Der Cellist Jan Vogler und das Moritzburg Festival Orchester erinnern an Pablo Casals

CD-Rezension: Lalo & Casals Cello Concertos  klassik-begeistert.de, 26. Juli 2023

Am 4. August 2023 beginnt das nunmehr 31. Moritzburg Festival. Unter der künstlerischen Leitung des Cellisten Jan Vogler wird das nordwestlich von Dresden gelegene Barockschloss mit seinem Park bis zum 20. August zur malerischen Kulisse für abendliche Kammermusikkonzerte unter freiem Himmel. Ein guter Anlass, um nicht nur einen Ausblick auf das kommende Programm zu geben, sondern auch um die CD zu besprechen, die im Nachklang des letztjährigen, 30. Festivals im Oktober 2022 in der Dresdner Lukaskirche aufgenommen wurde und seit Anfang März bei Sony Classical vorliegt.

CD-Rezension:

Lalo & Casals Cello Concertos

SONY CLASSICAL

Jan Vogler, Violoncello
Moritzburg Festival Orchester
Josep Caballé Domenech, Dirigent

von Pauline Lehmann

Die CD verbindet zwei Gedenktage: Den 200. Geburtstag des französischen Komponisten Édouard Lalo und den 50. Todestag des katalonischen Cellisten, Dirigenten und Komponisten Pablo Casals, der seine künstlerische Tätigkeit Zeit seines Lebens damit verband, sich für Frieden und freiheitliche und demokratische Werte einzusetzen. Seine Interpretation des Cellokonzerts von Édouard Lalo am 12. November 1899 in Paris eröffnete ihm eine Weltkarriere. Er lehnte die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts ab und emigrierte während des spanischen Bürgerkriegs nach Prades in die französischen Pyrenäen. Nach dem Sieg Francos übersiedelte er nach Puerto Rico, wo er am 22. Oktober 1973 in San Juan verstarb. Das Cellokonzert seines jüngeren Bruders Enrique Casals konnte er im Jahr 1946 nicht uraufführen, es spielte Enrique Casals’ Tochter Pilar. Aus Protest gegenüber dem Franco-Regime trat Pablo Casals bis 1950 nicht öffentlich auf.
Als Jan Vogler in den Sommermonaten 1988 und 1989 zusammen mit seinem Bruder Kai Vogler das Marlboro Festival in den USA besuchte, war er von einer Aufnahme beeindruckt, auf der Pablo Casals in den 1960er Jahren das dortige Festival-Orchester dirigiert. So ist das 1993 gegründete Moritzburg Festival nicht nur vom Marlboro Festival inspiriert, wie das Booklet der CD verrät, sondern auch darin bestrebt, die aufrichtige und intensive Musikalität von Pablo Casals weiterzutragen.

Die CD „Lalo & Casals Cello Concertos“ geht aus der Nachwuchsförderung im Rahmen der Moritzburg Festival Akademie hervor, die seit 2006 in das hiesige Festival integriert ist und Musikstudentinnen und -studenten aus aller Welt nach einem Auswahlverfahren die Gelegenheit bietet, ausgestattet mit einem Vollstipendium in einer Atmosphäre intensiven musikalischen Austauschs Kammermusik- und Orchesterliteratur zu erarbeiten.

Die 50 Akademistinnen und Akademisten des Jahres 2022 kommen unter dem katalonischen Dirigenten Josep Caballé Domenech im Moritzburg Festival Orchester zusammen. Mit der CD, die auch Musikstudentinnen und -studenten aus Russland und der Ukraine vereint, verbindet sich für Jan Vogler das Anliegen, im Sinne von Pablo Casals zu musizieren.

Das CD-Cover zeigt ganz klassisch, wie Musik-Labels Künstlerpersönlichkeiten inszenieren und dabei den gängigen Topoi folgen. In dunkles Blau gekleidet und mit umgeschlagenen Jackenärmeln posiert der Solist Jan Vogler im Dreiviertelprofil. Die Hände des Cellisten stechen hervor, mit seiner rechten Hand umfasst er die Schnecke des Instruments, während er sich an einer schemenhaften und mit metallischen Kanneluren versehenen Wand anlehnt. Sein seitlicher Blick und die Diagonale des blauen Hintergrunds führen von einem deutlich sichtbaren Vordergrund in eine Zukunft, die noch unscharf und zu gestalten ist. Doch werbewirksam ist das Cover in erster Linie für den Solisten, nicht für die Nachwuchskünstlerinnen und -künstler.

Die CD bringt zwei ausdrucksstarke Werke der Celloliteratur zusammen. Édouard Lalo und Enrique Casals ist gemeinsam, dass sie Rückbezüge auf klassische und romantische deutsche Komponisten mit folkloristischer spanischer Couleur verbinden. So galt Édouard Lalo, dessen Vorfahren aus Spanien stammten, Deutschland als „wahre musikalische Heimat“. Er komponierte sein Cellokonzert in d-Moll für den Belgier Adolphe Fischer, der es am 19. Dezember 1877 in Paris anlässlich der von Jules-Étienne Pasdeloup arrangierten „Concerts populaires“ uraufführte. Wie bereits der Titel verrät, sollte die Konzertreihe zeitgenössische Komponisten populärer machen.

Hört man in die Aufnahme rein, fällt mit dem ersten Ton der musikalische Enthusiasmus auf. Édouard Lalos Cellokonzert hebt mit einem wuchtigen und rhythmisch markanten Unisono des Orchesters an, bevor die Dreiklangspassagen des Solocellos mit den jähen Einwürfen des Tutti aufeinandertreffen. Seilartistisch virtuos bewältigt das Solocello die rezitativisch-freien Passagen. Im zweiten Satz zeichnet der Dialog von Solocello und luftig-getupften Holzbläsern im neckisch-humoristischen und synkopischen Allegro presto eine wunderbare Stelle. Der dritte Satz geht in einem temperamentvollen Saltarello-Rhythmus, einem Sprungtanz auf.

Enrique Casals’ Cellokonzert in F-Dur, das mit der vorliegenden CD nun erstmals eingespielt wurde, wirkt um einiges ausladender und pathetischer. Weiß man, dass das Konzert im spanischen Strandhaus des Komponisten entstand, kommt man vom Eindruck eines großen, heiteren Landschaftsbildes nicht mehr los, welches Enrique Casals melodiös und von großen Bögen getragen malt. Gerade mit dem letzten Satz, einer Sardana, einem spanischen Volkstanz, stellt das Stück ein Bekenntnis zur katalonischen Heimat der Casals-Brüder dar, die unter dem Franco-Regime verfemt wurde.

Die knapp einstündige Aufnahme zeichnet sich durch einen opulenten, ausgewogenen Orchesterklang aus. Das Solocello klingt kantabel, sonor und warm, wechselt aber auch unmerklich in eine impulsivere Tongebung und drängt sich gegenüber dem Orchester nicht in den Vordergrund. Stattdessen wirken auch die Soli und das spätromantische Timbre des Orchesters diffizil ausschattiert.

Konzert vom Moritzburg-Festival am 14.08.2022 am Schloss Moritzburg. Foto: Oliver Killig

Die diesjährigen Akademistinnen und Akademisten gestalten in den bevorstehenden Augustwochen die „Serenata di Moritzburg“ (10. August) – benannt nach einem gleichnamigen Werk, das Johann David Heinichen für die Jagd Augusts des Starken im Oktober 1719 komponierte – sowie das Musikpicknick im Proschwitzer Schlosspark (13. August). Darüber hinaus gastieren sie ebenfalls unter der Leitung von Josep Caballé Domenech u.a. mit Max Bruchs Konzert für zwei Klaviere und Orchester in as-Moll sowie mit Antonín Dvořáks 7. Sinfonie in d-Moll im Dresdner Kulturpalast (19. August). Als Solisten musizieren Louis Lortie und Tiffany Poon.

Neben den Akademistinnen und Akademisten sind für das Moritzburg Festival 30 Künstlerinnen und Künstler angekündigt, so u.a. Benjamin Beilman, Kai Vogler und Mira Wang (Violine), Ulrich Eichenauer und Sara Ferrández (Viola), Andreas Brantelid und Zlatomir Fung (Violoncello) sowie Magali Mosnier (Flöte) und Anneleen Lenaerts (Harfe). Das Eröffnungskonzert, wo neben Werken von Wolfgang Amadeus Mozart und Johannes Brahms die „Bachianas Brasileiras“ für acht Violoncelli des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos erklingen, wird live im Rahmen des ARD-Radiofestivals übertragen.

Am 11. August treffen unter dem Titel „Schatten & Licht“ Arnold Schönbergs Streichtrio op. 45 und Richard Wagners „Siegfried-Idyll“ aufeinander. Einen Tag später bringt die Sopranistin Christiane Karg zusammen mit Patricia Nolz (Mezzosopran), Benjamin Bruns (Tenor) und Dominik Köninger (Bariton) die Liebeslieder-Walzer von Johannes Brahms zu Gehör. Einzig Komponistinnen sind in dem umfangreichen Programm, das Kammermusik von Johann Sebastian Bach bis ins 20. Jahrhundert und in unterschiedlichen Besetzungen goutiert, nicht vertreten.

Schlechtwettervariante für die Konzerte auf der Nordterrasse des Schlosses ist die Evangelische Kirche, in der auch öffentliche Proben sowie zwei Konzerte – darunter das Abschlusskonzert mit Werken von Igor Strawinsky, Josef Suk und Felix Mendelssohn Bartholdy – stattfinden.

Pauline Lehmann, 26. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Brentano String Quartet und Jan Vogler, Dresdner Musikfestspiele Dresden, Palais im Großen Garten, 12. Mai 2022

Johann Sebastian Bach: Cello-Suiten No. 4 – 6, Jan Vogler, Violoncello, Elbphilharmonie, 27. April 2022

Jan Vogler, Cristian Măcelaru, Valery Gergiev, »Three Continents«, CD-Besprechung

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