Foto: Freja Sandkamm, Ljuban Živanović, Timotheus Maas © Inken Rahardt
Opernloft im alten Fährterminal, 25. Juni 2022
Charles Gounods „Faust“
von Jolanta Łada-Zielke
Dieser heiße Samstag hat die Hamburger eher zu einem Strandbad angeregt, aber diejenigen, die den Abend im Opernloft verbrachten, haben es sicherlich nicht bereut. Sie haben gute Stimmen in angenehmer Atmosphäre gehört und eine interessante Interpretation der berühmten Oper von Charles Gounod unter der Regie von Helke Rüder erlebt. Claudia Weinhart hat ein sparsames Bühnenbild entworfen, bestehend aus Buchstaben, die das Wort FAUST zusammenbilden, denn so heißt das Wissenschaftslabor, in dem die Handlung spielt.
Was hat das aber mit der Oper von Charles Gounod zu tun? Es entspricht dem Durst des Titelhelden nach dem Wissen und seiner Suche nach der Wahrheit. Warum also nicht die Aktion in ein Forschungslabor verlegen, wo ein kleines Team der Wissenschaftler agiert: Margarethe (Freja Sandkamm), Faust (Ljuban Živanović) und Mephisto (Timotheus Maas)? Alle drei sind gleichberechtigte Partner, arbeiten mit Hingabe und Geschlossenheit, jedoch nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Als die persönliche Beziehung zwischen Margarethe und Faust ins Spiel kommt, beschließt der missgünstige Mephisto, sie zu trennen.
Helke Rüder verändert die Reihenfolge der Szenen nach ihrem Regiekonzept. Das Liebesduo von Margarethe und Faust geht der „Heilung“ durch Mephisto voraus. Die Künstler singen im Original, auf Französisch. An der Wand erscheint die deutsche Übersetzung des Librettos, angepasst an diese Inszenierung. Faust erklärt, dass er seine Jugend wiedererlangen möchte, aber „ la jeunesse“ bedeutet in diesem Fall, dass er wieder laufen kann. Leider kann er es nicht schätzen, dass Margarethe ihn trotz seiner Behinderung liebt, und er will unbedingt ein vollkommener Partner für sie werden. Mephisto überredet ihn, eine Dosis des neu erfundenen Medikaments einzunehmen, das anfänglich zu wirken scheint. Mephisto versucht Faust als „lebenden Beweis“ für das Wundermittel zu nutzen und davon zu profitieren. Margarethe stellt sich gegen solch verantwortungsloses und unethisches Verhalten ihrer Kollegen. So kommt es zu einer Spaltung der Gruppe.
Aus psychologischer Sicht sind alle drei Charaktere interessant. Faust zeichnet sich nicht nur durch eine körperliche, sondern auch durch eine Charakterschwäche aus. Mephisto ist ein zynischer, grausamer und manipulativer Karrieremensch. Margarethe zeigt sich schließlich als die stärkste der drei. Von beiden Männern verraten und gedemütigt trifft sie am Ende eine wichtige Entscheidung. Für Frauen nach schwierigen Erfahrungen, die sich von Margarethe inspirieren lassen könnten, würde diese Produktion eine therapeutische Wirkung haben. Die Heldin ist eine Darstellung des Sprichworts: was dich nicht umbringt, macht dich stärker.
Was die gesangliche Seite der Vorstellung angeht, dann… Achtung für die Wagnerschen Heldentenöre!… Hier wächst euch ernste Konkurrenz in Person von Ljuban Živanović, der über eine hervorragende, starke Stimme verfügt und gute szenische Präsenz hat. Er sang bereits ernste Rollen wie Alfredo in Verdis „La Traviata“. Ich sehe in ihm schon den zukünftigen Siegfried und Parsifal, oder wenigstens den Steuermann im „Holländer“. Nur bei längeren Partien sollte er die Kraft gleichmäßiger verteilen, um sie beim Höhepunkt nicht zu verlieren.
Den Bassbariton Timotheus Maas habe ich zum ersten Mal 2014 in Weimar erlebt, als er den Moses in der szenischen Aufführung des Oratoriums „Die Israeliten in der Wüste“ von Carl Philipp Emanuel Bach sang. Schon damals fielen seine Stimme und sein schauspielerisches Talent auf, und seitdem hat sich der Sänger stark entwickelt. In dieser Aufführung verkörpert er einen sehr ausdrucksstarken Mephisto, den das Publikum von Anfang an nicht mag. Er wäre ein guter Alberich und in naher Zukunft vielleicht Wotan.
Und „last but not least” – Freja Sandkamm. Ich könnte alle Lobesworte wiederholen, die ich bisher über sie geschrieben habe. Sie singt sehr bewusst, setzt die Dynamik angemessen ein und steigt sanft in die Brustlage ab. Mit der spektakulären „Juwelen-Arie“ (Ah, je ris de me voir si belle) bejubelt sie den Erfolg des Teams, das die richtige Formel für das Medikament gefunden hat. Die Sopranistin singt dieselbe Arie zum Schluss, als eine reife Frau, und interpretiert sie ganz anders. Hier bekommt „le biroit“ eine neue symbolische Bedeutung, es verdeutlicht ihre weibliche Kraft. In Margarethes Stimme hört man Schmerz, Bedauern, aber auch eine Entschlossenheit, sich aus der Abhängigkeit der unwürdigen Mitarbeiter zu befreien. Margarethe ist die einzige Heldin, die sich im Verlauf der Oper ändert.
Drei Musiker unter der Leitung der Pianistin Amy Brinkman-Davis, die das Stück musikalisch arrangiert hat, haben die Sänger begleitet. Belén Sanchés Pérez hat das Cello und Jerónimo Ortigoza Guayazán die Oboe gespielt. Natürlich hat der berühmte Walzer nicht gefehlt, obwohl er nur fragmentarisch erklang. Die Opernkenner sollten jedenfalls befriedigt sein. Und denjenigen, die weniger in die Opernwelt eingeweiht sind, auch wenn sie irgendwann den richtigen „Faust“ sehen werden, wird diese Inszenierung im Opernloft sicherlich in Erinnerung bleiben.
Jolanta Łada-Zielke, 29. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Faust, Ballett von Edward Clug, Musik von Milko Lazar, Oper Leipzig, 1. April 2022
DVD-Besprechung, Charles Gounod, Faust, Royal Opera House London klassik-begeistert.de