Berliner Philharmoniker © Monika Rittershaus
Auch wegen des Repertoires bleibt es in Berlin spannend: Ein Abend in Frankfurt mit den Berliner Philharmonikern und zwei komplexen Werken der Spätromantik, die transparenter nicht klingen könnten
Max Reger (1873-1916) – Variationen und Fuge für Orchester über ein Thema von Mozart op. 132 (1914)
Richard Strauss (1864-1949) – Ein Heldenleben op. 40. Tondichtung für großes Orchester (1897/98)
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko Leitung
Frankfurt, Alte Oper, 7. November 2023
von Brian Cooper, Bonn
Auf den Tag genau ein Jahr nach ihrem begeisternden Mahler spielen die Berliner Philharmoniker wieder unter Chefdirigent Kirill Petrenko in Frankfurt. Wieder steht das Traditionsorchester am Vorabend einer Konzertreise: Diesmal geht es nach Südkorea und Japan.
Und der Abend klingt noch immer nach. Diese Leichtigkeit! Diese herrlich-schlichte Melodie Mozarts aus dessen 11. Klaviersonate A-Dur KV 331, und was Max Reger daraus machte. 1915 wurden seine Mozart-Variationen in Wiesbaden uraufgeführt.
Hierzu das Programmheft, das in Frankfurt stets zu Beginn zunächst einen Überblick über den bevorstehenden Abend – „Zum heutigen Konzert“ – auf einer Seite prima zusammenfasst: „Kirill Petrenko, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, hat ein Faible für abseitiges und wenig bekanntes Repertoire – und beginnt damit auch das heutige Konzert. Zwar sind die Mozart-Variationen das vermutlich meistgespielte Orchesterwerk von Max Reger, allzu oft begegnet man ihnen jedoch nicht in den Konzerthäusern.“
Stimmt, leider. Das Werk sollte viel öfter gespielt werden und keineswegs abseitig sein. Denn es ist ein Geniestreich. Ich kann mich nicht entsinnen, es je live gehört zu haben. Umso wichtiger war mir dieser Konzertbesuch. Ganz nah an meinem Herzen liegt mir die Aufnahme der Bamberger Symphoniker unter Joseph Keilberth, nach dem sie in Bamberg einen Saal ihrer Konzerthalle benannt haben.
Am Dienstagabend erklang das Werk in Frankfurt noch transparenter, durchhörbarer. Der wie stets elegant dirigierende Kirill Petrenko bot seinem Publikum einen luftigen und bis in jede Faser schlüssigen Reger, den man so noch ganz oft hören möchte.
Zu Beginn erklingt die so herrlich warm klingende Oboe Albrecht Mayers, und überhaupt sind die Holzbläser an diesem Abend, in Bestbesetzung (Pahud, Fuchs, Wollenweber…), sowas von gut aufgelegt. Das Wechselspiel zwischen Holzbläsern und Streichern, die oft divisi spielen, ist sehr reizvoll, wie auch die Tatsache, dass Reger die Wiederholungen variiert. Es ist einfach ein tolles Stück!
Und die Berliner Philharmoniker spielen prächtig. In Variation 3 checkt mein Nebenmann, welche Winterreifen mit Felgen er kaufen soll, und zu welchem Preis. In Variation 4 intonieren die Hörner ein Jagdmotiv. Und erst die F-Dur-Variation – wie das verklingt! Die Hörner glänzen, angeführt von Stefan Dohr, das volle Orchester klingt nie dick. Marie-Pierre Langlamets Harfensound untermalt die Musik aufs Herrlichste. Die letzte Variation vor der Fuge (Nr. 8 – molto sostenuto) wird schlichtweg musikantisch dargeboten. Magisch. Und die darauffolgende Fuge selbst ist der Grund, warum ich dieses Stück besonders liebe. Sie ist eigentlich eine Doppelfuge, aber beileibe nicht akademisch-streng, sondern hier tänzerisch und traumwandlerisch schön.
Es gibt eine interessante Meiningen-Connection: In der thüringischen Stadt, Uraufführungsort der Vierten von Brahms, wirkte Max Reger als Hofkapellmeister, und Kirill Petrenko war Chef am dortigen Staatstheater, bevor er an die Komische Oper Berlin wechselte. So setzt sich die Musikgeschichte fort.
Reger war ein Arbeitstier, ein Hedonist, der eine Schweinshaxe gern mal mit etlichen Litern feinen fränkischen Bieres nachspülte und vielleicht auch deshalb leider nicht sehr alt wurde. Doch wie produktiv war er! Sein op. 132 beendete er im Juli 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Am 3. März 1899 wurde Ein Heldenleben von Richard Strauss in Frankfurt am Main uraufgeführt. Das Orchester ist nun üppiger besetzt als im Reger’schen Werk. Dennoch ist auch hier die Durchhörbarkeit beeindruckend. Daishin Kashimotos Solo klingt sonor in der tiefen Lage, niemals zu spitz in der hohen. Ich frage mich kurz, ob es dieselbe Geige ist, die ich 2008 in Salon-de-Provence beim Kammermusikfestival hörte, bei dem übrigens auch Emmanuel Pahud mitmischt. In Baden-Baden, am Ostermontag, hatte Vineta Sareika-Völkner das schwere Solo ebenso großartig gespielt.
Die Fanfare der drei Trompeten abseits der Bühne klingt triumphal, sie kommen danach auf die Bühne, denn sie werden noch gebraucht. In der Reprise und den vielen Selbstzitaten von Strauss tragen sie bei zum absoluten Gänsehautmoment. Wie auch Wieland Welzel an den Pauken mitsamt der Perkussionsabteilung.
Bewegend ist die Bescheidenheit Kashimotos beim Applaus. Er möchte nicht im Mittelpunkt stehen, bekommt aber dennoch eine Umarmung vom Chefdirigenten.
Einmal mehr erweist sich an diesem Abend, dass Kirill Petrenko ein Glücksfall für Berlin und die Philharmoniker ist. Abseitiges Repertoire ist unbedingt zu begrüßen. Bitte mehr Max Reger, mehr Franz Schmidt, mehr Hans Rott, mehr Josef Suk! Allzu einseitiges Repertoire wäre für das Orchester nicht gut gewesen.
Dr. Brian Cooper, 9. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Meine Lieblingsmusik 70: Richard Strauss „Ein Heldenleben“ (1898)