Rudolf Buchbinder reist durch den Beethoven-Kosmos

Rudolf Buchbinder: Der letzte Walzer. 33 Geschichten über Beethoven, Diabelli und das Klavierspielen,  Buchbesprechung

Foto: © Marco Borggreve

Buchbesprechung:

Rudolf Buchbinder: Der letzte Walzer. 33 Geschichten über Beethoven, Diabelli und das Klavierspielen (Amalthea)

von Herbert Hiess

Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende  Starpianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.

Und gerade die 1823 fertiggestellten „Diabelli“-Variationen sind ein Werk, das der Pianist als „Magnum Opus“ bezeichnet. „Dieses Werk ist sozusagen eine Zusammenfassung des ganzen Musikschaffens Beethovens“, sagte Rudolf Buchbinder im Telefongespräch mit klassik-begeistert.de. Anton Diabelli, dessen Vater noch Demon hieß, italienisierte seinen teuflischen Namen passend auf Diabelli. Offenbar war es schon um 1820 ein Phänomen, dass sich exotisch klingende Namen besser verkaufen ließen, als konventionelle Alltagsnamen.

Im Kapitel 3 des 33 Kapitel umfassenden Werkes („Ich hielt mich beim Aufbau des Werkes genau an die Abfolge von Diabellis Werk“) erzählt Rudolf Buchbinder (RB) nicht humorfrei, was für ein gewaltiges Marketinggenie Diabelli doch war. Er war ja neben seiner Kompositions- und Musiklehrertätigkeit auch noch Herausgeber und Verleger. Doch er selbst hätte sich nicht träumen lassen, was Beethoven aus der relativ einfachen Melodie machte.

Der Ländler oder Walzer („Man soll ja nicht versuchen, nach diesem Walzer zu tanzen. Das ist immerhin ein Prestowalzer“, so RB) ist eigentlich relativ einfach und wurde von Beethoven etwas despektierlich „Schusterfleck“ genannt. Beethoven entwickelte daraus ein ähnlich komplexes Werk wie seine drei letzten Klaviersonaten, seine späten Streichquartette oder eben auch die „Missa Solemnis“.

RBs neues Buch ist eine Mischung zwischen RB-Biographie, Beethoven-Biographie und Zeitgeschichtsbuch. Die 33 Kapitel lesen sich angenehm, ohne je mit dem oberlehrerhaften Zeigefinger aufzutrumpfen. Der sympathische Pianist erzählt auch, mit welcher Selbstverständlichkeit Beethoven fast immer den Rahmen sprengte. So gesehen passen sich die Variationen in puncto Fortschrittlichkeit perfekt in seine letzten Werke ein.

© Marco Borggreve

RB hat diese Variationen bereits zum dritten Mal aufgenommen (zuletzt bei der Deutschen Grammophon). Im Buch wird auch auf eine Neuerscheinung der fünf Klavierkonzerte mit fünf verschiedenen Orchestern und Dirigenten verwiesen. Diese sind der Reihe nach Andris Nelsons, Mariss Jansons, Valery Gergiev, Christian Thielemann und Riccardo Muti.

Das Buch ist in jedem Kapitel aufgehübscht mit netten Notenfaksimiles der Variationen. RB: „Ich habe sogar die Originalausgabe des Werkes. Das Autograph befindet sich im Beethoven-Haus in Bonn. Zuvor war er in Privatsitz bei einer Schweizer Familie. Ich habe sogar mit einem Konzert den Ankauf des Werkes für das Beethoven-Haus unterstützt“. Seitdem ist das kostbare Werk auch öffentlich zugänglich.

Foto: © Daniel Dittus, Elbphilharmonie Hamburg. Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks / Mariss Jansons, Rudolf Buchbinder.

RB hat übrigens drei Steinway-Flügel in Privatbesitz: „Steinway hat sozusagen ein Weltmonopol bei dieser Klasse von Flügel. Da tue ich mir auch bei Reisen leichter“. Von Hammerklavieren hält er überhaupt nichts. „Beethoven war zeit seines Lebens mit den Instrumenten unglücklich. Stellen Sie sich vor, er hätte die heutigen Instrumente. Was denken Sie, was er da alles schreiben hätte können“, so RB.

Sein Lieblingspianist war und ist übrigens Arthur Rubinstein. „Rubinstein war für mich ein Ausnahmekünstler. Egal, ob Beethoven, Mozart oder Rachmaninow. Wenige haben diese umfassende Palette wie er“.

In Kapitel fünf transferiert er die Leser über Gneixendorf nach Grafenegg. Er beschreibt da recht genau, wie sich Beethovens Aufenthalte in dem Haus seines Bruders in Gneixendorf bei Krems abspielten. Nur ein Jahr vor seinem Tod 1827 hielt sich der Meisterkomponist öfters dort auf. Das Haus „ist eigentlich sehr heruntergekommen und gehörte dringendst renoviert“ so RB. Offenbar wartet der Besitzer dieses Privatmuseums darauf, dass ihm das Haus vom Land Niederösterreich abgenommen wird.

Wenige Kilometer von Gneixendorf befindet sich das Schloss Grafenegg, wo RB seit 2007 Intendant ist. Im Wolkenturm und im Auditorium werden jährlich im Sommer Konzerte veranstaltet. „Grafenegg kannte ich schon seit meiner Jugend, denn ich habe in der Reitschule (Anm.: der frühere Konzertsaal) viele Konzerte gegeben. Ich wollte damals ein Musikzentrum machen; ein Festival im Sommer“.

© Studio Iris – Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H.

Dank der Unterstützung der niederösterreichischen Landesregierung ist es ihm auch gelungen. Für ihn hat es da auch den Vorteil: „ich brauche keinen Kompromiss machen, ich kann dort künstlerisch machen, was ich will. Ich engagiere da die Crème de la Crème der Musikwelt – auch wenn ich viele der dort auftretenden Künstler nicht mag“. Offenbar siegt da die Professionalität über persönliche Präferenzen.

Nun ist 2020 nicht nur das Beethoven-Jahr, sondern leider auch das COVID-19-Jahr. Der unselige Virus lässt viele freischaffende Künstler mit dem Rücken zur Wand stehen. Buchbinder empfiehlt ihnen „Durchhalten, durchhalten“. Offenbar weiß er, dass sich das leicht sagt, denn im nächsten Augenblick sagt er: „Das ist eigentlich ein Krieg ohne Waffen“. Stand April 2020 sagt er, dass man noch zuwarten kann, obwohl er das Auftreten einzelner Ensembles bezweifelt. „Ob das Pittsburgh Symphony Orchestra im Sommer kommen wird, ist sehr, sehr fraglich“.

Das Buch ist tatsächlich eine Mixtur zwischen Beethoven-Biographie, Buchbinder-Biographie und einem Zeitgeschichtsbuch. Das Sujet hat sich durch mehrere Treffen mit Freunden ergeben, wo auch der umtriebige Kulturexperte Axel Brüggemann offenbar dabei war. So hat dieser genial diese Gespräche in die schon erwähnten 33 Kapitel gepackt und daraus einen hochinteressanten Lesestoff gebastelt.

Für Musikfreunde allemal lesens- und habenswert; nicht nur in Zeiten einer freiwilligen oder unfreiwilligen Quarantäne. Durch die leicht lesbaren Abschnitte eignet sich das Buch exzellent fürs Nachtkasterl!

Herbert Hiess, 3. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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