Mit Hingabe und Perfektion gelingt Jan Vogler ein beeindruckendes musikalisches Statement

Jan Vogler, Cristian Măcelaru, Valery Gergiev, »Three Continents«,  CD-Besprechung

Foto: © Marco Grob

CD-Besprechung: Jan Vogler »Three Continents«
(Veröffentlichung: 19. Juni 2020 bei SONY Classical)

Nico Muhly, Sven Helbig, Zhou Long: Konzert für Violoncello und Orchester „Drei Kontinente“

Jan Vogler, Cello

WDR Sinfonieorchester
Cristian Măcelaru, Dirigent

Dmitri Schostakowitsch: Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 op. 126

Orchester des Mariinsky-Theaters
Valery Gergiev, Dirigent

von Pauline Lehmann

Nach dem 24 Stunden-Livestream-Festival warten die Dresdner Musikfestspiele nun mit Nachschub auf: Das neue Album des Cellisten und Intendanten, Jan Vogler, birgt auch wieder diesen wehmütigen Schulterblick auf vergangene Festspieltage – doch damit lange nicht genug.

»Three Continents« trifft den Nerv der Zeit. Es ist jene brisante Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft und Kunst, die Jan Vogler in seinem neuen Album zu Tage fördert und für die er ein sensibles Gespür beweist. Mit jedem Bogenstrich und jedem Pizzicato zeigt Jan Vogler, wie eng Gesellschaft und Kunst miteinander verwoben sind, wie die Musik in das Gefecht des 20. und 21. Jahrhunderts gerät und dieses seismographisch in die Tonsprache übersetzt. Ein beeindruckendes musikalisches Statement inmitten einer Musik- und Kunstwelt, die an die Peripherie der Gesellschaft abzurutschen droht.

Die beiden Cellokonzerte, die auf dieser Aufnahme zusammenfinden, verlaufen sich in tiefgehende, abstrakte Dimensionen. »Three Continents« – von den drei Komponisten Nico Muhly (USA), Sven Helbig (Deutschland) und Zhou Long (China) eigens für Jan Vogler geschrieben und im Rahmen der letztjährigen Festspielsaison im Dresdner Kulturpalast uraufgeführt – lässt drei Kulturkreise aufeinandertreffen. Das Auftragswerk spiegelt die Problematik von globalisierter Welt und traditionellen Wurzeln wider und ist zugleich (in Bezug auf Jan Vogler selbst) in ein biografisches Kolorit getüncht.

Nico Muhly entzündet in seinem ersten Satz Cello Cycles ein musikalisches Feuerwerk, bevor sich das Solocello vor der flirrenden Kulisse der hohen Streicher in eine Hochseilartistik begibt. Dazwischen mischen sich Einwürfe von Blechbläsern und Perkussion. Dass sich Nico Muhly auch als Filmmusikkomponist einen Namen gemacht hat, ist durch die bildliche und volle Klangsprache spürbar. Cristian Măcelaru und das WDR Sinfonieorchester loten diese Tiefe aus und lassen ein plastisches Tonbild entstehen.

Der zweite Satz, die Aria von Sven Helbig, fügt sich ganz selbstverständlich an den ersten Satz an. Über den klangflächenartigen Einwürfen der Streicher zeichnet das Solocello eine sangliche, bis auf wenige Aufhellungen verhaltene Linie, die sich gemeinsam mit dem Orchester steigert und in den dritten Satz, Tipsy Poet, des chinesischen Komponisten Zhou Long mündet. Zhou Long verwebt traditionelle chinesische Klänge mit dem Klangkosmos experimenteller moderner Musik. Schroffe Dissonanzen treffen auf das Pizzicato des Solocellos, welches die Gugin, eine siebensaitige Zither, imitiert.

Jan Vogler beweist sich einmal mehr als herausragender Cellist und feinsinniger Interpret. Er vermag es, mit seinem Cello Welten zu eröffnen und den Hörer auf eine musikalische Entdeckungsreise in die verschiedenen Kulturkreise zu entführen. Sein Celloklang ist von einer Strahlkraft und Klarheit und durch das Vibrato, das jedem Ton eine eigene Dynamik verleiht, gerät die Tongebung lebendig, rund und in der Tiefe sonor.

An die Seite dieser gelungenen Ersteinspielung tritt Dmitri Schostakowitschs Zweites Cellokonzert op. 126 – eine Aufnahme des Berlin-Konzerts der Dresdner Musikfestspiele vom 3. Juni 2019 – und man taucht ganz unvermittelt ein in eine Künstlerbiografie, die wie keine zweite geprägt war vom Umgang mit einem totalitären Staat – eine Gratwanderung zwischen politischen Anpassungszwängen und daraus resultierenden Lippenbekenntnissen, offizieller Kritik an seinen Werken und der Musik als einem Modus der inneren Emigration.

Für ein überbordendes Virtuosentum bleibt dem Solocellisten kein Raum. Dmitri Schostakowitsch dimmt das Klangliche auf das Wesentliche. Doch diesen spannungsgeladenen, düsteren und introvertierten Gestus fangen Jan Vogler, Valery Gergiev und das Orchester des Mariinsky-Theaters ein und servieren ihn auf dem Silbertablett.

In reichlich 60 Minuten bietet Jan Voglers neues Album ein intensives, detailscharfes Klangerlebnis und die Dresdner Festspielatmosphäre ist zum Greifen nah. Auch nach abermaligem Hören lässt sich immer wieder musikalisches Neuland entdecken, „Aushören“ kann man diese Aufnahme wahrscheinlich nie.

Pauline Lehmann, 16. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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