Riccardo Mutis Abschiedstournee führt auch nach Köln

Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti, Dirigent  Kölner Philharmonie, 20. Januar 2024

Foto: ©Todd Rosenberg/Chicago Symphony Orchestra

Chicago Symphony Orchestra
Riccardo Muti, Dirigent

Philip Glass – „The Triumph of the Octagon“ für Orchester

Felix Mendelssohn-Bartholdy – Sinfonie Nr. 4 in A-Dur, op. 90, „Italienische“

Richard Strauss – „Aus Italien“ – Sinfonische Fantasie in G-Dur, op. 16

Zugabe:

Giacomo Puccini – Intermezzo aus „Manon Lescaut“

Kölner Philharmonie, 20. Januar 2024

von Daniel Janz

Riccardo Muti und das Chicago Symphony Orchestra – bereits einer dieser Namen reicht aus, um für Ehrfurcht und pilgernde Gäste zu sorgen. So findet sich der Rezensent im heute komplett ausverkauften Saal in einer illustren Runde von Konzertfans wieder. Vertreten ist nicht nur der Großraum Köln. Auch Dänemark, Großbritannien, die Niederlanden und sogar die USA sind anzutreffen.
Was für ein Erlebnis, diese Giganten heute zum ersten Mal live hören zu dürfen! Man könnte von einer echten Premiere sprechen. Und auch von einer Gelegenheit, die es so zumindest in Köln nicht mehr geben dürfte.

Immerhin ist dies eine der letzten Stationen auf der Abschiedstournee vom inzwischen 82 Jahre alten Muti bei seinen Chicagoern. Kein Wunder, dass so ein Event von Medienrummel begleitet wird. Auch klassik-begeistert berichtete bereits aus Essen und aus Frankfurt nicht nur zwei– sondern sogar dreimal.

Den Einstieg machen die Gäste mit Philip Glass, einem der wohl bekanntesten amerikanischen Komponisten der Gegenwart. Mit „Triumph of the Octagon“ breiten sich sofort elegische Streicherklänge aus. Diese weitere Premiere für den Rezensenten versprüht Romantik pur, bevor die spärlich besetzten Holzbläser die Melodie übernehmen. So klar, wie man das hier hört, können es wohl auch nur Orchester auf Weltklasse-Niveau spielen. Was in den ersten Minuten wie eine Offenbarung klingt, ermüdet allerdings mit der Zeit durch die stets identische Melodieführung. Das ist eben typisch Glass: Ein Motiv bis zum Ohrwurm rauf- und runterreiten. Das alles um die Hälfte gekürzt hätte es auch getan. Zur Aufführung in Essen hatte der Rezensent gefragt, ob sich dieses Werk wohl dauerhaft im Konzertbetrieb halten kann. Der Rezensent heute meint: Wohl eher nicht. Dafür ist es auf Dauer doch zu einfallslos.

Mendelssohn-Bartholdys vierte Sinfonie stellt da einen anderen Anspruch. Wo Glass noch Fragen aufwarf, was sein Werk im Kontext dieses Abends zu suchen hat, stellt diese faszinierend vor sich hinflirrende Sinfonie von Anfang an das Thema klar. Wir befinden uns in Italien, irgendwo zwischen Venedig, Florenz oder Mailand. Es strahlt die Sonne, es tanzen die Vögel, das Leben vibriert… wenn man das hört, ist es fast unvorstellbar, dass dieses Werk zu Lebzeiten des Komponisten nur einmal erklang.

©Todd Rosenberg/Chicago Symphony Orchestra

Wer, wenn nicht der selbst in Neapel geborene Muti, kann dieses Lebensgefühl wohl einfangen? Der erste Satz gelingt unter seiner Leitung regelrecht spritzig und (wohl im Gegensatz zur Aufführung in Essen) auch nicht zu langsam. Genauestens poliert wirken vor allem die Details, wie die Trompetenstöße, die pointierten Paukenschläge und auch die Hörner – sie alle können perfekt das Stimmungsbild untermalen, ohne dabei zu scharf herauszustechen. Das Ergebnis: Ein wunderbar runder Gesamtklang, dessen Höhepunkte in einem traumhaft schönen Werk richtig strahlen.

Schade, dass sich diese Atmosphäre nicht in die Sätze 2 und 3 rettet. Sie gelingen zwar schön elegisch und strömen wohlig vor sich hin. Doch der zweite Satz drückt zumindest für den Geschmack des Rezensenten ein Quäntchen zu sehr auf die Tube, was für ihn eine neue Premiere darstellt: Lange Zeit über will sich keine Gänsehaut einstellt. Oft ist es nur der Bruchteil einer Sekunde, der hier fehlt. Schade. Denn Muti inszeniert sich zwar als Pol der Ruhe. Doch wirklich fruchten will das nicht.

Immerhin gibt es aber auch lohnenswerte Momente. Besonders auffällig stechen die Flöten mit glasklarem Klang hervor. Auch die Klarinette kann im dritten Satz mit Sensibilität punkten. Und die feinen Signale, die die jeweils 2 Hörner und Fagotte im dritten Satz aus ihren Instrumenten herauskitzeln, sind wahre Freude für die Ohren.

Bei dieser Freude setzt dann auch der Finalsatz an, in dem Muti das Orchester mit kleinen Gesten richtig antreibt. Hier trabt es nicht mehr, hier galoppiert man. Die so entstehenden scharfen Kontraste führen wieder zu der Spannung zurück, die bereits im ersten Satz aufkam. Das alles fügt sich zu einem perfekten Gebilde und kann auch wieder vollauf ergreifen. Die Folge nach diesem feurigen Schluss ist ein ebenso feuriger Applaus. Eigentlich wären sogar stehende Ovationen angemessen gewesen! Dieser Bartholdy ist für den Rezensenten jedenfalls der Höhepunkt des Abends.

Allerdings ist da noch das Hauptwerk. Mit „Aus Italien“ folgt eine Komposition von Richard Strauss, die nicht nur für den Rezensenten eine weitere Premiere sein dürfte.

In dem heutzutage völlig unbekannten Werk verarbeitete Strauss (wie Mendelssohn-Bartholdy) die Eindrücke aus einer Italienreise und kleidete sie in die Form einer Sinfonie. Aber auch, wenn der breite Klang und die Farbenfreude, für die Strauss später berühmt wurde, hier bereits anklingen, so merkt man dieser Musik doch ihren Status als Frühwerk an. Das hier hört sich zwar alles schön an. Vielen Stellen fehlt aber der Fokus: Es ist eher ein lyrischer Fluss, anstatt plastisch wiederkehrender Themen. Eine klassisch orientierte, stellenweise impressionistische Anreihung verschiedener Szenen, denen die eine oder andere Überarbeitung gutgetan hätte.

Dadurch kommt es für den Rezensenten an einem Abend voller Premieren zu einer weiteren, unvorhergesehenen Premiere: Zum ersten Mal langweilt er sich bei seinem Lieblingskomponisten. Denn durch den fehlenden Fokus bewegt sich diese Musik eher auf einer Ebene mit der peinlichen „Sinfonia domestica“. Dadurch erklärt sich für den Rezensenten auch, warum dieses Stück kaum gespielt wird. Ein Umstand, der wohl im Sinne von Strauss gewesen sein dürfte, nachdem er wegen unautorisierter Nutzung des italienischen Volkslieds „Funiculì Funiculà“ im letzten Satz dieses Werks wegen Urheberrechtsverstoß angezeigt und zu einer Geldbuße verurteilt wurde.

 Nun kann man aber auch aus mittelmäßig komponierter Musik große Sternstunden zaubern. Und da zeigt sich, dass dieses Orchester und sein scheidender Chefdirigent sich auf ganz große Kunst verstehen. Denn in den ersten Satz, der bereits spätere Genieanfänge, wie bei „Also sprach Zarathustra“ oder „Eine Alpensinfonie“ andeutet, steigen sie wie der Tag zur Morgendämmerung ein. Die Hörner gießen immer wieder ihre Rufsignale wie eine warme Dusche über das Orchester aus und münden in einer Hymne mit vollem Blech. Hier zeigen die Chicagoer Gäste ihre ganze Klasse. Die Musik bringen sie regelrecht zum Leuchten. Und auch hier sticht der herausragend sensible Klang der Hörner und Trompeten hervor. Das können nicht viele Orchester.

Nach Meinung des Rezensenten finden sich in den Sätzen 2 und 3 dann die Stellen, die eine Kürzung vertragen hätten. Denn auch, wenn sie ihre Momente haben, so verlieren sie sich im Wechseln zwischen Auf- und Abebben zu oft im Streichereinerlei. Bei so einem ziellosen Fluss Spannung zu erhalten ist eine Kunst, die Riccardo Muti und seinem Orchester immerhin meistens gelingt. Stellenweise ist es, als würde er den Musikern ihre Einsätze wie auf dem Silbertablett servieren. So arbeiten sie die dramatischen Ausbrüche in Satz 2 stark genug für einen bleibenden Eindruck heraus. Auch das Ende vom zweiten oder die flirrenden Farben im dritten Satz gelangen so zu einiger Stahlkraft. Dazu fallen auch die Holzbläser durch die Bank weg positiv auf.

©Todd Rosenberg/Chicago Symphony Orchestra

Der Schlusssatz sticht dann noch einmal heraus. Hier zeigt sich jene Raffinesse, die Strauss später weltberühmt gemacht hat. Unterstützt von Triangel, Becken und kleiner Trommel marschiert das Orchester einem feurigen Höhepunkt entgegen. Unter der Melodie aus „Funiculì Funiculà“ bäumt sich hier alles zu einem Finale auf, das am Ende nur ein Fazit kennt: Stehende Ovationen. Nahezu geschlossen richten sich die Zuhörer auf und feiern minutenlang Orchester und Dirigent.

 Da wundert es nicht, dass am Ende eine kleine Zugabe folgt. Und als gäbe es keine andere Wahl: Im 100. Todesjahr von Puccini darf es das Intermezzo aus seiner Oper Manon Lescaut sein. Also noch eine Komposition mit Bezug auf Italien. Hier dürfen auch endlich Bassklarinette und Tuba mitspielen, deren Klänge diesem wenige Minuten langen Ausschnitt zusätzliche Tiefe verleihen. Den Beginn macht aber ein ergreifendes Cellosolo, das in eine Szene voller Trübsal und Schwere hineinführt. Wie ein Abgesang bäumt sich das Orchester daraufhin immer weiter auf, nur um auf dem Höhepunkt der Musik in ein von Sehnsucht getragenes Moment der Verklärung zu kippen.

Ein wunderschöner Ausklang für ein in Summe gelungenes Konzert, das auch nach diesem Kleinod erneut mit Stehenden Ovationen honoriert wird.

So bleibt selbst nach erstmaligem Hören am Ende der Eindruck: Mit Riccardo Mutis Abschied endet für das Chicago Symphony Orchestra eine Ära. Wir dürfen gespannt sein, was folgt.

Daniel Janz, 22. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti, Dirigent Frankfurt, Alte Oper, 19. Januar 2024

Farewell Chicago Symphony Orchestra, Riccardo Muti, Dirigent Frankfurt, Alte Oper, 18. Januar 2024

FAREWELL TOURNEE Riccardo Muti, Chicago Symphonie Orchestra Philharmonie Essen, 14. Januar 2024

Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti Salzburg, Großes Festspielhaus, 15. August 2023

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