Buchbesprechung:
Es lohnt sich zu lesen, wie man in der Vergangenheit Gefühle aus der Ferne ausdrückte, während dies heute, in der Epoche der maximalen Vereinfachung, mit Emojis geschieht.
„Meine alte, treue Liebe“. Richard und Minna Wagner: Briefwechsel
Herausgegeben von Eva Rieger
Georg Olms Verlag, AG, Hildesheim 2024
ISBN 978-3-7582-0264-3
von Jolanta Łada-Zielke
Die Lektüre dieses Buches hat mich emotional ausgelaugt. Zwar kannte ich bereits die Geschichte der 29-jährigen Ehe von Minna und Richard Wagner, die von Anfang an von kleineren und größeren Konflikten belastet war, obwohl es darin auch glückliche Momente gab.
Es ist ein Wunder, dass es die beiden so lange miteinander aushielten, obwohl ihre Veranlagungen und Lebenseinstellung sehr unterschiedlich waren. Wie die Autorin Eva Rieger behauptet: „Richard sah diese Diskrepanz zwischen seiner Lebensführung und Minnas Ängsten und Bedürfnissen durchaus, hatte aber nicht den Mut oder die Kraft, sich von seiner Frau zu trennen“.
Eva Rieger verfasste ebenfalls eine Biographie von Minna Wagner, in der man diese Diskrepanz aus der Sicht der ersten Ehefrau des Komponisten erfahren kann. Aber die Briefe sind etwas Persönliches, Intimes. Beim Lesen hatte ich den Eindruck, in das Herz, die Seele und das Innerste von Richard einzudringen – denn es sind vor allem seine Schriften.
Der Komponist schreibt oft sehr emotional, manchmal aber auch heiter und witzig. Er bittet zum Beispiel in Form eines Gedichts, dass Minna ihm Strümpfe schickt. Die Berichte von seinen häufigen Kuraufenthalten beendet er meist mit lustigen Grüßen an den Hund, den sie gerade hatten, und an den Papagei (zum Beispiel Peps und Papo). Er wendet sich an Minna oft mit „Mienel“, „Muzius“, „Mutz“, „Mietzel“, oder „mein liebes Kind“, obwohl sie vier Jahre älter als er war. In Konfliktsituationen, wie nach der Revolution von 1849 und dem Eklat mit den Wesendoncks, nennt er sie „böse Frau“.
Das Buch enthält insgesamt 119 Briefe, von denen Minna nur sieben verfasst hat. Sie antwortete auf die wichtigsten Briefe ihres Mannes, die er ihr an kritischen Wendepunkten ihrer Beziehung schrieb. Anhand dieser Auswahl kann man die Entwicklung ihrer Bekanntschaft verfolgen. Die ersten fünf an Minna (noch Planer) gerichtete Briefe sind voller leidenschaftlicher Ausbrüche und Liebesbekundungen. Dann nehmen sie mehr und mehr den neutralen Charakter der Berichte von Richards aktuellen Aufenthaltsorten und von Arbeitsfortschritten an seinen Werken an. Im letzten Teil des Buches befinden sich Anmerkungen, die die Umstände des Entstehens jeder Schrift erläutern.

Sehr bewegend schreibt Richard an Minna, als sie kurz nach ihrer Heirat von Königsberg nach Berlin geflohen ist, weil sie seine krankhafte Eifersucht und die wachsenden finanziellen Probleme nicht mehr ertragen konnte. Sie ließ sich von einem zynischen Aristokraten verführen, der sie mit leeren Versprechungen täuschte. Als sie dies schmerzlich erkannte, schrieb sie ihrem Mann reumütig und bat ihn um Vergebung. Daraufhin zog er den Scheidungsantrag zurück und antwortete ihr in einem rührenden Brief zurück. Dieser Brief könnte ein fertiger Text für ein schönes Liebeslied sein, mit dem Refrain: „Komm’ zu mir (…), lass mich deine Wunden heilen, es soll nun das Geschäft meiner Liebe sein“.
Dieser Vorfall beeinflusste jedoch das spätere Leben der beiden. Ab und zu erinnerte Wagner seine Frau an seine damalige Großzügigkeit, besonders als er selbst eine Faszination zunächst für Jessie Laussot und dann für Mathilde Wesendonck empfand. Allerdings hat er nie offen zugegeben, dass er sich in jede dieser Frauen verliebt hat. Im Gegenteil, er spielte die ganze Sache herunter oder suchte den Schuldigen (meist die Schuldige) woanders. Ähnlich äußerte er sich über seine Bekanntschaft mit Michail Bakunin nach der Niederlage der Mairevolution in Dresden 1849. Seiner Meinung nach reagierte Minna darauf in jedem dieser Fälle zu heftig.
Im ersten Bericht aus Bordeaux, wo sich der Komponist bei Jessies Familie aufhält, vergleicht er diesen Ort mit einer Wüste und will zurück zu Minna. Der nächste Brief ist jedoch völlig anders; Wie aus heiterem Himmel wirft Richard seiner Gattin alles „seit Adam und Eva“ vor und beschuldigt sie, seine Kunst nie verstanden, sondern sich nur auf materielle Dinge konzentriert zu haben.
Selbst ihre Liebe zu ihm stellt Wagner in Frage. Die Antwort auf die Ursache solch einer Drehung um hundertachtzig Grad lautet: cherchez la femme. Dem Komponisten scheint es, als hätte er endlich in Jessie die Frau seines Lebens getroffen, und sieht seine Ehe plötzlich in einem ganz anderen Licht. Als seine Affäre scheiterte, erklärte Richard Minna, er gäbe „jener jungen Frau aus Bordeaux“ aus Mitleid nach, weil sie als 16-Jährige einen Weinhändler heiraten musste, mit dem sie „nicht drei Gedanken gemein hatte“.
Über Wesendoncks äußert er sich schriftlich zurückhaltend und bezeichnet das Ehepaar als „Tante“ und „Onkel“. Hier hätte man zum Vergleichen einen seiner Briefe an Mathilde aus der gleichen Zeit hinzufügen können. Erst als 1858 der Eklat aufkam, behandelte Richard die arme Minna als Sündebock. Er hat gerne „das Blatt nicht nur im Mund“ sondern auch auf dem Papier gewendet, wenn die Situation für ihn unangenehm wurde. Eva Rieger merkt seinen verschiedenen Schreibstilen die Wandlungen an, so als hätte er sich im Theater Masken aufgesetzt und verschiedene Rollen gespielt.
Trotz aller Irrungen und Wirrungen blieb Minna Richards „alte, treue Liebe“, zu der er nach jedem „Seitensprung“ zurückkehrte. In vielen Briefen erkundigt er sich nach ihrer Gesundheit, empfiehlt ihr Ruhe und ermutigt sie, sich nichts zu entsagen. Seinen letzten Brief erhielt sie drei Monate vor ihrem Tod.
Nach der Lektüre habe ich ein paar Tage gebraucht, um meine Gedanken zu beruhigen. Einige Zeilen sind in meinem Kopf geblieben und nachts habe ich davon geträumt. Das heißt aber nicht, dass jeder Leser dengleichen Eindruck bekommen muss und dass sich das Buch eher für Menschen mit eisernen Nerven eignet.
Ich empfehle es vor allem als ein schönes Beispiel für die zu Wagners Zeit noch praktizierte Briefkunst.
Es lohnt sich zu lesen, wie man in der Vergangenheit Gefühle aus der Ferne ausdrückte, während dies heute, in der Epoche der maximalen Vereinfachung, mit Emojis geschieht.
Jolanta Łada-Zielke, 28. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Buchbesprechung: Fragen hätte ich noch: Geschichten von unseren Großeltern 6. September 2024