Victoria de Grazia
Der perfekte Faschist – Eine Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt
Berlin 2024, 508. S., zahlreiche s-w Abb. und Karten, € 38,00
ISBN: 978-3-803-13739-5
von Dr. Regina Ströbl
„Macht macht sexy“ – anders könnte man sich die Ehe einer aufstrebenden amerikanischen Opernsängerin jüdischen Glaubens mit einem italienischen Militärangehörigen und engen Vertrauten Mussolinis auf den ersten Blick nicht erklären. Aber so einfach ist es dann doch nicht.
Da ist auf der einen Seite der 1882 in Mailand geborene Attilio Teruzzi, schon als Kind eitel, von Mutter und Schwester verhätschelt. In einer Zeit großer politischer Umbrüche entscheidet er sich früh für eine militärische Laufbahn. Schnell verdient er sich sowohl im italienisch-türkischen Krieg als auch im Ersten Weltkrieg durch Erfolge und Tapferkeit mehrere Auszeichnungen. Im Jahre 1920 begegnet er erstmals Benito Mussolini und schließt sich dessen faschistischer Bewegung an. Getrieben von Opportunismus, Brutalität und Machtgier, avanciert er schließlich zur rechten Hand des Duce.
Und dann erscheint sie, Lilliana Weinman, 1899 als Tochter galizischer Juden geboren, mittlerweile in New York lebend. Schon früh beginnt sie, Klavier zu spielen, mit 15 entscheidet sie sich, Opernsängerin zu werden. Ihre Ausbildung erhält sie an der Metropolitan Opera, beim Abschlusskonzert werden ihr eine schöne Stimme, eine große Präsenz sowie sehr viel Temperament attestiert. Einer ihrer Lehrer ist Arturo Buzzi-Peccia, Kommilitone und Freund von Puccini, Mascagni und Toscanini. Um ihre Ausbildung abzuschließen und auch zu debütieren, begibt sich Lilliana 1920 mit ihrer Mutter nach Mailand. Und dort beginnt die Geschichte von Lilliana und Attilio, eine große Liebe, die nach wenigen, schillernden Jahren in einem würdelosen Drama endet.
Lilliana ist eine stattliche, mondäne junge Frau, die den Luxus und den großen Auftritt liebt. Mit Hilfe ihres sehr wohlhabenden Vaters verkehren sie und ihre Mutter in besten Mailänder Kreisen, flanieren auf den großen Straßen und in feinen Cafés. Irgendwo dort sieht Attilio Teruzzi diese beeindruckende, eigentlich unerreichbare Erscheinung und beginnt, sie zu verfolgen, ja regelrecht zu stalken, um endlich ihre Bekanntschaft zu machen. Lilliana ist in dieser Zeit noch ganz mit ihrer Karriere beschäftigt. Unter dem Künstlernamen Lilliana Lorma tritt sie 1921 als Micaëla in Genua auf, im Juli 1922 gibt sie in der Arena di Verona die Elsa, ihr Lohengrin ist Aureliano Pertile, den König Heinrich singt Ezio Pinza, alles unter der Leitung von Tullio Serafin, der die Karriere der Sopranistin maßgeblich begleitet. Die Desdemona in Triest folgt 1923. Noch drei Jahre, dann debütiert sie an der „Met“, prophezeit er ihr.
Nach der ersten direkten Begegnung von Lilliana und Teruzzi Ende 1923 intensiviert sich der Kontakt, schließlich kann die Verlobung in Mussolinis Büro verkündet werden. Dass die Braut eine amerikanische Jüdin und der Bräutigam ein katholischer Faschist ist, spielt zu dem Zeitpunkt noch nicht die geringste Rolle. Was nun verbindet diese beiden Menschen? Natürlich ist Lilliana eine blendende, umschwärmte Erscheinung, aber auch er macht gewaltig etwas her. Beide verdanken ihren Erfolg sich selbst, ihrer Zielstrebigkeit, ihrem Willen, und beide eint eine gewisse Geradlinigkeit, die Arbeit und auch Familiensinn – und natürlich eine große Liebe. Die Trauung findet am 24. Juni 1926 auf dem Kapitol zu Rom und in der Basilika Santa Maria degli Angeli statt. Ihre Trauzeugen sind der amerikanische Botschafter und Tullio Serafin, seine sind Mussolini und der Innenminister. Zum Empfang sind 600 Menschen geladen.
Es sind neue Ideale, die Lilliana entdeckt, als sie Teruzzis großen Auftritten beiwohnt. Überwältigt von dieser geballten Macht und um seine politische Karriere voranzutreiben, lässt sie ihre eigene ruhen. Es gibt keine Auftritte mehr, keine Verpflichtungen; aus einer anfänglich nur als Unterbrechung gedachten Pause wird ein Ende. Umjubelt und gefeiert wird sie trotzdem, sie ist der Star an seiner Seite. Und so folgen wenige glückliche Jahre im ostlibyschen Kyrenaika, wo Teruzzi als Gouverneur eingesetzt ist. Es könnte alles so schön und glamourös sein, wäre da nicht seine intrigante Mutter, die, in großer Abneigung gegenüber ihrer Schwiegertochter, den Haushalt und die Gesellschaft an sich reißt. Dazu kommen zahlreiche überaus unappetitliche Affären Teruzzis und die Anhäufung hoher Schulden. Schon 1928 kehren sie wieder nach Italien zurück, Teruzzi wird Stabschef der Miliz und seine Frau besucht ihre Eltern in New York. Sie ist jetzt 28 Jahre und hätte auf der Bühne der „Met“ stehen sollen. Stattdessen feiert nun Rosa Ponselle als Norma einen ersten großen Triumph. Das Schicksal, so kolportiert Lilliana selbst, „habe sie in einer ganz anderen Rolle in die Heimat zurückgeführt. (…) Die italienische Tradition, von königlichem Vorrecht diktiert, habe bestimmt, dass die Erfüllung ihrer öffentlichen Verpflichtungen nicht damit vereinbar sei, eine große Opernsängerin zu sein. (…) Sie bedaure das nicht, verspüre aber eine gewisse Wehmut darüber, was vielleicht hätte sein können.“
Ein Brief voller Anklagen und unhaltbarer Vorwürfe Teruzzis beendet aus heiterem Himmel die Ehe. Was nun folgt, ist ein Kampf um die Trennung, der sich über viele Jahre und alle Instanzen hinzieht. Die beiden Ehepartner werden sich nicht mehr begegnen; ein persönliches Gespräch, eine Klärung unter vier Augen findet nicht statt. Und während Lilliana trotz der enormen Demütigung öffentlich kein schlechtes Wort über ihren Mann verliert, scheuen Teruzzi und sein ihn aufwiegelndes Umfeld keine Widerwärtigkeiten, sie zu diskreditieren.
Zu den vielen angeblichen Verfehlungen rückt nun doch Lillianas jüdischer Glaube in den Mittelpunkt. Für die rechte Hand Mussolinis, dem Freund Hitlers, ist es undenkbar, mit einer Jüdin verheiratet zu sein. Die Angriffe, zunächst verbaler Art, steigern sich zu körperlichen Übergriffen und Herabwürdigungen, die auch die Eltern Lillianas erleiden müssen. So schnell geht das. Aber auch Teruzzi hat nicht nur Freunde; so ist in einem abgehörten Telefonat überliefert, er sei „ein Ignorant, ein Clown und dazu ein Säufer und ein Perverser […], die Art Mensch, die Schaden anrichtet und es durch Katzbuckeln und Schleimen wiedergutzumachen versucht.“ Damit ist er mit seiner ganzen Ekelhaftigkeit nicht nur eine wirklich ganz arme Existenz, sondern auch tatsächlich „der perfekte Faschist“.
Das Eherecht und alle Entscheidungen obliegen zu der Zeit in Italien der katholischen Kirche. Und diese lässt keinen der genannten Gründe gelten, auch nicht den der mittlerweile streng verbotenen Mischehe. Für Lilliana mag das ein Trost gewesen sein, denn bei einer Annullierung wäre sie weder Ehefrau noch Gouverneursgattin gewesen, dafür eine angehende Operndiva, die ihre Karriere für nichts aufgegeben hätte. Diesbezüglich wird sich auch nichts mehr ergeben. Sie ist fünf Jahre ohne Auftritt, als Tullio Serafin die Oper in Rom übernimmt. Zwar bleibt er ein Freund der Familie, aber er steht sich auch mit den Faschisten gut. Ein Engagement bietet er ihr nicht an.
Was blieb Lilliana nun nach diesen 15 Jahren Kampf außer dem Triumph über Teruzzi? Ihre Karriere war längst zu Ende, kaum dass sie überhaupt begonnen hatte. Das ebenso mondäne wie prominente Leben an der Seite eines Karrieristen hatte sie auch nur kurz genießen können. So stieg sie zunächst in das Unternehmen ihres Vaters ein, lebte später vom investierten Vermögen, reiste und widmete sich der Kunst. Bis heute gibt es den von ihr gestifteten Opernpreis für Debütantinnen an der „Met“. Dem MoMA (Museum of Modern Art), in dessen Aufsichtsrat sie saß, überließ sie ihre exklusive Garderobe inklusive Accessoires. Die „Witwe eines der schneidigsten Generäle Mussolinis“ avancierte bei Familientreffen schließlich zur komischen Alten, „die sich in Geschichten über das Leben im innersten Kreis Mussolinis erging.“ Lilliana Weinman-Teruzzi starb hochbetagt am 15. Dezember 1987 in New York.
Victoria de Grazia bettet diese romanreife und doch wahre Geschichte der Lilliana Weinman in eine beeindruckend detailreiche und bis ins Kleinste recherchierte Abhandlung über den Faschismus in Italien ein. Die Genauigkeit und Ausführlichkeit der politischen Verhältnisse und Entwicklungen ist um so eindrucksvoller, als dass dies alles in einem äußerst gut lesbaren Stil niedergeschrieben ist, kongenial von Michael Bischoff übersetzt. Jedes Kapitel dieses mit gut 500 Seiten sehr umfangreichen Buches ergänzt ein üppiger Anmerkungsteil mit der gesamten Literatur, gefolgt von einem ausführlichen Register. Bilder der beteiligten Personen vermitteln einen Eindruck in das mondän-luxuriöse Leben in glücklichen Tagen.
Die Reise bis zum fertigen Buch, so schreibt de Grazia, dauerte 12 Jahre. Mit ihrer „Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt“ hat sie nicht nur ein hochaktuelles und wichtiges Lehrbuch über den Faschismus verfasst, sondern auch ein großes Gesangstalent und eine bemerkenswerte Kämpferin der Vergessenheit entrissen. Unbedingte Empfehlung für Opernfreunde und politisch wache, interessierte Menschen!
Dr. Regina Ströbl, 14. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at