Oper Halle: "Mephisto regiert in der Bonboniere"

Charles Gounod, FAUST  Oper Halle, 17. September 2022 (Premiere)

Foto: v.l. Chulhyun Kim, Ki-Hyun Park © Anna Kolata

Oper Halle, 17. September 2022 (Premiere)

Faust
Oper in fünf Akten von Charles Gounod
Libretto von Jules Barbier und Michel Carré (1859)

Staatskapelle Halle
Chor, Extrachor und Statisterie der Oper Halle

GMD Fabrice Bollon  Dirigent

von Dr. Guido Müller

Die populäre große französische Oper „Faust“ von Charles Gounod wurde vor allem im deutschsprachigen Raum noch lange bis nach 1945 unter dem Titel „Margarete“ aufgeführt. Den „deutschen“ Stoff „Faust“ des deutschen Nationaldichters Goethe durch einen Franzosen, der zudem als „Erbfeind“ angesehen wurde, komponieren zu lassen, der sich auch nicht scheute, Walzer und andere Unterhaltungsmusik im dem Werk zu verwenden, galt als Sakrileg an deutscher Literatur.  Dabei stand Gounod mit seinen Librettisten der Gretchen-Tragödie des damals noch unbekannten „Ur-Faust“ dem Werk näher, als den deutschen Zeitgenossen bewusst war. Und seine Musik fand leicht Eingang in die deutschen Salons und Opernhäuser. Bis heute ist „Faust“ wohl die neben „Carmen“ populärste französische Oper.

Der britisch-australische Intendant der Oper Halle und Regisseur Walter Sutcliffe stellt nun die dritte Figur der Tragödie in den Mittelpunkt: den Teufel Mephistopheles. Die Rolle des Bösewichts als Strippenzieher ist ja auch nur zu dankbar.

Sutcliffe führt dazu zur Ouvertüre den Prolog im Himmel mit Gott und Mephisto wieder ein. Diesem schaut Faust aus seinem Opernsessel zu, da es nach Goethe und Sutcliffe in der Tragödie auch darum geht, wie Theater sein soll. Also das Ganze als „artifizielle Parabel“.

Franziska Krötenheerdt, Chor der Oper, Extrachor der Oper, Statisterie der Oper © Anna Kolata

Sutcliffe sieht Mephisto in einer Midlife-Crisis. Auf der Welt haben die Menschen die Rolle des Teufels übernommen, der somit nichts mehr zu tun habe. Gott im Himmel sieht nur in Faust eine Ausnahme und wettet mit Mephisto, ob er es schaffe, Faust zu verführen. Das Objekt ist Margarete. Sie wird damit zum Handelsobjekt aller Männer – angefangen von Gott. Diese frauenverachtende Linie prangert Sutcliffe in seiner Inszenierung durchgängig und immer schärfer an.

Im zweiten und dritten Akt noch als bonbonbunte Satire im Popstil auf die Mechanismen der Gesellschaft. Und im vierten und fünften Akt kippt dann dieses extrem künstliche, schon fast schmerzlich komisch-bunte Bild einer sozialen Bonboniere (Pop-Bühne Kaspar Glarner und äußerst bunte Kostüme Dorota Karolczak), in der Mephisto die Menschen führt, in die Tristesse einer Gesellschaft, die Margarete ausschließt und verdammt und in eine Welt der brutalen Soldateska, die sie vergewaltigt, in die Abtreibung ihres Kindes von Faust und schließlich in die Prostitution und Drogen treibt. Hier inszeniert Sutcliffe plötzlich sehr realistisch, und nicht mehr nur als Parabel, um zu berühren.

Den fünften Akt der Walpurgisnacht lässt Sutcliffe in der Oper Halle spielen und die Gesellschaft (der Chor) schaut der Tragödie Margaretes von den Rängen auf der Bühne zu. Sie schaut somit einer Oper zu, in der eine Frau von ihren sozialen Mechanismen getötet wird, indem sie in den Freitod geht. Und dann erst wäscht sich diese Gesellschaft mit dem moralisierend-frömmelnden „Gerettet“ frei und hebt sie quasi zu den Engeln.

Walter Sutcliffe gelingt es hervorragend, die Fallhöhe von der bunten, selbstreferentiellen Pop-Gesellschaft der ersten drei Akte nach der Pause in die düsteren, zerstörerischen und frauenverachtenden Kräfte dieser Gesellschaft im vierten und fünften Akt darzustellen. Das Ganze umklammert er mit einem Prolog und einem Epilog.

Walter Sutcliffe fügt zum musikalischen Schlussgesang einen Epilog an, in dem zunächst der Rauschebart-Gott auf  seiner Wolke Margarete zu sich in den Himmel holt. Doch sie wirft Gott dann vom Himmel auf die Erde, triumphiert und Mephisto freut sich als Letzter über seinen Triumph des Weiblichen.

Mit einem so großen Schauspieler und tief in allen Nuancen seines schwarzen, zugleich oft auch baritonal-elegant gefärbten Basses ist die Rolle des Mephisto durch Ki-Hyun Park grandios besetzt. Der Regisseur Sutcliffe gibt Park die Gelegenheit auch sein komisches Talent voll auszuspielen. So wird er im Spiel und Gesang zum heimlichen Hauptakteur der Oper.

Franziska Krötenheerdt © Anna Kolata

Ihm steht der wunderschön gesungene Sopran von Franziska Krötenheerdt als Margarete kaum nach. Sie weiß Pianissimi schon im dritten Akt im berühmten „Lied des König von Thule“ zum Leuchten zu bringen, dass der Zuschauer den Atem anhält. So wird auch die folgende berühmte Juwelenarie nicht nur zum Koloraturkunststück sondern Ausdruck einer menschlichen Figur. Ihre perfekte dramatische und stimmliche Gestaltung im gesellschaftlichen und emotionalen Fall, den Franziska Krötenheerdt im vierten und fünften Akt darstellen muss, lässt das Publikum mucksmäuschenstill sein und erzeugt Gänsehaut.

Berührend gelingen Franziska Krötenheerdt auch ihre Duette und Szenen mit dem Tenor Chulhyun Kim, der seine schwierige Rolle als Faust zunehmend überzeugend zu gestalten weiß.

Leider ist das Französische keine leicht zu singende Opernsprache und Sprachcoachs können sich die wenigsten Opernhäuser leisten. Da die Übertitelung (und vorzügliche Dramaturgie Boris Kehrmanns) sich öfter auch näher am Originaltext Goethes orientiert als am französischen Original, wird weniger bemerkt, wenn das französische Idiom nicht so genau getroffen wird.

In den kleineren Rollen fallen in der schauspielerischen und musikalischen Gestaltung besonders positiv – übrigens auch im Französischen – Andreas Beinhauer als Valentin – großartig im 4. Akt – und Yulia Sokolik als Siebel auf, die auch den ersten Szenenapplaus erhält.

Gabriella Guilfoil singt und spielt die Marthe Schwerlein nicht nur an der Seite des Teufels mit Drive, Charakter und enormer Bühnenpräsenz. Michael Zehe verkörpert und singt Wagner überzeugend.

Ganz ohne Gäste vermag die Oper Halle so durch eine runde Ensembleistung zu überzeugen. Dazu gehört auch ein von Johannes Köhler einstudierter großer Chor und Extrachor.

Der musikalische Leiter des Ganzen ist der in diesem Jahr von Freiburg (Breisgau) nach Halle berufene neue französische Generalmusikdirektor Fabrice Bollon. Mit seiner großen Erfahrung gerade im französischen Repertoire leitet er die Staatskapelle souverän und einfühlsam durch den Zauber, die Farbigkeit und Dramatik dieser großartigen Opernpartitur. Ihm und der Staatskapelle gilt ein besonderes Bravo – das er vielfach auch vom zahlreichen Publikum erhielt.

Eine absolute Besuchsempfehlung für diese schön anzusehende, in sich schlüssige und musikalisch vorzügliche Produktion – gerade auch für Opernanfänger. Viel junges Publikum im Zuschauerraum bei der Premiere zeigte sich begeistert.

Dr. Guido Müller, 18. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Charles Gounods „Faust“  Opernloft im alten Fährterminal, 25. Juni 2022

Faust, Charles Gounod Wiener Staatsoper, 23. Mai 2021

DVD-Besprechung, Charles Gounod, Faust, Royal Opera House London klassik-begeistert.de

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