Hamburg: Die Wiederaufnahme von Bizets Carmen läßt Wünsche offen

Georges Bizet, Carmen, Opéra in vier Akten  Staatsoper Hamburg, 24. September 2024

Hongping Ruan (Frasquita), Narea Son (Micaëla), Vittorio Grigolo (Don José), Ginger Costa-Jackson (Carmen), Chao Deng (Escamillo), Kady Evanyshyn (Mercédès), Peter Galliard (Remendado) (Foto: RW)

Zusammenfassend war es ein eher durchwachsener Abend in der Hamburgischen Staatsoper. Vielleicht wurde zu wenig geprobt. Möglicherweise litt Frau Costa-Jackson (Carmen) auch unter Hausdebüt-Anspannung, was das freie Singen beeinträchtigte. Wünschen wir ihr, dass die Folgeaufführungen dieser Serie deutlich besser gelingen.

Carmen, Opéra in vier Akten
Musik von Georges Bizet

Philharmonisches Staatsorchester
Musikalische Leitung: Sesto Quatrini

Inszenierung und Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: José Luna

Staatsoper Hamburg, 24. September 2024

von Dr. Ralf Wegner

„Insgesamt gelang dem Team um Herbert Fritsch ein Über­­raschungscoup. Die zunächst befremdliche Überzeichnung des auftretenden Personals machte schließlich Sinn, nahm dem Werk den pseudorealistisch-reißerischen Ef­fekt und kam wegen der Übertreibung auch nicht nur in die Nähe des gefühligen Kitsches. Umso stärker gelangen die Momente der seelischen Vertiefung, wenn wie in dieser Aufführung Sängerinnen wie Maria Kataeva und Elbenita Kajtazi zur Verfügung standen. Dass Männer allesamt Trottel sind, werden wir schmunzelnd ertragen“.

So schrieb ich über die Premierenserie des Jahres 2022. Diesmal war es anders. Der Tenor freundete sich mit der Rolle des männlichen Trottels nicht an und den als Carmen und Micaëla besetzten Damen gelang es nicht, ihre Partien im Sinne der Inszenierung zu vertiefen, weder gesanglich, noch darstellerisch. Auch die Orchesterleistung ließ zu wünschen übrig. Bereits die Ouvertüre klang wie verwaschen, als ob die einzelnen Instrumentengruppen nicht dem Tempo des Dirigenten folgen wollten oder konnten und sich überlagerten. Einzig die Gruppe der Choristinnen sang im ersten Akt beim kurzen Chor der Zigarettenarbeiterinnen erinnerungswürdig.

Was ist eine Carmen ohne Carmen? Gut soll sie aussehen, vor allem aber mit ihrer Stimme erotisch anziehend und liebesbetörend wirken, seelische Hingabe zeigen und schließlich das Melodram in allen Facetten zum Ausdruck bringen.

Das gelang der 38jährigen US-amerikanischen Mezzosopranistin Ginger Costa-Jackson nicht. Ihre Stimme blieb eindimensional, ohne die Partie gesanglich mittels Klangvariation zu vertiefen. Zudem wirkte ihr Mezzo, von Forteausbrüchen abgesehen, eher graphitschwarz, ohne jede weitere Farbmodulation. Auch darstellerisch vermittelte Costa-Jackson mit oft eher grimmigem Gesichtsausdruck nicht das Bild einer die Männer betörenden, liebesfähigen und sich trotzdem ihrer Unabhängigkeit sicher wähnenden Geliebten.

Vielleicht hatte Ginger Costa-Jackson auch nur einen schlechten Abend, denn bei YouTube eingestellte Aufnahmen von ihr als Carmen zeigen eine deutlich bessere stimmliche Leistung.

Vittorio Grigolo war als Don José besetzt. Er überzeugte mit glänzendem Stimmschmelz vor allem im Forte und gab der Partie darstellerisch einen dominant-männlichen Anstrich, der die Unsicherheit des Don José in Liebesdingen weniger als der in der Premierenserie besetzte Tomislav Mužek zum Ausdruck brachte. Zudem schien Grigolos Stimme im Piano bzw. den mehr lyrischen Phasen wie beim Ende der Blumenarie („Carmen, je t’aime“) an Klang zu verlieren.

Das Carmen-Ensemble mit dem Dirigenten Sesto Quatrini (Foto: RW)

Es ist sicher schwer, mit der tiefinnig singenden Micaëla von Elbenita Kajtazi verglichen zu werden. Aber Narea Son standen die gerade für diese Partie erforderliche Stimmschönheit und ein entsprechender Sopranglanz nicht genügend zur Verfügung. Auch vermochte sie mit ihrer großen Arie im dritten Akt seelisch nicht zu berühren. Der Zwischenbeifall fiel deshalb auch recht kurz aus. In ihrem blauen Kostüm wirkte sie auf der Bühne zudem wie eine verirrte Turandot, was bei Kajtazi, die in der Premierenserie ja nicht anders gekleidet war, wegen deren intensiver gesanglicher Rolleninterpretation überhaupt nicht auffiel.

Das Hamburger Ensemblemitglied Chao Deng durfte die Partie des Escamillo singen. Sein schöner Stimmklang kam vor allem im dritten Akt bei den Duetten mit Don José und mit Carmen zum Tragen. Bei der Auftrittsarie als Torero konnte er stimmlich aber nicht ganz seine körperliche Fülle überspielen.

Von den weiteren Rollen fielen Kady Evanyshyn als Mercédès und Nicholas Mogg als Moralès positiv auf. Mit dem Wenigen, was die Mezzosopranistin Evanyshyn zu singen hatte, überzeugte sie stimmlich mehr als Ginger Costa-Jackson mit ihrer gesamten Carmenpartie.

Zusammenfassend war es ein eher durchwachsener Abend in der Hamburgischen Staatsoper. Vielleicht wurde zu wenig geprobt. Möglicherweise litt Frau Costa-Jackson auch unter Hausdebüt-Anspannung, was das freie Singen beeinträchtigte. Wünschen wir ihr, dass die Folgeaufführungen dieser Serie deutlich besser gelingen. Und, um es nachzutragen, das Publikum im voll besetzen großen Saal der Hamburgischen Staatsoper reagierte am Ende der Vorstellung mit langanhaltendem und begeisterten Applaus, insbesondere für Vittorio Grigolo und Ginger Costa-Jackson.

Dr. Ralf Wegner, 25. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Georges Bizet, Carmen Staatsoper Hamburg, 20. Juni 2024

Georges Bizet, Carmen Staatsoper Hamburg, 23. Mai 2023

Georges Bizet, Carmen Hamburgische Staatsoper, 5. Oktober 2022

3 Gedanken zu „Georges Bizet, Carmen, Opéra in vier Akten
Staatsoper Hamburg, 24. September 2024“

  1. Sehr geehrter Herr Dr. Wegner, mir scheint, dass die Verantwortlichen der Staatsoper Hamburg diese Saison als Abschied auf Sparflammen konzipiert haben, wofür die aktuelle Besetzung ein Prachtbespiel ist. Ich habe diese Inszenierung in der ersten Serie gesehen und mir war klar, dass alles, ja ALLES mit der Besetzung der Titelrolle steht und fällt. Kataeva war perfekt: stimmlich, schauspielerisch … und hübsch noch dazu. Als ich die Ankündigung der jetzigen Besetzung las, sagte ich sofort: Das wird keinen Erfolg haben… und behielt Recht. Costa-Jackson kenne ich nicht, aber Grigolo sehr wohl, der seine „Show“ als Don José immer wieder durchzieht… egal was! Diese Produktion ist heikel, kompliziert, und wenn die Protagonisten nicht gewillt oder nicht dazu fähig sind, ihrer Rollen gerecht zu werden, soll man das Werk in dieser Form nicht aufführen, denn „durchwachsen“ ist als Beschreibung ein Hilfsausdruck! Zum ersten Mal in 15 Jahren werde ich nicht nach Hamburg pilgern, denn dies ist die liebloseste Saisongestaltung der Opernaufführungen, die je gelesen habe.

    Sheryl Cupps

  2. Ja, das waren noch Zeiten, als Berganza und Domingo in Hamburg in Carmen sangen und die Fans nachts vor der Kasse campierten, um an Karten zu kommen. In meiner Loge waren vorgestern von den 19 Plätzen nur 8 besetzt!

    Hartmut Funke

  3. Baltsa/Carreras, u.a. großartige live Carmen-Vorstellungen, so auch vor 3 Wochen in Wien die wunderbare Carmen-Entdeckung Aigul Akhmetshina mit Grigolo in Bestform! Was heißt „seine“ Show abziehen ? Allenfalls beim curtain call hat er sein Ritual. Auf der Bühne ist Show das Thema, und diese HH-Produktion der Regieeitelkeit bietet leider nicht einmal dazu die Gelegenheit. So gab es in Wien Micaëla Elsa Dreisig und Escamillo Erwin Schrott, nicht mehr auf der Höhe, aber exzellenter Routinier… und aus dem Graben mit Morandi zumindest gute Kapellmeisterleistung und das war hier in HH am 24.9. leider ein peinliches Defizit.
    Mit einer Themaverfehlung seitens der Regie, dazu passend entsprechend unsinnige Kostüme… bleibt mir noch Mitleid mit den Protagonisten… aber immerhin viel junges Publikum!

    Georgina

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