Buchbesprechung „Der Platz für Götter. Richard Wagners Wanderungen in der Schweiz“ von Eva Rieger und Hiltrud Schroeder
von Jolanta Łada-Zielke
Ich habe den letzten Silvesterabend auf der Rigi verbracht, wo mein Mann und ich mit der Zahnradbahn von Vitznau aus hinauffuhren. Es war ein großartiges Erlebnis, das Jahr 2022 auf einem von Richard Wagners Lieblingsbergen zu begrüßen, den er zu seiner Lebzeit dreimal bestieg. Der andere Alpengipfel, den der Komponist bewunderte, war Pilatus. Später ist mir das Buch „Der Platz für Götter“ in die Hände gefallen, das über die Wanderungen des Komponisten in den Schweizer Alpen erzählt. Die Autorinnen Eva Rieger und Hiltrud Schroeder sind selbst all diese Wege gegangen. Dank ihrer Publikation habe ich viel mehr über Richard Wagners Expeditionen, Faszinationen, Inspirationen und verschiedene, nicht immer angenehme Erlebnisse erfahren.
Der zunächst erzwungene Aufenthalt Wagners in der Schweiz 1849-1859 ist einer seiner reichsten Erfahrungen, sowohl in menschlicher als auch in kreativer Hinsicht. Während dieser zehn Jahre begleiten ihn auf den Bergabenteuern die drei wichtigsten Frauen seines Lebens: Minna, Mathilde Wesendonck (mit ihrem Mann zusammen) und schließlich Cosima. Franz Liszt besucht seinen Kollegen einige Male in der Schweiz. Die Natur- und Liebeserlebnisse des Komponisten spiegeln sich in seinem Werk wider. Der von der Rigi aus beobachtete Sonnenaufgang inspiriert ihn zum Gestalten der letzten Szene von „Das Rheingold“, und eine auf dem Alphorn gespielte Melodie – zur Komposition der Partie des Hirten, der Tristan die Ankunft des Schiffes mit Isolde ankündigt. Dort beschließt Richard Wagner „Tristan und Isolde“ zu komponieren, dort entstehen ebenfalls die ersten Entwürfe und das Libretto zum „Ring des Nibelungen“. In den Alpen findet er wirklich einen Platz für seine Götter.
Beim Lesen dieses Buches kann man ebenfalls die Entwicklung des Alpentourismus verfolgen, die auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurückgeht. Zusammen mit dem Komponisten bewundern wir die malerische Umgebung vom Vierwaldstättersee, Brunnen, Borromäische Inseln (besonders Isola Bella), die Gipfel: Rorschach, Säntis, Engelberg, Surenenpaß, darunter zwei berühmte Alpenhörner: Faulhorn und Sidelhorn. Wir stellen uns die Schönheit des Naturschauspiels der Tosafälle vor. Den Inhalt dieses Reisetagebuchs schmücken schöne Lithografien in schwarz-weiß, die die Autorinnen gefunden haben. Die Bilder zeigen, wie die im Buch erwähnten Orte Mitte des 19. Jahrhunderts aussahen. Die beigelegte Reproduktion von Kellers lithografischer Reisekarte der Schweiz von 1850 enthält markierte Wagners Bergwanderwege.
Auf den Bergexpeditionen begleiten Wagner Karl Ritter, Theodor Uhlig, Georg Herwegh, später Hans Richter. Sie treten in die Fußstapfen von Wilhelm Tell, Goethe und Lord Byron. Im Gegensatz zu seinen Mitwanderern ist Wagner ziemlich fit. Die empfohlene tägliche Wanderungszeit beträgt damals acht Stunden, der Komponist kann jedoch elf Stunden – natürlich mit Pausen – durchhalten. Er lässt sich von schwierigen und steilen Anstiegen nicht entmutigen und fühlt sich gut, während Karl Ritter schwindlig wird und Minna Herzstörungen hat. Aber mindestens zweimal reibt sich Richard die Füße ab. Einmal zieht er leichtsinnig neue, nicht eingelaufene Schuhe an und muss unterwegs die Dienste eines Schusters in Anspruch nehmen. Im Winter 1858 erkältet er sich auf einer Schlittenfahrt durch Gotthard. Das für das Gebirgsklima typische Regenwetter verursacht häufig eine Änderung der Pläne, das Geld wird ebenfalls oft knapp. Manche Bergführer erweisen sich als bösartig. Das sind jedoch Kleinigkeiten.
Bei der „Mammutwanderung“ auf den Bernina-Gletscher nimmt der Komponist eine Flasche Champagner mit, die er später in einer Eisspalte kühlen lässt. In einem der Gasthöfe probiert er das Murmeltierfleisch, das man dort serviert und unterzeichnet den Brief an Minna, in dem er davon berichtet: „Murmeltierbratenfresser“. Wagner achtet jedoch auf eine gesunde Ernährung. Während seines Aufenthalts bei einer Kur, wo die Mahlzeiten arm an Gemüse sind, bittet er Minna, ihm einen Vorrat an Gemüse, besonders gelbe Rüben, zu schicken. In St. Gallen feiern Minna und Richard ihren 20. Hochzeitstag und tanzen mit ihren Gästen im Haus des Kaufmanns und Veranstalters der Abonnementskonzerte Charles de Bourry die Polonaise zur Melodie vom „Brautchor“ aus dem „Lohengrin“. Zwar bezweifle ich, dass man die Polonaise, die ein dreiertaktiger Tanz ist, zu einem Stück mit zweitaktigem Metrum tanzen kann, aber die Party war sicherlich angenehm.
Einige Orte in den Schweizer Alpen sind bereits stark von Touristen frequentiert. Richard Wagner hasst Menschenansammlungen und ist lärmempfindlich, so dass er sich oft unwohl fühlt. Dank dem Buch lernen wir ihn als großen Naturliebhaber näher kennen, der gerne bei ländlichen Gehöften sitzt und die Tiere auf dem Hof beobachtet: Hunde, Katzen, Geflügel, Vögel und sogar Kühe auf den Almen. Der Klang der Kuhglocken erfreut ihn. „Ich geb alle Glocken Roms dafür hin“, kündigt er an.
Neben dem Wandern in den Bergen nutzt Wagner auch die Angebote der Kurorte, um seine Gesundheit zu verbessern. Ihn quälen Magen-Darm-Probleme, Nervenschwäche und sein ständiges Leiden – die Gesichtsrose.
Im Buch gibt es detaillierte Hinweise darauf, wie man die Orte, die Wagner auf seinen Bergtouren besucht hat, heute erreichen kann. Dies sind einzelne, in einer anderen Schriftart gedruckte Textabschnitte. Ich lobe die Autorinnen und den Verlag dafür, dass sie eine solche, leichter zugängliche Form als Fußnoten gewählt haben. Das Buch ist 2009 erschienen und seitdem hat sich alles auf alpinen Wanderwegen mehr oder weniger modernisiert. Es lohnt sich, das neu zu entdecken, zumal am Ende findet man eine fertige Beschreibung einer siebentägigen Route durch die Schweizer Alpen auf den Spuren Richard Wagners.
Jolanta Łada-Zielke, 7. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Der Platz für Götter. Richard Wagners Wanderungen in der Schweiz“
Eva Rieger und Hiltrud Schroeder
2009, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien
ISBN 978-3-412-20409-9
Buchrezension: Graphic Novel „Zwischen zwei Tönen“ über Arvo Pärt, Klassik-begeistert.de