klassik-begeistert im Gespräch mit den Hamburger Ballettstars
Carolina Agüero und Dario Franconi, Teil I
Carolina Agüero, Solistin und Erste Solistin beim Hamburg Ballett von 2006 bis 2019 mit ihrem Ehemann Dario Franconi, der während derselben Zeit beim Hamburg Ballett als Solist tanzte (Foto: RW)
Wegen John Neumeiers Kameliendame kamen sie nach Hamburg, wurden aber nie in diesem Ballett eingesetzt. Dafür begeisterte Carolina Agüero als Romola in John Neumeiers ikonischem Ballett Nijinsky und Dario Franconi als Der König im Weihnachtsoratorium.
von Dr. Ralf Wegner
klassik-begeistert: Sie stammen beide aus Cordoba in Argentinien, später tanzten Sie gemeinsam beim Ballett de Santiago in Chile und ab Ende der 1990er Jahre kurzzeitig in Stuttgart und Dresden. Bevor Sie nach Hamburg kamen, waren Sie knapp 6 Jahre beim Finnischen Nationalballett engagiert. Was waren bleibende Eindrücke aus dieser Vor-Hamburgerzeit?
Dario: Ich wollte früher schon immer klassisches Ballett tanzen, schon als Junge mit 11 Jahren. Damals fing ich auf Rat meiner Mutter mit dem Ballett-Unterricht an. In Helsinki habe ich klassische Rollen wie den Basil in Don Quixote oder den Prinzen in Schwanensee getanzt. Aber schon dort hatte ich das Bedürfnis, mein Repertoire in eine andere Richtung zu erweitern. Der Hamburger Ballettintendant John Neumeier hat damals in Helsinki seine Version von Tschechows Möwe einstudiert. Ich durfte die Rolle des Trigorin tanzen. In diese Richtung wollte ich mich weiter entwickeln und bin deswegen zusammen mit Carolina John Neumeier nach Hamburg gefolgt.
Carolina: Ich tanzte damals in Finnland bereits u.a. die Julia in John Crankos Ballett Romeo und Julia, Dornröschen (Nurejew) und zusammen mit Dario im Schwanensee. Bei YouTube sah ich die Kameliendame von John Neumeier und habe mich für diese Art des Tanzes begeistert. Deswegen bin ich mit Dario nach Hamburg gegangen.
klassik-begeistert: Wir sahen Sie beide erstmals 2006 als Kitri und Basil (Don Quixote) anlässlich einer Nijinsky Gala in Hamburg, also in einem technisch schwierigen klassischen Stück. Damals verkündete John Neumeier, dass er Sie engagiert habe. Haben sich Ihre damaligen Erwartungen erfüllt, und inwiefern ggf. nicht?
Dario: Meinen Erwartungen haben sich voll erfüllt. Besonders gern habe ich Trigorin in John Neumeiers Ballett Die Möwe und den König im Weihnachtsoratorium getanzt. Gern hätte ich auch die Partie des Gaston in der Kameliendame übernommen, verletzungsbedingt hat es aber nicht geklappt.
Carolina: Ich war sehr zufrieden mit den Rollen, die ich in Hamburg tanzen durfte. Nur die Marguerite in der Kameliendame, wegen der ich mich für Hamburg entschieden hatte, wurde mir leider nie angeboten. Gern hätte ich sie getanzt. Von den anderen Rollen habe ich die Romola in Nijinsky sehr geliebt. Ich habe die Biographie von Romola Nijinsky gelesen und mich in diese Frau hineinversetzt. Ich habe sie als eine ganz normale, ihren Mann tief liebende Frau empfunden und in Zusammenhang mit der wunderbaren Musik versucht, diese Liebe mit tänzerischen Mitteln darzustellen.
Es ging mir grundsätzlich darum, eine Person auf der Bühne darzustellen, in die ich mich gut hineinversetzen konnte. Mir ging auch die Rolle der Emilia in Othello sehr nahe. Die psychischen Misshandlung durch Jago haben mich auf der Bühne persönlich immer sehr mitgenommen, andererseits war mir vom Kopf her immer klar, dass es sich nur um eine Rolle handelt. Ich habe dabei aber immer an das Schicksal von Frauen gedacht, die durch ihre Männer entsprechend misshandelt werden.
klassik-begeistert: Dario, Ballett-Tanz ist Hochleistungssport, wie hat sich, nach Ihrer Erfahrung das physische Leistungsvermögen (Sprunghöhe, Sprungweite, Drehkraft etc.) in den letzten Jahrzehnten verändert? Ist es so, dass heute schon Ensembletänzer Leistungen vollbringen, die früher nur von Solisten gezeigt werden konnten?
Dario: Das technische Niveau hat sich, seitdem ich tanze, deutlich nach oben entwickelt. Was sich aber nicht entsprechend entwickelt hat, ist die darstellerische Kraft, der künstlerische Aspekt der jeweiligen Rolle. Es gibt meiner Meinung nach heute sehr viele gute Techniker, aber nicht so viele Tänzer, die mit ihrem Charisma überzeugen können.
klassik-begeistert: Was sind aus Ihrer Sicht die technisch schwierigsten Partien im klassischen Ballett?
Dario: Es gibt Rollen, bei denen die technisch schwierigen Anforderungen nicht durch Ausdrucksstärke überdeckt werden können. Dazu gehören vor allem die Grand Pas de deux im Nussknacker, im Schwanensee und vor allem im Dornröschen. Im Don Quixote oder im Corsaire kann durch Ausdruck manches wettgemacht werden.
Carolina: Der erste Teil des Auftritts der Aurora im Dornröschen ist technisch sehr anspruchsvoll, nicht nur das Rosenadagio. Das Hüpfen auf der Spitze in Giselle habe ich auch immer als schwer empfunden. Das Springen in den sog. Fisch im Nussknacker ist dagegen nicht schwierig. Lampenfieber kenne ich nicht. Ich bin immer ganz ruhig auf die Bühne gegangen. Ich habe immer dafür gesorgt, dass ich stressfrei auf die Bühne kam.
Dr. Ralf Wegner, 14. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 2 unseres Interviews mit Carolina Agüero und Dario Franconi erscheint Montag, 16. September 2024, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.
Die Kameliendame, Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, Hamburg Ballett, 17. Januar 2024
Dornröschen, Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, 3. Februar 2023
Serie: 5 Jahrzehnte Hamburg Ballett John Neumeier, Teil V Staatsoper Hamburg, 5. Januar 2024