Hanna-Elisabeth Müller: Die Herzenskönigin

CD-Besprechung: Hanna-Elisabeth Müller, Reine de cœur  klassik-begeistert.de

Dieses Album ist ein goldener Standard der Liedkunst

Die neue Lied-CD „Reine de cœur“ der Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller und ihrer Klavierpartnerin Juliane Ruf

Reine de cœur. Lieder von Robert Schumann, Francis Poulenc und Alexander von Zemlinsky. Hanna-Elisabeth Müller (Sopran), Juliane Ruf (Klavier). Erschienen bei Pentatone, Februar 2020.

Foto: © Chris Gonz

von Dr. Lorenz Kerscher

Eine sympathische junge Frau, seit 2010 Mitglied der Opernstudios und von 2012 bis 2016 Ensemblemitglied, hat sich sehr schnell in die Herzen des Publikums der Bayerischen Staatsoper in München gesungen: Hanna-Elisabeth Müller, geboren 1985, „mit feinem hellem Timbre gesegnet und grundmusikalisch gestaltend“, wie eine Kritikerstimme zutreffend schrieb. Von Anfang an überzeugte sie in lyrischen Rollen wie Pamina, Zerlina, Gretel und Susanna, inzwischen zeichnet sich mit den angekündigten Debüts als Meistersinger-Eva und als Elettra in Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“ eine Entwicklung hin zum jugendlich-dramatischen Fach ab. Ein Raunen ging durch den Blätterwald, als sie bei den Salzburger Osterfestpielen 2014 die Zdenka in „Arabella“ von Richard Strauss darstellte und, wie die Zeitungen berichteten, den Stars Renee Fleming und Thomas Hampson die Schau stahl. Im selben Jahr wurde sie auch von der Zeitschrift OPERNWELT als Nachwuchskünstlerin des Jahres ausgezeichnet. Bald folgten Engagements an anderen Bühnen von Weltgeltung wie der Metropolitan Opera New York, der Mailänder Scala und inzwischen auch der Wiener Staatsoper.

Daneben war sie regelmäßig in bedeutenden Konzertsälen zu erleben, als Solistin in Oratorien und symphonischen Werken, aber auch in kleinerem Rahmen als Liedsängerin. Seit 2011 bildet sie mit der stilsicheren und mit einfühlsamer Anschlagkultur gesegneten Pianistin Juliane Ruf ein festes Liedduo. Ihre erste CD „Traumgekrönt“ brachten die beiden 2017 heraus, es sind spätromantische Liebeslieder von überwiegend heiterem, optimistischem Charakter, deren zärtliche Botschaften teilweise symbolisch in der Welt der Blumen abgebildet sind.

Das neue, im Februar 2020 erschienene Album verlässt die Pfade jugendlicher Unbeschwertheit und verbirgt hinter dem Titel „Reine de cœur“ ein Repertoire, in dem auch Abgründe lauern. Schon die einleitenden Sechs Gesänge op. 107 von Robert Schumann handeln von unstillbarem Liebesleid. Um auszudrücken, was in diesen Gedichten steckt, lässt Hanna-Elisabeth Müller ihre schöne und klare, bestens ansprechende und präzise geführte Stimme strömen, baut mit überwiegend leisen Tönen Spannung auf und gestaltet dank ihrer außergewöhnlichen Legatokultur selbst im Pianissimo spannungsvolle Bögen. Bei allem Schmerz entsteht eine zärtliche Stimmung, der Juliane Ruf noch wunderschöne Nuancen hinzufügt. Immer folgen die beiden Künstlerinnen dem natürlichen Ablauf von Text und Melodie und erreichen am Ende des Zyklus ohne jedes falsche Pathos und umso beglückender den versöhnlichen Schlussvers „Wirf ab, Herz, was dich kränket und was dir bange macht.“

Es folgt der im Geiste von Kinderliedern gehaltene, aber keinesfalls triviale Zyklus „La courte paille“ (Der kurze Strohhalm) von Francis Poulenc. Dieser schildert nicht nur skurrile Phantasien, wie von dem Floh, der den Elefanten im Wagen zieht, und von der Karaffe, die ein Baby bekommt, sondern bringt auch Sorgen und Nöte zum Ausdruck. Es steckt ungeahnt viel Doppelbödigkeit in diesen Liedern, die hier durch eine herausragende Interpretation aufgedeckt wird. Da ist der Kummer der Mutter, weil ihr Kind nicht schläft und deshalb am nächsten Tag unglücklich sein wird, oder das Geheimnis der Herzenskönigin, die uns in Häuser führt, wo jung Gestorbene von Liebe sprechen. Am versöhnlichen Ende führt dann der Mond in ein Land, in dem alle Gewehre zerstört werden. In der Abfolge langsamer und schneller Lieder in diesem Zyklus wechselt Hanna-Elisabeth Müller zwischen zarten poetischen Tönen und sprudelndem Stimmsilber. Einige Male fühlt man sich in die Kindheit zurückversetzt, als einem die Mutter etwas Geheimnisvolles ins Ohr flüsterte, etwa wenn das Wirken der Herzenskönigen beschrieben wird oder am Ende nach glanzvollem Aufstrahlen der Frühlingssonne leise und heimlich die Gewehre zerbrechen.

Mit den Walzergesängen Op. 6 (1898) von Alexander von Zemlinsky folgt ein überwiegend heiteres, auch Überschwang zulassendes Intermezzo. Hier kann die Pianistin voller Elan den Walzertakt umspielen, während die Sängerin ihre Stimme hell strahlen lässt und im letzten Lied „Briefchen schrieb ich“ einem leidenschaftlichen Höhepunkt zustrebt. Anschließend führt der Bogen zurück zu Francis Poulenc, dessen „Fiançailles pour rire“ (Verlobungen zum Lachen) von aussichtsloser, manchmal tragischer Liebe handeln.

Poulencs klarer, die Tonalität beibehaltender neoklassizistischer Stil mit einigen Anklängen an französische Chansons bietet Hanna-Elisabeth Müller beste Möglichkeiten, um mit gleichmäßig strömendem Atem und schönstem Legato ausdrucksstarke Melodiefäden zu spinnen. Man spürt hier ganz besonders, wie wichtig es ihr ist, dem Text gerecht zu werden. Dass die französische Sprache sehr gut zu ihrem Timbre passt, kommt ihr ebenso entgegen wie ihre stimmlichen Möglichkeiten, die ihr die Umsetzung feinster Nuancen erlauben. Wenn am Ende der Zyklus mit „Fleurs“ in ätherischer Schönheit ausklingt, möchte man dieser Stimme nur noch das Attribut „makellos“ anheften.

„Sechs Gedichte und Requiem Op. 90“ von Robert Schumann, mit denen das Album schließt, handeln vom Abschied, der im ersten Lied noch heiter wirkt, aber immer schmerzlicher wird, bis im abschließenden „Requiem“ ein geliebter Verstorbener betrauert wird. Wieder erlebt der Hörer eine reife Interpretation mit überwiegend leisen Tönen. Nur zu den Worten „Jubelsang“ und „Feiertöne“, die in „Requiem“ den Himmel öffnen, blüht die Stimme zu voller Strahlkraft auf, um dann zum Klang der Engelharfe gleich wieder in zartfühlende Register zurückzugehen und einen versöhnlichen Abschluss zu finden. Die reichen Gestaltungsmöglichkeiten, mit denen Schumann den Klavierpart ausstattet, nutzt Juliane Ruf mit herausragendem Stilgefühl und in bestem Einvernehmen mit der Sängerin. Es ist einzigartig, wie harmonisch sich das Zusammenwirken dieses Liedduos innerhalb der neunjährigen Zusammenarbeit entwickelt hat! Auch dies trägt neben dem hochinteressanten Repertoire dazu bei, dass das Album „Reine de cœur“ einen goldenen Standard der Liedkunst setzt.

Dr. Lorenz Kerscher, 3. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Medien:

  • Videomitschnitte aus dem Tonstudio:
    – Poulenc, La Reine de cœur: https://youtu.be/qGi12HRe_HA
    – Zemlinski, Briefchen schrieb ich: https://youtu.be/ZI1eR4W-SzE
    – Poulenc, Il vole: https://youtu.be/y6ML2AnXl4Q
  • Biografisch sortierte Playlist der Videos von und mit Hanna-Elisabeth Müller in Youtube:
    https://www.youtube.com/playlist?list=PL9ukUDVOSZOcrt23WxLrjgdImRnow6Kvn
  • Hanna-Elisabeth Müller in Wikipedia:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Hanna-Elisabeth_M%C3%BCller

 

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