Lisa Batiashvili spielt einen glühenden Sibelius

Berliner Philharmoniker, Lisa Batiashvili, Violine, Kirill Petrenko, Dirigent  Baden-Baden, Festspielhaus, 1. April 2024

Batiashvili, Petrenko, Berliner Phil © Monika Rittershaus

Die Berliner Philharmoniker geben zum Abschluss der Osterfestspiele ein denkwürdiges Matineekonzert.


Baden-Baden, Festspielhaus, 1. April 2024

Jean Sibelius (1865-1957) – Violinkonzert d-Moll op. 47

Johannes Brahms (1833-1897) – Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

Berliner Philharmoniker
Lisa Batiashvili, Violine
Kirill Petrenko, Dirigent


von Brian Cooper, Bonn

Wie mag es sein, ein solches Orchester im Abo zu haben? Wird es irgendwann selbstverständlich, dieses höchstmögliche Maß an Qualität, an Wärme? Gibt es routinierte Abende? Letzteres ist relativ sicher, denn auch die Berliner Philharmoniker bestehen aus Menschen.

In Baden-Baden endeten die Osterfestspiele mit einem denkwürdigen sonntäglichen Matineekonzert der Extraklasse. Zwei hinlänglich bekannte Werke, das Violinkonzert von Sibelius sowie die Vierte von Brahms, erstrahlten zwar nicht völlig neu, aber doch in einem Glanz, wie er nur ganz selten zu erleben ist.

Mein Begleiter und ich sprachen, nachdem die Vierte verklungen war, sofort von der Aufnahme Carlos Kleibers mit den Wiener Philharmonikern. So außergewöhnlich war diese Darbietung. Obwohl das Orchester in sehr großer Besetzung auf der Bühne war, geriet keine einzige Passage der Sinfonie zu übertrieben fett, sondern alles war stets aufs Feinste durchhörbar, klanglich überragend und voller grandioser Momente. Stellvertretend erwähnt seien hier nur Hörner und Holzblasinstrumente.

Allein der Auftaktton, dieses H, ergriff das Publikum sofort. Diese winzige Verzögerung, bevor es zum G runtergeht: Ein einzelner Ton erklang so voller Wärme und kaum merklich verlängert, innig und warm. Und das war nur der erste Ton. Sofort war ein Brahmsklang da, wie man ihn sich nicht besser wünschen kann.

Batiashvili, Petrenko, Berliner Phil © Monika Rittershaus

Das zog sich durch alle vier Sätze. Da war ein Brodeln, ein Glühen, das einfach nur aufregend war. Das phrygische Changieren zwischen C- und E-Dur im zweiten Satz: Es erklang wie neu gehört. Man war fasziniert. Perfekte pizzicati, weihevolle Stimmung, niemals ins Kitschige abgleitend. Einen schönen Kontrast dazu bildete der trubelige dritte Satz, von Petrenko in einem recht raschen Tempo genommen, der dann attacca in die abschließende Passacaglia überleitete. Die Huster hatten keine Chance, alle lauschten gebannt vor allem dem überirdisch schönen Solo von Emmanuel Pahud und dem ebenso warmen Posaunenchoral.

Batiashvili, Petrenko, Berliner Phil © Monika Rittershaus

Vor der Pause erklang eine Darbietung des Sibelius’schen Violinkonzerts, wie sie nur selten zu erleben ist. Mit Lisa Batiashvili spielte eine der weltbesten Geigerinnen, und das tat sie in Höchstform: Die unglaublich schwer zu spielende Solopartie spielte sie mit einer Leichtigkeit, die alles Technische vergessen ließ. Läufe, Doppelgriffe, Oktaven: perfekt; und – das ist wichtig – das gesamte Spiel war angereichert von einem hohen Maß an glühender Wärme.

Petrenko ist nicht nur im Operngraben ein begnadeter Begleiter, sondern auch auf der Konzertbühne. Das Orchester begleitete mit süffig-dichtem Klang, durchaus manchmal laut, aber eben nie zu sehr. Batiashvilis wunderbar klingendes Instrument, eine Guarneri del Gesù von 1739, schwebte stets gut hörbar über dem groß besetzten Weltklasse-Orchester, mit glutvoller Tiefe und in der Höhe nie schrill.

Batiashvili, Petrenko, Berliner Phil © Monika Rittershaus

Der erste Satz begann geheimnisvoll und steigerte sich ins Dramatische; der zweite geriet zur herzergreifenden Kantilene, von der man sich wünschte, dass sie nie aufhören möge. Und der dritte Satz? Nun, am Karfreitag hatte man dasselbe Programm gespielt, und angesichts dieses letzten Satzes darf gefragt werden, ob dieser steppende finnische Brummbär nicht unters Tanzverbot fällt. Wunderbar drängend war das. Sofort war der Rhythmus da, die Violine intonierte ihre zackig-raschen Punktierungen auf den Punkt, niemals aggressiv, doch mit aller gebotenen Unbedingtheit. Virtuos und exzellent geprobt war der Schluss, der durchaus auch mal danebengehen kann.

Als Zugabe spielte Lisa Batiashvili Bachs berühmte Air, begleitet von jeweils einer Violine, einer Viola, einem Cello und einem Bass. Und natürlich trat ein, was immer geschieht. Hinter einem sitzt unweigerlich jemand, der seiner Begleitung in Takt zwei den Namen des Werks laut zuflüstert („Ich hab’s erkannt!“) und dann, kaum ist der letzte Ton verklungen, laut hörbar „Schön“ sagt. Das trübte aber nicht ein denkwürdiges Matineekonzert.

Dr. Brian Cooper, 6. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Kirill Petrenko, Dirigent, Lisa Batiashvili, Violine, Berliner Philharmoniker Elbphilharmonie, 23. Februar 2024

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