Christian Thielemann setzt im Online-Festival mit den Berliner Philharmonikern einen fulminanten Schlusspunkt
Foto: Christian Thielemann © Matthias Creutziger
Philharmonie Berlin, 27. Februar 2021
Livestream, Berliner Philharmoniker,
Rundfunkchor Berlin
Leitung: Christian Thielemann
Camilla Nylund, Sopran
Paul Hindemith: Neues vom Tage, Ouvertüre mit Konzertschluss
Ferruccio Busoni: Tanz-Walzer für Orchester op.53
Johann Strauß (Sohn): Künstlerleben, Walzer op.316
Richard Strauss:
Ständchen op.17 Nr.2
Freundliche Vision op.48 Nr. 1
Wiegenlied op.41 Nr.1
Allerseelen op.10 Nr.8
Zueignung op.10 Nr. 1
Morgen op.27 Nr. 4
„Die Tageszeiten“, Liederzyklus für Männerchor und Orchester op.76
von Kirsten Liese
Ein groß besetzter Richard Strauss in Corona-Zeiten: In Dresden entbrannte darüber kürzlich ein Konflikt, in Berlin ist es kein Problem. Jedenfalls war es für die Berliner Philharmoniker Ehrensache, dass auf dem Abschluss-Programm ihres Online-Festivals „Die Goldenen Zwanziger“ mehrere Stücke von Richard Strauss in großer Besetzung stehen würden und natürlich und pikanterweise unter der Leitung von Christian Thielemann! Und mehr als das, sogar ein Chor, in großen Abständen auf die Blöcke H und K hinter dem Podium in der Berliner Philharmonie verteilt, war hier an Bord. Also geht doch!
Als Solistin des nur in der philharmonischen Digital Concert Hall und im Radio zu erlebenden Abends ohne Publikum war ursprünglich die Sopranistin Diana Damrau, die kurzfristig wegen der Covid19 Regelungen absagen musste. Camilla Nylund sprang für sie ein.
Unter den ausgewählten Liedern von Richard Strauss fanden sich einige, die in ihrer träumerischen Versponnenheit, Intimität und Melancholie zu den schönsten zählen, die der Komponist geschrieben hat, allen voran der „Morgen“, das „Wiegenlied“ und „Allerseelen“.
Die Strauss-erprobte Finnin empfiehlt sich – so wie sie die Lieder inniglich mit warmen Timbre und lyrischem Feinsinn durchlebt – durchaus als eine der besten Strauss-Interpretinnen unserer Zeit. Sie möge es mir nachsehen, wenn ich gleichwohl einwende, dass ihre Kopftöne nicht so luzide und kristallklar leuchteten wie die einer Schwarzkopf, einer Della Casa oder Gundula Janowitz, und auch seitens der changierenden Farb-Valeurs blieb Luft nach oben. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau.
Wiederum mit ihrer sehr großen Stimme, die sie auch für das lyrisch-dramatische Fach prädestiniert, was es ihr etwa möglich machte, 2019 eine schwere Partie wie die Kaiserin in der Frau ohne Schatten achtbar zu meistern, gelang Nylund die „Zueignung“ besonders gut, die eine große Stimme erfordert.
Im übrigen Programm präsentierten Christian Thielemann und die Berliner Philharmoniker überwiegend Raritäten.
Mit Hindemiths Ouvertüre Neues vom Tage und Busonis Tanz-Walzer op. 53 erklang da leicht jazzig angehaucht Beschwingtes, Musik, die vor allem den Holzbläsern Albrecht Mayer (Oboe), Wenzel Fuchs (Klarinette), Emmanuel Pahud (Flöte) und Stefan Schweigert (Fagott) Gelegenheit bot, einmal mehr ihre große Klasse mit kecken, rhythmisch vertrackten Soli unter Beweis zu stellen.
Bisweilen schäumt es in dem Busoni-Walzer auch richtig groß auf, und doch hat Christian Thielemann recht, wenn er wie hier im Pausen-Dialog mit Oliver Hilmes, Kurator des Festivals, sagt, dass Walzer – auch die ganz berühmten aus der Wiener Strauß-Dynastie wie An der schönen blauen Donau – doch eigentlich eher von einem melancholischen Ton getragen sind.
Diese Einsicht vermittelte sich prompt auch in der Darbietung des Künstlerlebens von Johann Strauß Sohn, den die Berliner eben nicht nur mit dem gebotenen Schwung musizierten, sondern mit eben jenen Anflügen von Melancholie und einer lyrischen Schönheit.
Die Qualitäten in der Wiedergabe zeigten sich hier freilich im ganz Subtilen, bei den klanglichen und dynamischen Schattierungen in Pianobereichen, den teils leichten Verlangsamungen bei den Übergängen aber auch in der zärtlichen Tongebung der Streicher, angeführt mit berührenden Soli von Konzertmeister Daniel Stabrawa. Und wer sonst wäre wohl mehr prädestiniert, den Wienerschen Strauß-Klang aus ihnen hervor zu kitzeln als Christian Thielemann, der bekanntlich mit den Wiener Philharmonikern viel zusammenmusiziert, vor drei Jahren auch deren Neujahrskonzert leitete, deren Klang folglich auch tief verinnerlicht hat.
Mit Strauss’ Liederzyklus Tageszeiten für Männerchor stand schließlich noch eine kostbare Entdeckung auf dem insgesamt sehr anspruchsvollen Programm, die man vermutlich aber – wie auch die kürzeren Stücke von Hindemith und Busoni- mehrfach hören müsste, um ihren Reiz wirklich ermessen zu können. Ausgenommen der träumerischen „Nacht“ muten diese Lieder beim erstmaligen Hören im Melodischen etwas spröde an.
Dass diese Musik auf Gedichte von Joseph von Eichendorff sehr schwer zu singen ist und vermutlich auch deshalb so selten aufgeführt wird, wie auf der Webseite des beteiligten Berliner Rundfunkchors nachzulesen, glaubt man gerne. Insbesondere noch unter den besonderen Umständen, die in der Berliner Philharmonie dazu führten, dass die Sänger sich in großer räumlicher Distanz zueinander aufstellen mussten.
Dass das letzte Lied in aller Stille und unter magischen, fast schlangenbeschwörerischen Zeichen des Straussianers Thielemann ohne das geringste Störgeräusch verklingen konnte, hatte sein Gutes.
Und doch werde ich mich an diesen traurigen Anblick eines leeren Saals ohne Publikum nicht gewöhnen. Der Beifall fehlte einfach.
Kirsten Liese, 28. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at