Henzes „Floß der Medusa“ gestaltet sich als politisches Musiktheater im Geiste der 1968er

CD-Rezension: Hans Werner Henze, Das Floß der Medusa  3. September 2023

CD-Rezension:

Hans Werner Henze
Das Floß der Medusa

ORF Vienna Radio Symphony Orchestra
Cornelius Meister

Capriccio C5482

von Peter Sommeregger

Henzes szenisches Oratorium hat die historisch belegten Vorgänge auf einem Floß des gestrandeten Schiffes „Medusa“ im Jahr 1816 zum Inhalt. Jener, nicht allzu lange nach der Französischen Revolution stattgefundene Vorgang warf ein grelles Licht auf die Ungleichheit innerhalb der menschlichen Gesellschaft. Bereits der Maler Théodore Géricault hatte bereits drei Jahre nach dem Vorfall in einem Gemälde die verzweifelte Situation der Menschen auf dem Floß illustriert, die als Menschen zweiter Klasse keinen Platz in den Rettungsbooten gefunden hatten, und nach tagelanger Irrfahrt auf dem Meer größtenteils starben.

Der politisch engagierte, eher der linken Szene zuzurechnende Komponist Hans Werner Henze nahm die vor ihm bereits mehrfach literarisch verarbeiteten Vorgänge als Vorlage für sein Oratorium, ein Auftragswerk des Norddeutschen Rundfunks Hamburg. Die Uraufführung, die am 9. Dezember 1968 in der Hamburger Ernst-Merck-Halle mit dem Komponisten am Pult stattfinden sollte, musste wegen Tumulten abgebrochen werden. Teile der Ausführenden hatten sich an der roten Fahne am Dirigentenpult, und der Widmung an Che Guevara gestoßen. Der Rundfunk sendete ersatzweise einen Mitschnitt der Generalprobe. Es dauerte bis 1971, ehe das Werk seine konzertante Uraufführung im Wiener Musikverein erlebte.

Die soeben auf CD erschienene Produktion stammt bereits aus dem Jahr 2017 und wurde im Wiener Konzerthaus aufgenommen. Cornelius Meister leitete das Wiener Radio-Symphonieorchester, Sarah Wegener ist in der Rolle des Todes, „La Mort“, Dietrich Henschel als der Farbige Jean-Charles zu hören, eindringlich der Arnold-Schönberg-Chor und die Wiener Sängerknaben.

Das Werk hat über die Jahrzehnte ein wenig an seiner politischen Brisanz verloren, heute ist es eher die Menschenverachtung der historischen Vorgänge, die den Zuhörer bewegt. Henzes Musik ist nicht frei von einer gewissen Monotonie, auch die Gesangslinien der Solisten bieten wenig Überraschendes. Die Sprechrolle des Charon, der Chronist der Vorgänge ist, wird von Sven-Eric Bechtolf markant und wortdeutlich gestaltet, er gibt dem Ablauf der Handlung Struktur. Ein wenig enttäuschend erscheint heute die musikalische Substanz des Werkes, dem kräftige Impulse fehlen. Es wirkt doch hauptsächlich als politisches Statement im Geiste der 1968er Bewegung.

Peter Sommeregger, 3. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dresdner Gedenktag, Hans Werner Henze Kulturpalast Dresden, 13. Februar 2023

TRIO ADORNO, Hans Werner Henze, Robert Schumann, Alfred Schnittke Akademie International (Konzertsaal Altona)

Hans Werner Henze, Das Floß der Medusa, Elbphilharmonie, Hamburg

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