musik strömen, gibt ihr den Raum, sich in aller Pracht zu entfalten ganz nach dem Motto „man will nichts, man lässt entstehen“.
Wie beim Schumann-Konzert erhält jede Note Gewicht, auch wenn Barenboim scheinbar nur die großen Bögen anzeigt.
So kann nur jemand musizieren, der sein eigenes Ego ganz zurückstellt, der sich einfach nur der Musik selbst und ihrem Erleben verschreibt. Diese Freude ist in jeder Minute spürbar, jedes Instrument hat seinen ganz besonderen Auftritt, jede Phrase wird zu einem Fest. Markig und satt tönen die Streicher, bei den Holzbläsern waltet ein samtener Ton, brillant und makellos erhebt sich das Blech zu seinen großformatigen Chören über das Orchester, angeführt von dem grandiosen Stefan Dohr am Horn.
Die stehenden Ovationen des Berliner Publikums nimmt der Maestro freilich dankbar entgegen. Und verabschiedet sich auf seine Weise in aller Bescheidenheit, indem er aus dem ihm überreichten Blumenbukett mehrere Rosen einzeln herauszieht und an die Musikerinnen in der ersten Reihe verteilt.
War das nun Barenboims Abschied von den Berliner Philharmonikern, wie mich die Kollegin fragt, die neben mir sitzt? Wissen kann man das nie. Hoffen wir, dass er es noch nicht war. Am 1. Juni wird Barenboim schließlich ohnehin noch einmal in dieser Saison am Pult der Philharmoniker erwartet.
Kirsten Liese, 7. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Martha Argerich, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim Philharmonie Berlin, 8. September 2021
Nett, kleiner Mann und kleine Frau!
Es sind zwei Riesen!
Gertrud Maria Egervári
Danke, Kirsten Liese, für diesen wunderbaren Artikel und Bericht vom nicht weniger wunderbaren Barenboim/Argerich Konzert in der Philharmonie! Leider konnte ich nicht dabei sein, aber war trotzdem begeistert, es live anschauen zu können dank dem Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker…
Daniel Barenboim hat mich zu Tränen gerührt, wie tapfer und souverän er diese Stunden gemeistert hat! Martha Argerich, so wie die Musiker der Philharmonie haben ihn so inbrünstig unterstützt, das war ein großer Moment, den ich nicht so schnell vergessen werde… in der Hoffnung, dass dieses Konzert nur der Anfang eines neuen Kapitels in DBs Karriere sein wird!
Fabienne Cevey-Schlegel
Dank der Möglichkeit über „Digital Concert Hall-Live“ dieses wunderbare und unvergessliche Konzert zu verfolgen, bin ich um einiges reicher geworden. Ihre Kritik entspricht mit jedem Wort der Wahrheit. Diese zwei Persönlichkeiten (Alter 80 und 81) bereichern diese momentan „düstere“ Welt enorm!!! Hoffen wir innig, sie noch lange zu bewundern!!
Tatjana Pifrader