Jonas Kaufmann und Maria Agresta in „Pagliacci“ © Michael Pöhn/Staatsoper
Schrei Bajazzo, schrei dir den Schmerz aus der Seele! Bei Jonas Kaufmann liegt der eher tiefer vergraben. Man of the night an der Wiener Staatsoper: Luciano Ganci, der für Jonathan Tetelman in „Cavalleria rusticana / Pagliacci“ einspringt. An Elīna Garanča zieht aber keiner vorbei. Die spielt als Santuzza in einer eigenen Liga. Verismo pur, unverblümte Realität, die selbst Jean-Pierre Ponnelles karge Feldstein-Inszenierung wachrüttelt.
Cavalleria rusticana, Pietro Mascagni
Pagliacci, Ruggero Leoncavallo
Wiener Staatsoper, 12. Januar 2025
von Jürgen Pathy
Die Forderung nach einem „recht frisch kurierten Kammersänger“ ist unverständlich. Wen auch immer ein Kommentator hier im Blog gemeint hat: Der Turiddu war doch in besten Händen. Luciano Ganci, Italiener, ein lirico spinto mit messerscharfen Konturen und glasklarer Stimme.
Ob Jonathan Tetelman das ebenso hinbekommt, muss er erst beweisen. Wegen einer Erkrankung hatte der Shootingstar diese erste Vorstellung abgesagt. Bei der Folgeaufführung fehlt er ebenso: Kindersegen für den chilenisch-US-amerikanischen Tenor, der kurzerhand nach Bukarest gereist ist. Töchterchen Aria Joanna Tetelman hat das Licht der Welt erblickt. Sonntag soll er aber dabei sein. Ganci hatte sich den Abend sowieso fast einverleibt. Wäre da nicht Elīna Garanča, die beim Verismo ihre große Klasse zeigt.
Elīna Garanča sticht alle aus
Generell war die erste Hälfte beeindruckender. „Nein, gar nicht“, widerspricht ein Stammgast. Die Musik sei beinahe einschläfernd gewesen. Einspruch! Das könnte subjektiv der Partitur geschuldet sein. 20 Minuten mal fast nur Orchester, kammermusikalisch beinahe, sanft, lieblich. Eine heile Welt, die Komponist Pietro Mascagni zu Beginn von „Cavalleria rusticana“ zeichnet. Walkürenklänge fast, die Dirigent Nicola Luisotti am Pult der Wiener Philharmoniker veristisch zelebriert. Ausgedehnt, mit einem Schuss dolce, bevor die bittere Moll-Realität alle auf den Boden holt. Das Intermezzo in Dur dann zum Dahinschmelzen.
Die Welt des „Pagliacci“ sieht anders aus. Orchestral, atmosphärisch als auch stimmlich ein Kontrast. Während Elīna Garanča in der „Cavalleria“ jeden Zweifel aus dem Weg räumt – die Gedanken, sie sei nur unterkühlt, sind wie weggeblasen. Mit Feuer und Flamme peitscht die Lettin ihre hohe Mezzosopran-Stimme durch die karge Inszenierung einer süditalienischen Ortschaft –, steht Jonas Kaufmann zum Glück dann Maria Agresta gegenüber. Die stemmt sich als Nedda weniger voluminös dagegen.
Dem Tonio, an diesem Abend Adam Plachetka, stiehlt er aber die Show. Ein Bariton, der normal den Prolog zu singen hat. Die Wiener kennen ihn. Jahre hatte der Tscheche im Ensemble der Wiener Staatsoper gesungen, bevor er als freier Künstler zum Höhenflug angesetzt hat. Kaufmann reißt sich den Prolog unter den Nagel. Schlägt sich insgesamt solide, trifft die Höhen, ohne groß zu glänzen. Etwaige Reserven sollten noch mobilisiert werden. Das Publikum deutet es ähnlich. Langer Applaus für den Startenor, mehr Euphorie bei Elīna Garanča, die zur Halbzeit schon vor den Vorhang musste.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 15. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
https://www.youtube.com/watch?v=gomcF9PTcl8&t=2409s
DI W. Becker