Ullmann konnte seine Musik selbst nicht mehr hören, aber es ist eine moralische Genugtuung, dass sie mit langer Verzögerung doch noch ihren Weg in die Konzertsäle und Opernhäuser gefunden hat.
CD-Rezension:
Viktor Ullmann
Der Kaiser von Atlantis
Münchner Rundfunkorchester
Patrick Hahn
BR Klassik 900339
von Peter Sommeregger
Die Entstehungsgeschichte dieses „Spiels in einem Akt“ des schlesischen Komponisten Viktor Ullmann ist gleichermaßen spektakulär wie erschütternd. Ullmann, der zuletzt in Prag gelebt hatte, wurde wegen seiner jüdischen Abstammung 1942 in das Lager Theresienstadt deportiert. Später verlegte man ihn in das KZ Auschwitz-Birkenau, wo er im Oktober 1944 ermordet wurde.
Das „Vorzeigelager“ Theresienstadt erlaubte so etwas wie ein kulturelles Leben, was Ullmann zu der Komposition dieses Bühnenwerkes animierte, das er auf einem Text seines Mithäftlings Peter Kein schrieb. Es spiegelt naturgemäß den Zeitgeist und vor allem die extremen Bedingungen, unter denen es entstand. Nach der Vollendung im August 1944 kam es noch zur Generalprobe der Aufführung, danach verboten die Nazis das Werk. Es dauerte bis zum Dezember 1975, ehe das Stück in Amsterdam uraufgeführt wurde.Die symbolträchtige Handlung spielt im sagenhaften Atlantis, dessen Kaiser durch einen Streik des Todes seine Macht zu verlieren droht. Wenn die Menschen nicht mehr sterben, wer hätte dann noch Angst vor ihm? Natürlich spielt der Text auf das unmenschliche System der Nationalsozialisten an, was auch das letztendliche Verbot der Aufführung erklärt.
Seit der Uraufführung kommt es immer wieder zu Aufführungen dieser kurzen Oper, die dadurch bereits einen relativen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Der nun vorgelegte Mitschnitt stammt aus dem Münchner Prinzregententheater, wo das Werk am 10. Oktober 2021 vom Münchner Rundfunkorchester unter Patrick Hahn aufgeführt wurde. Der 1995 in Graz geborene Dirigent amtiert zur Zeit als jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands in Wuppertal und kann bereits auf Gastauftritte bei vielen namhaften Orchestern zurückblicken. Als Interpreten standen ihm namhafte Künstler zur Verfügung, so der Tenor Johannes Chum, der dem Harlekin ein scharfes Profil verleiht. Der Bassist Lars Woldt in der Rolle des Lautsprechers rezitiert klar den zynischen Text, Adrian Eröd ist ein sonorer Kaiser, Tareq Nazmi ein düsterer Tod. Dagegen können der Sopran von Juliana Zara als Mädchen mit Bubikopf und der Mezzosopran von Christel Loetzsch als Trommler nicht vollständig überzeugen.
Die Musik des Schönberg-Schülers Ullmann ist expressiv, dabei aber durchgehend tonal und bewusst kammermusikalisch angelegt. Die Möglichkeiten für eine Aufführung in Theresienstadt waren begrenzt, dem trug der Komponist natürlich Rechnung. Ullmann konnte seine Musik selbst nicht mehr hören, aber es ist eine moralische Genugtuung, dass sie mit langer Verzögerung doch noch ihren Weg in die Konzertsäle und Opernhäuser gefunden hat.
Peter Sommeregger, 28. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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