„Die Zauberflöte“ überschreitet das Zeitalter von Licht und Vernunft

Buchbesprechung: „Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung“ von Laurenz Lütteken  klassik-begeistert.de, 28. Mai 2024

Das Buchcover © Verlag C.H. Beck oHG

Buchbesprechung:

Laurenz Lütteken,  „Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung“

Verlag C.H. Beck oHG, München 2024
ISBN 978 3 406 81502 7

von Jolanta Łada-Zielke

Dieses Buch erschien im März 2024 und ein paar Musikkritiker haben es bereits rezensiert, und auch ich habe beschlossen, meinen Standpunkt dazu darzulegen. Die Lektüre ist nicht leicht, weil diese Publikation viele Fakten, Namen, Anspielungen und Zitate enthält. Der Leser muss zumindest über ein Grundwissen in diesem Bereich verfügen. Die Publikation bereichert jedoch in hohem Maße das Wissen über Mozarts letzte Oper, die Umstände ihrer Entstehung, ihre spätere Rezeption und vor allem ihre Einordnung in den kulturellen Kontext der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Der Autor, Laurenz Lütteken, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Zürich, behauptet, in der „Zauberflöte“ gehe es nicht nur um die Aufnahme- und Zutrittsrituale, sondern auch um Einweihung und Ausgrenzung, um Bestätigung und Verweigerung, um Licht und Dunkel.

Er versucht nicht, die in diesem Werk enthaltenen Rätsel zu erklären, noch schlägt er eine neue Interpretation vor – dies überlässt er dem Leser. Er platziert nur die Oper vor dem Hintergrund des gerade zu Ende gegangenen Zeitalters der Aufklärung, in dem Vernunft und sensorische sowie geistige Wahrnehmung im Vordergrund standen. „Die Zauberflöte“ geht in ihren musikalischen und sprachlichen Ebenen über diese Epoche hinaus.

Paradoxerweise wiesen die historischen Epochen, die den Humanismus und den Rationalismus in den Vordergrund stellten, jedoch einige eklatante Mängel auf. Der Höhepunkt der Hexenverfolgung fand in der Renaissance statt, und eines der letzten Ereignisse der Aufklärung war das Blutbad der Französischen Revolution. Lütteken verweist sogar auf eine „revolutionäre“ Interpretation der „Zauberflöte“ im Sinne der jakobinischen Philosophie, in der Pamina die Republik verkörpert.

Lütteken macht eine harmonische Analyse der charakteristischsten Passagen des Werkes und beschreibt sorgfältig das ursprüngliche Bühnenbild. Seine Überlegungen zeigen, dass „Die Zauberflöte“ als „Große Oper“ (so der Untertitel des Werkes) die für die „opera vera“ charakteristischen Grenzen von „Wahrheit und Wahrscheinlichkeit“ überschreitet. Die antikische Exotik, Phantastik, Vielfalt der Motive (nicht nur von der Freimaurerei), ihr Mehrdeutigkeit und Naturverbundenheit – all dies macht Mozarts letztes Werk zu einer Hybridkonstruktion im besten Sinne des Wortes.

Der Autor weist in „Die Zauberflöte“ auf vorhandene Motive hin, die auch andere Komponisten, vor allem Georg Anton Benda, Christoph Willibald Gluck und Wenzel Müller, sowie die Maler, Kupferstecher, Dichter, Dramatiker und Philosophen der damaligen Epoche verwendeten.

Er legt ausführlich dar, in welchem Zusammenhang „Die Zauberflöte“ zu Mozarts anderen Opern, vor allem „Idomeneo“, „La clemenza di Tito“, „Così fan tutte“ und „Don Giovanni“ steht. In dem letzten Kapitel beschreibt Lütteken Goethes Auseinandersetzung mit der „Zauberflöte“. In seinem Buch findet man Bildnisse der Gemälde und Kupferstiche dazu, Fragmente der Partitur, in denen er unter anderem Entwürfe mit Endfassungen einiger Passagen vergleicht. Auf dem Umschlag sehen wir eine entsprechende Reproduktion des Bildes „Uferlandschaft im Mondschein mit Lagerfeuer“ von Andreas Nesselthaler (circa 1800).

Das Buch enthält einige wissenswerte Informationen: die Erstellung eines Würfelspiels zu „Die Zauberflöte“, die Eintrittspreise im Wiener Freihaustheater, was der goldene Palmzweig symbolisiert, welcher der Prototyp des Charakters Monostatos war, und dass in der ersten Szene ein böser Löwe statt einer listigen Schlange ursprünglich vorgesehen war.

Mit größtem Vergnügen habe ich die Absätze über Papageno gelesen, weil er meine Lieblingsfigur in dieser Oper ist; ausdrucksstark, lustig, etwas trotzig, aber zu höheren Gefühlen fähig. Ich stimme Emanuel Schikaneders Meinung von dieser Figur zu. Alle anderen Charaktere finde ich mehr oder weniger eindimensional. Tamino ist für mich ein Schwächling, der sich manipulieren lässt, zumindest bis er alle Prüfungen bestanden hat.

Als einziger Nachteil dieser Arbeit halte ich die Wiederholungen. Der Autor gibt einige Informationen zweimal, zum Beispiel, wie Emanuel Schikaneder die Figur des Papageno interpretiert hat, oder die Meinungen von Antonio Salieri und Caterina Cavalieri zur „Zauberflöte“. In meiner privaten Bibliothek hat es jedenfalls einen Platz unter denjenigen Büchern gefunden, zu denen ich von Zeit zu Zeit zurückkehre.

Jolanta Łada-Zielke, 28. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Ein Gedanke zu „Buchbesprechung: „Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung“ von Laurenz Lütteken
klassik-begeistert.de, 28. Mai 2024“

  1. Wie war das in Wien im September 1791? Wie hievte man die „Zauberflöte“ auf die Bühne? Wer hatte mehr Einfluss bei der Produktion, der Librettist oder der Komponist? Wie sah das Theaterleben damals aus? Wie teuer waren die Karten?
    Mozarts große Oper hat die Zeiten überdauert. Am 1. Weihnachtsfeiertag 2024 wird sie nachmittags und abends in der Deutschen Staatsoper zu erleben sein und wieder viel Weihnachtsgeld in leere Berliner Theaterkassen spielen.
    Das Buch von Laurenz Lütteken hat mir viel Kondition abverlangt und weiterhin letzte Rätsel um das Märchen nicht lösen können, aber die Reise mit der Zeitmaschine dahin, wo alles begann, möchte ich ab jetzt genau so wenig missen, wie den Besuch des Mozart-Hauses im Wien unserer Tage.

    Ralf Krüger

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