Buchbesprechung:
Siegbert Rampe
Carl Philipp Emanuel Bach und seine Zeit (Große Komponisten und ihre Zeit)
LAABER-Verlag 2014
ISBN: 978-3-89007-838-0
von Jolanta Łada-Zielke
Manchmal können Zeitgenossen von berühmten Persönlichkeiten aus früheren Zeiten etwas lernen wie zum Beispiel von Carl Philipp Emanuel Bach. Sein Lebenslauf zeigt: Wenn man Erfolg haben will, muss man häufig seine Komfortzone verlassen und seinen eigenen Weg gehen. Dem Komponisten gelang es auch, eine Balance zwischen der Entwicklung eigenen Schaffens und der Befriedigung des damaligen Publikumsgeschmacks zu erreichen. Solchen aufbauenden Eindruck habe ich nach der Lektüre des Buches von Siegbert Rampe.
Carl Philipp Emanuel Bach war der zweitgeborene Sohn Johann Sebastians, aber erfolgreicher als sein großer, von seinem Vater begünstigter Bruder Wilhelm Friedemann (1710-1784), und der jüngere Johann Christian (1735-1782). Alle drei Wiener Klassiker beriefen sich auf CPE Bach. Im Alter von 20 Jahren (1734) verließ er das Elternhaus und wählte einen unabhängigen künstlerischen Weg, der über Frankfurt an der Oder und Berlin nach Hamburg führte.
Der zukünftige Schöpfer von Israeliten in der Wüste wurde am 8. März 1714 in Weimar geboren, wo sein Vater zu dieser Zeit Hoforganist und Cembalist der Hofkapelle war. Carl Philipp Emanuel nahm Musikunterricht bei seinem Vater und sollte die Noten früher als die Buchstaben gelernt haben. Johann Sebastian Bach wollte eine Hochschulausbildung für seine Söhne. Damals gab es kein Musikstudium, so dass Musiker Jura oder Theologie studierten, um sich die berufliche Karriere zu erleichtern. Wie Wilhelm Friedemann begann auch Carl Philipp Emanuel ein Jurastudium in Leipzig (1731), welches er in Frankfurt fortsetzte. Zu dieser Zeit entstanden seine ersten Kompositionen im damals angesagten galanten Stil. Viele von ihnen hat er in späteren Schaffensperioden überarbeitet und verbessert. Von Anfang an sorgte er dafür, dass seine Werke eher gedruckt als von Hand kopiert werden.
Rampe behauptet, CPE „machte die deutsche Sprache, also das ‚redende Prinzip‘ an sich, zur Grundlage seiner Instrumentalmusik“. Der Komponist entwickelte seinen eigenen Stil, in dem er die Musik als die „klingende Sprache” behandelte. Er „zum ersten Mal bewies, dass man Musik aus Silben, Worten und Satzteilen ohne Text konstruieren kann, indem Notenpaare, Intervalle und Motive zueinander in Beziehung gesetzt werden – eine kompositorische Idee, die, abgesehen von Beethoven, so erst wieder am Ende 19. Jahrhunderts realisiert wurde“.
CPE komponierte hauptsächlich für Tasteninstrumente, vor allem Claviersonaten. Er schrieb ebenso Triosonaten für verschiedene Instrumente und Basso continuo, Lieder, sowie Sinfonien und Konzerte, die im 18. Jahrhundert entstanden. Seine berühmteste Triosonate in c-Moll Wq 161.1/H579 „Gespräch zwischen einem Sanguineus und Melancholicus “ (1751) ist ein Beispiel für Programmmusik. Einen besonderen Platz in seinem Werk nehmen Charakterstücke, die von der französischen Cembalomusik des 17. Jahrhunderts inspiriert wurden und bestimmte Personen oder Naturphänomene musikalisch darstellen.
CPE wandte sich schließlich vom galanten Stil ab und konzentrierte sich auf die Kraft des Ausdrucks, sowohl im Komponieren als auch in der Aufführung, die er als musikalische Aufklärung von Emotionen (Affekten) verstand. Sein Prinzip lautete: „Mich deucht, die Musik müsse vornehmlich das Herz rühren, und dahin bringt es ein Clavierspieler nie durch blosses Poltern, Trommeln und Harpeggiren, wenigstens bey mir nicht.“
Das Buch ist umfangreich und umfasst allein über 400 Seiten reinen Textes. Es gibt dort auch ein Kalendarium und Listen der Werke, die zu bestimmten Gattungen zugeordnet sind. Man findet dort Zitate aus der Autobiografie des Komponisten, mit Beibehaltung damaliger Rechtschreibung. Über das Privatleben des Komponisten berichtet Rampe relativ wenig. Übrigens hatte CPE Bach eine ganz normale Familie. Er heiratete die zehn Jahre jüngere Johanna Maria Dannemann, Tochter eines Berliner Weinhändlers, mit der er drei Kinder hatte. Der ältere Sohn Johann Adam studierte Jura, der jüngere Johann Sebastian Malerei und die Tochter Anna Carolina Philippina war Assistentin und Sekretärin ihres Vaters.
In Berlin fungierte CPE offiziell als Cembalist und Begleiter Friedrichs des Großen, da sein Kompositionsstil dem Geschmack des Königs zuwiderlief. 1741 erhielt der zweitgeborene Sohn Johann Sebastians den Titel eines Kammermusikers. Er verkehrte gerne mit Denkern und Dichtern, war mit Anna Luise Karsch und Friedrich Gottlieb Klopstock befreundet. Der Komponist machte auch Bekanntschaften mit Berufskollegen, wie Johann Joachim Quantz, Johann Gottlieb Graun und Franz Benda. Aber erst in Hamburg, dem damals neben Leipzig zweitwichtigsten Musikzentrum Deutschlands, konnte CPE als Musikdirektor – der Nachfolger seines Patenonkels Georg Philipp Telemann – seine Flügel voll entfalten.
Rampe bespricht ausführlich alle Teile des Lehrbuchs Versuch über die wahre Art Clavier zu spielen, was einige interessante Informationen bezüglich des Fingersatzes enthält; Der Daumen spielte bei CPE eine wichtigere Rolle als bei Couperin. In einem separaten Kapitel führt der Autor die Leser in die vielfältige Welt der Tasteninstrumente des 18. Jahrhunderts ein und beschreibt die Eigenschaften von Clavichord, Cembalo, Clavecin Royal, Hammer- und Bogenclavier sowie Forte-Piano. Mit Vergnügen habe ich die Fragmente über mein CPE Bachs Lieblingsstück, nämlich das Doppelkonzert Es-Dur Wq 47/ H479 für Cembalo, Hammerclavier und Orchester (1788) gelesen, das ich noch in der Musikschule kennen gelernt habe. Diese beiden Instrumente führen dort einen Dialog miteinander, als ob sie miteinander geflachst hätten.
Der Lebenslauf von CPE Bach war frei von Skandalen, es gab nur einen unangenehmen Vorfall. 1784 erschien im Londoner The European Magazine eine Fake News, dass sich Carl Philipp Emanuel Bach über Joseph Haydn empörte, weil dieser angeblich CPE Bachs Stil in seinen Sonaten karikiert habe. Der CPE verfasste eine Richtigstellung, die der Hamburgischen unpatheyschen Correspondenten veröffentlichte, dass dies alles eine Lüge sei und er es niemals gewagt hätte, sich gegen seinen Kollegen auf diese Art und Weise zu äußern.
Als Mensch war CPE Bach ein typischer Sanguiniker: heiter, witzig, bodenständig, selbstironisch und gleichzeitig äußerst intelligent. Er sammelte gerne Kunstwerke, insbesondere Porträts. Er hatte keine ernsthaften gesundheitlichen Probleme, litt aber an Podagra. Nach dem Tod von Johann Sebastian Bach kümmerte sich Carl Philipp Emanuel um das musikalische Erbe seines Vaters.
Siegbert Rampe empfehlt sein Buch Musikern, Musikwissenschaftlern und Musikliebhabern. Ich finde, das Beispiel von Carl Philipp Emanuel Bach kann all jenen Mut geben, die ihren individuellen Lebensweg gehen und ihre eigene Berufung, nicht die Erwartungen anderer, verwirklichen.
Jolanta Łada-Zielke, 5. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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