„Beatrice Cenci“ in Bregenz: packende Inszenierung, farblose Partitur

Berthold Goldschmidt, Beatrice Cenci,  Bregenzer Festspiele, Festspielhaus

Foto: © BREGENZER FESTSPIELE / KARL FORSTER
Bregenzer Festspiele
, Festspielhaus, 18. Juli 2018
Berthold Goldschmidt, Beatrice Cenci

von Kirsten Liese

Ein Altar mit einem flammenden Kerzenmeer dominiert die Bühne. Darüber schwingen an Seilen Menschen wie Glöckner in einem Kirchturm. Unwillkürlich weckt ein solches Szenario aber auch Assoziationen an Hinrichtungen und Scheiterhaufen. Schließlich handelt das im 16. Jahrhundert in Rom verortete und auf einem realen historischen Fall basierende Musikdrama „Beatrice Cenci“, mit dem die 73. Bregenzer Festspiele eröffneten, von Tyrannei, Gewalt, Mord und Korruption.

Die römische Patriziertochter Beatrice leidet unter ihrem Vater, dem Grafen Francesco Cenci (Christoph Pohl), der jeden ermordet, der sich ihm in den Weg stellt. Zwei unliebsame Söhne hat sich der Tyrann bereits vom Hals geschafft und sich dafür beim Vatikan mit Güterspenden freigekauft. Gleichmütig, mit seinem Reichtum protzend, redet er darüber, alles an seinem Äußeren glitzert bis hin zum goldenen Penis-Futteral. Beatrice vergewaltigt er und hält sie mit ihrem Bruder Bernardo (Christina Bock) und ihrer Stiefmutter Lucrezia (Dshamilja Kaiser) gefangen. In der Not lassen die drei mit Hilfe eines Priesters den Sadisten töten, werden danach aber gefoltert und zum Tode verurteilt. Der Versuch, beim Papst eine Begnadigung zu erwirken scheitert. Tatsächlich wurden Beatrice und Lucrezia 1599 vor der römischen Engelsburg hingerichtet.

Allein schon diese packende Geschichte, die in Zeiten von MeToo und in der Auseinandersetzung mit dem fundamentalistischen Islam allemal aktuell anmutet – zumal mit couragierten, starken Frauenfiguren an der Spitze –, mag erklären, warum es Festspielchefin Elisabeth Sobotka eine Herzensangelegenheit war, dieses kaum bekannte Werk von Berthold Goldschmidt als neue Ausgrabung zu präsentieren.

Weniger bekannte und vergessene Werke und Komponisten gehören am Bodensee neben den aufwendigen, spektakulären, millionenschweren Aufführungen auf der Seebühne zum festen Programm. Diese kleineren Produktionen sind im Festspielhaus bestens aufgehoben. Schon so manche großartige, verkannte Werke ließen sich hier entdecken, denkt man insbesondere an Mieczyslaw Weinbergs Auschwitz-Oper „Die Passagierin“, die mittlerweile auch an anderen großen Bühnen nachgespielt wurde, oder an Franco Faccios „Amleto“.

Musikalisch deutlich spröder beschert „Beatrice Cenci“, spürbar noch in der Spätromantik verwurzelt aber hier und da stilistisch mit neoklassizistischen Klängen an Paul Hindemith oder Harald Genzmer erinnernd, allerdings keine vergleichbare Wucht.

Es überrascht, dass Goldschmidt, 1903 in Hamburg geboren, ganz dezidiert eine überwiegend lyrische Belcanto-Oper schreiben wollte. Man stelle sich vor, Schostakowitsch hätte sich dieses Dramas angenommen, es wäre wohl ungleich dramatischer ausgefallen.

Dabei finden sich in den Lebensläufen dieser so unterschiedlichen Komponisten durchaus ähnliche schmerzhafte Erfahrungen: Schostakowitsch litt und verarbeitete in seinen Werken den Stalinismus, Goldschmidt musste 1935 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen und hatte hernach im englischen Exil mit seiner Musik kein Glück. Zwar gehörte „Beatrice Cenci“ auf einem Wettbewerb, für den er die Oper geschrieben hatte, zu den Preisträgern, aufgeführt wurde sie gleichwohl erst viel später. Dies womöglich auch, weil Goldschmidt mit seiner spätromantischen Harmonik aus der Zeit gefallen war. Erst in den 1980er-Jahren wurde seine Musik wiederentdeckt, zur szenischen Uraufführung der „Beatrice Cenci“ kam es gar erst 1994 in Magdeburg.

Die Melodien in dieser Oper tönen zwar nicht kompliziert, aber auch nicht eingängig. Musikalisch wirkt der Abend etwas anstrengend. Am stärksten berührt noch jene Szene, in der die Sopranistin Gal James in Gestalt der Titelheldin sich von der Welt und den verbliebenen Übrigen in ihrem Umfeld vor ihrer Hinrichtung verabschiedet – mit jenseitigen Klängen wie von einer anderen Welt.

Wie oft kommt es aber schon einmal vor, dass die optischen Eindrücke die musikalischen überragen? Die Bregenzer Produktion bescherte den seltenen Glücksfall einer packenden, stimmigen, ansprechenden Inszenierung, dank der sich Schwächen der zumindest nach erstem Höreindruck etwas farblos wirkenden Partitur verkraften ließen. Johannes Erath und  Ausstatterin Katrin Connan finden immer wieder assoziationsreiche, beklemmende, sublime Bilder für die ebenso kunstbeflissene wie grausame Welt der Renaissance, bestechen mit technisch aufwendigen, von starken Lichteffekten bestimmten Bildideen. Hedonistische Kardinäle finden sich an gläsernen Tischen ein, unter dem sich Berge aus Gold, aber auch nackte Leichen finden. Sex und Gewalt werden absichtlich und in Abstimmung auf die überwiegend lyrische Musik nur angedeutet.

Immer wieder öffnet sich der Blick auf einen tief gestaffelten, kreisrunden abstrakten Raum, den man mit der Pupille eines Auges assoziieren kann, mit einer verfinsterten, untergegangenen Sonne und auch mit einer zunehmend die Perspektive verengenden Kameralinse. In diesem Rund gibt es allerhand Projektionen per Video, seien es ein Ohr,  Rundbögen oder Ansichten so berühmter Bildhauerkunst wie Michelangelos berühmten Florentiner David, vor dem nackte Jünglinge ein Gelage halten. Dazu hat Katharina Tasch ansprechende, knallbunte Kostüme entworfen, die stilistisch einen großen Bogen schlagen von der Renaissance bis zur Gegenwart.

Beim Todesurteil hält  Beatrice nicht sich selbst, sondern einer Puppe die Ohren zu – ein sehr bewegender Moment. Kurz darauf blendet ein grelles, gleißendes Licht für einen kurzen Moment den Zuschauer. Am Ende verglimmt das letzte Streichholz, das der einzige verbliebene Bruder entzündet hat.

Unter den soliden gesanglichen Leistungen empfahl sich allen voran die Sopranistin Gal James in der Titelpartie, die vor allem in ihrer elegischen Abschiedsszene berührende Kopf- und Pianotöne hören ließ, die in heutigen Zeiten nicht mehr allzu viele Sängerinnen aufzubieten vermögen. Um die Leistung des Dirigenten Johannes Debus fair einschätzen zu können, der die Oper mit den Wiener Symphonikern einstudierte, müsste man allerdings noch weitere Einstudierungen mit anderen Interpreten erleben. Wirkte die Partitur über weite Strecken etwas dröge und farblos, weil er wenig damit anfangen konnte, oder gehen die Schwächen doch ganz auf das Konto des Komponisten?

Kirsten Liese, 20. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de

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