© Marco Borrgreve / Concertgebouw Orchestra
Philharmonie Berlin, 22. April 2023
Dmitri Schostakowitsch, Symphonie Nr. 6 h-Moll op.54
Peter Tschaikowsky, Symphonie Nr. 6 h-Moll op.74 „Pathétique“
Berliner Philharmoniker
Klaus Mäkelä Dirigent
von Peter Sommeregger
Wenn man das Debüt eines 27-jährigen Dirigenten bei den Berliner Philharmonikern als überfällig bezeichnet, sagt das viel über diesen Künstler aus. Dem jungen finnischen Dirigenten Klaus Mäkelä ist es tatsächlich gelungen, die internationale Klassikszene zu rocken, das ehrwürdige Amsterdamer Concertgebouw-Orchester wählte ihn zu seinem neuen Chefdirigenten – ab 1927, vorher ist der junge Mann nämlich gar nicht frei.
Beim letztjährigen Musikfest konnte man das Saaldebüt Mäkeläs mit den Amsterdamern und einer fulminanten 6. Mahler erleben, nicht unbedingt ein Werk für Anfänger. Für sein Debüt mit den Berliner Philharmonikern wählte er ebenfalls Anspruchsvolles. Die jeweils 6. Symphonien von Schostakowitsch und Tschaikowsky wurden für ihn nun abermals zum Triumph.
Schostakowitsch’ Sechste sollte ursprünglich eine Huldigungssymphonie für Lenin werden, aber der gerade erst der unerbittlichen Zensur des totalitären Regimes Stalins entkommene Komponist ging erneut hohes Risiko ein, als er diese in ihrer Struktur und Kürze ungewöhnliche Symphonie vorlegte. Nach einem überlangen, klagenden Largo folgen zwei viel kürzere, eher verspielt burleske Sätze. Mäkelä peitscht das Orchester durch diese Sätze wie zu einem Höllenritt, nachdem er zuvor das getragene Largo mit seinen Melodienbögen weit ausschwingen ließ. Ein überrumpeltes Publikum war bereits zur Pause aus dem Häuschen und spendete donnernden Applaus.
Peter Tschaikowskys schicksalsschwangere „Pathétique“, die dem Komponisten ungewollt zum eigenen Abschied vom Leben geriet, erfordert einen langen Atem bei der Interpretation. Schon die Struktur des Werkes ist ungewöhnlich, die Ecksätze sind langsame, elegische, ungeheuer dichte Passagen, die Binnensätze bersten förmlich vor Dramatik und Intensität. Beim Allegro molto vivace des dritten Satzes jagt Mäkelä die Berliner mit einem Tempo durch den stampfenden Marschrhythmus, das schier atemberaubend ist. Hier fordert der Dirigent das Orchester förmlich heraus, aber dieser Klangkörper der Ausnahme-Musiker wird dieser Aufgabe glänzend gerecht. Es ist auffällig, dass Mäkelä in den schnellen Passagen mehr überzeugt, als in den langsamen. Auch dort fehlt es nicht an sensibler Auslotung, aber man meint doch ein wenig den fehlenden menschlichen Erfahrungshorizont des noch sehr jungen Dirigenten zu spüren. Ein paar Lebenskatastrophen später wird sich das sicher geändert haben.
Am Ende nicht nur jubelnder, sondern johlender Applaus, ein wenig in Fußballplatz-Manier, auch das vielleicht eine Generationenfrage.
Peter Sommeregger, 23. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at