Foto: Claudia Höhne (c)
Elbphilharmonie Hamburg, 8. Januar 2019
Bundesjugendorchester
Wieland Welzel, Pauke
Kirill Petrenko, Dirigent
von Sebastian Koik
Kirill Petrenko ist wieder in der Elbphilharmonie, diesmal mit dem Bundesjugendorchester. Die über 100 Orchestermitglieder dieses Spitzen-Nachwuchsorchesters kommen aus allen Winkeln Deutschlands und sind 14 bis 19 Jahre alt. Doch das hört man überhaupt nicht.
Der ganze Abend beeindruckt – und das Allerbeste kommt zum Schluss: Gnadenlos gut gelingt dem jugendlichen Orchester Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“. Die Musik ertönt fiebrig, sexy, wild. Das ist so stark!! Wenn man es nicht wüsste, würde niemand ein Teenager-Orchester, sondern ein absolutes Spitzenorchester hinter dieser Klasse vermuten!
Nun gut: diese Jugendlichen beweisen sich an diesem Abend als veritables Spitzenorchester, demonstrieren erstaunliche musikalische Reife. Die Auswahl des Orchesters ist hart, nur die etwas mehr als hundert Besten der Nachwuchskünstler des ganzen Landes kommen hinein. Sicher ist es eines der allerbesten Jugendorchester der Welt – und mehr als das.
Präzise und mit Überzeugung schlagen die jungen Herren die Pauken. Manche dieser Paukenschläge spürt man im Bauch: es ist ein körperliches Erlebnis. Stark gestalten die jungen Künstler auch die langsamen Passagen, sie sind voller Spannung. Die plötzlichen Dynamiksprünge gelingen exzellent. Das Bundesjugendorchester spielt den kompletten Strawinsky mit Biss und auf den Punkt. Dramatisch bringen die Musiker den jeweiligen Charakter und die Stimmung der Komposition jederzeit wunderbar in den Saal. Beeindruckende Energie! Atemberaubende, plötzlich präzise einsetzenden Generalpausen! Es ist ein musikalisches Fest.
Im zweiten Teil von „Le sacre“ – „Das Opfer“ – ist sehr viel Ruhe und Kraft in den langsamen Passagen. Unter Petrenko atmet das Bundesjugendorchester Strawinskys Komposition, lässt sie zu herrlichem farbenreichen Leben erblühen. Es gibt ein paar kurze Wackler bei den Hörnern, doch dann „blasen“ die famosen Pauken zum wilden Finale. Herrlich die Flöten! Wahnsinn! Rausch! Man fühlt sich wie ein Teilnehmer an einem archaischen Ritual.
Intensität! Lebensminuten voll praller Lebendigkeit. Es überträgt sich wundervoll auf die Zuschauer, die regelrecht geflutet werden mit Lebendigkeit, sich dank großer Kunst lebendig wie vielleicht selten fühlen können.
Präzision, laute, körperlich überwältigende Tutti, mitreißende Rhythmen, immer wieder tief in die Magengrube schlagende Pauken: Das ist alles unfassbar gut!
Der Jubel und Applaus danach sind gewaltig.
Das unfassbar gute „Sacre“ ist das Highlight, doch auch die erste Konzerthälfte ist schon stark: Der Abend beginnt mit den „Symphonic Dances“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“. Die jungen Musiker spielen voller Energie und Dynamik. Sie sind überhaupt nicht schüchtern, spielen voller Selbstbewusstsein und Lebensfreude herrlich laut.
Das „Somewhere“ gelingt beeindruckend paradiesisch und friedlich. Wunderbar der berühmte „Mambo“-Teil. In den anderen Teilen fehlt es ab und zu minimal an Präzision und Schärfe, doch das ist an diesem wunderbaren Konzertabend die absolute Ausnahme.
Herrlich schön und fast perfekt gelingt den jungen Musikern das Finale mit der wiederkehrenden und einfach zauberhaften „Somewhere“-Melodie.
William Krafts „Konzert für Pauken und Orchester Nr. 1“ ist das zweite Stück des Abends. Wieland Welzel als Solist an der Pauke agiert hoch präzise und souverän, das Bundesjugendorchester spielt makellos. Im ersten Abschnitt viel Energie, im zweiten Abschnitt quietschen und kreischen gespenstisch und unheimlich die Geigen. Unruhig und unheilschwanger tönen die Pauken unter den Händen von Wieland Welzel. Dann kehren Kraft, Energie, Farben und Licht nach dem sehr düsteren Kapitel zurück.
Die Etüde aus der Feder des Solisten als Zugabe ist dann eher als langweilig und vertane Chance zu bezeichnen. Da hätte der starke Solist Welzel der im klassischen Konzertsaal so selten solo erklingenden Perkussion mit einem der zahlreichen interessanten Stücke für diese Instrumentengruppe einen größeren Dienst erweisen können.
Wahnsinnig gut ist dagegen die Zugabe des Orchesters: Dmitri Schostakowitsch „Zwischenspiel aus der Oper »Lady Macbeth von Mzensk«“. Nach dem sensationellen „Sacre“ ein weiteres großes Energie-Gewitter, das das Publikum überwältigt und berauscht. Unter dem unwiderstehlichen Feldherrn Kirill Petrenko gelingt dem famosen Bundesjugendorchester in dem großen, komplex komponierten „Durcheinander“ alles auf den Punkt. Die jungen Musiker erobern in beeindruckender Manier als reife Künstler den Saal.
Sebastian Koik, 26. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de
Leonard Bernstein
Symphonic Dances aus »West Side Story«
William Kraft
Konzert für Pauken und Orchester Nr. 1
Wieland Welzel [als Zugabe des Solisten]
Etüde
Igor Strawinsky
Le sacre du printemps / Bilder aus dem heidnischen Russland
Dmitri Schostakowitsch [als Zugabe des Orchesters]
Zwischenspiel aus der Oper »Lady Macbeth von Mzensk«