Foto: Elbenita Kajtazi, Tomislav Mužek © Brinkhoff/Mögenburg
Staatsoper Hamburg, 17. September 2022, PREMIERE
Carmen
Musik von Georges Bizet
Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy
Die Zeit der Micaëlas ist da. Und Elbenita Kajtazi steht mittendrin! Dieser Ausnahme-Sopranistin, die in der vergangenen Spielzeit bereits als Violetta Valéry begeistern konnte, gehört die sopranistische Zukunft an der Dammtorstraße.
von Johannes Karl Fischer
Erst vor fünf Tagen schrieb ich über Slávka Zámečníková, die Micaëla an der Wiener Staatsoper, von „tiefgreifenden Emotionen, die man in Worten allein nicht ausdrücken kann“. Dasselbe über Frau Kajtazi zu sagen, wäre keinesfalls übertrieben. Sie war der Star des Abends. Ihr strahlender Sopran füllt Räume, erntet Brava-Stürme, verzaubert mit nur einer Arie den fast ausverkauften Saal. In dieser Fassung hätte sie auch locker im Haus am Ring singen können. Das ist mal eine Ansage am Gänsemarkt!
Die Frage, ob Micaëla Liebesgefühle für Don José empfindet, wird von Calixto Bieito eindeutig mit „ja“ beantwortet. Herbert Fritsch ist etwas ambivalenter: „Un baiser de ma mère“, nun ja, sie hat es Josés Mutter versprochen, wirklich passioniert ist sie darüber nicht. Beim zweiten Mal – in der Felsenlandschaft – schafft Frau Kajtazi dann die Befreiung aus dieser seitens der Regie etwas misslungenen Rollengestaltung. Und prompt steht eine voll verliebte Micaëla auf der Bühne!
Ein gewisses Maß an Lächerlichkeit muss man dieser äußerst bunten Inszenierung unterstellen; vor allem der Chor hoppst oft auf der Stelle rum wie in einer Fledermaus-Komödie. Da ist Herrn Fritsch wohl ein Übersetzungsfehler unterlaufen – eine „opéra comique“ ist keine komische Oper!
Aber was waren das für bärenstarke Bilder – vor allem die über alles herrschende Statue der heiligen Maria! Die zahlreichen christlichen Symbole auf der Bühne erinnern daran, dass auch diese – in Bizets Oper sehr freie – Gesellschaft eine zutiefst religiöse sein kann. Endlich gibts bei Carmen mal was zum Nachdenken. Sind die Schmuggler nun eher liberal – wie bei Bieito – oder doch etwas konservativer gesinnt?
Bärenstark war auch Blake Denson als Moralès. Ein röhrender Bariton, fast schon mit ein wenig Bass-Färbung in seiner Stimme. Man fühlt sich an Falk Struckmann erinnert. Er ist ein Offizier, kann Macht ausüben und gleichzeitig mit Micaëla plaudern. Das war mal ein gelungenes Hausdebüt, hoffentlich steht ihm eine steile Karriere bevor.
Vielleicht hätte er besser den Escamillo singen sollen, dann hätte es wohl keine Zwischen-Buhs nach der Toreador-Arie gegeben. Offensichtlich hatten sich einige im Publikum über Kostas Smoriginas etwas forcierten, gepressten Klang geärgert. Singen kann er, das hohe F am Ende saß sattelfest. Aber Stierkämpfer müssen sich eben auch gegen Stiere bewähren. Dieser Toreador müsste eher aufpassen, von den Stieren nicht seinerseits zertrampelt zu werden.
In Anlehnung an die Oscar Straus-Operette könnte man diese Vorstellung auch „Der harmlose Soldat“ nennen. Tomislav Mužek ist ein genialer Sänger, aber er ist kein Kämpfer, kein Soldat und damit kein José. Ein Lyriker par excellence, völlig mühelos seine Arien. Das muss man erstmal hinkriegen, so sanft aufs hohe As zu segeln. Aber es klingt nach „Walther von Stolzing singt Don José“. Er kämpft nicht um seine Geliebte, hat sie auch nicht erstochen. Denn die Musik, mit der er ihr das Messer ins Herz haut, war tatsächlich aus der Partitur raugeschnitten.
Woran sie stirbt, bleibt also unklar. Macht nix, Maria Kataeva war so oder so eine wunderbare Carmen. Zwar eigensinnig, aber durch ihren runden Mezzo doch nicht zu dickköpfig. Frau Kataeva hat Spaß an der Rolle wie die Carmen am Leben. Dass ihr José eigentlich seiner dienstlichen Pflicht nachkommen und dem Appel gehorchen möchte, scheint sie nicht wirklich zu interessieren. Sie tanzt, sie singt, sie ist frei. So muss eine Carmen sein.
Zuletzt ist noch ein kleines Wunder geschehen: Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, einst die absolute Schwachstelle dieses Hauses [Anmerkung des Herausgebers: Oh ja, vor allem die Hornisten], konnte die herausragende Form vom Frühjahr auch in die neue Spielzeit übertragen. Eine neugefundene Wahnsinns-Energie rauscht durch dieses Orchester, auch dank Yoel Gamzous äußerst eifriger Leitung!
Am Anfang legt er los wie eine Herde wildgewordener Bullen, fordert allein in der Ouvertüre mindestens vier Tempowechsel. Leider macht dieses Stockelmotor-Dirigat den Chören ordentlich zu schaffen. Und vermutlich war das auch der Grund für den bereits nach der Pause eintretenden Streit zwischen Bravo- und Buh-Rufen.
Die Zeit der Micaëlas ist da. Slávka Zámečníková hat’s vorgemacht, Elbenita Kajtazi ordentlich nachgelegt. Viele Brava-Rufe für die kosovarische Ausnahmesängerin, völlig verdient. Man blicke mit eifriger Vorfreude auf ihre Manon, Liù und Mimì!
Johannes Karl Fischer, 18. September 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ungeliebte Opern 1: Carmen von George Bizet klassik-begeistert.de , 17. September 2022
Georges Bizet, Carmen, Staatsoper Hamburg, 14. Februar (Valentinstag) 2019
Georges Bizet, Carmen, Nadezhda Karyazina, Staatsoper Hamburg, 7. Februar 2019
Elbenita Kajtazi ist für mich jetzt schon die Sängerin des Jahres.
Auch als Manon ist sie einfach toll.
Berthold Knicker