Orpheus, Eurydice und die tanzende Yoga-Klasse: Ein Ballett mit Gesang an der English National Opera

Christoph Willibald Gluck, Orpheus and Euridice,  English National Opera, 19. November 2019

Foto: © Donald Cooper

English National Opera, 19. November 2019

Christoph Willibald Gluck, Orpheus and Euridice
in der Version von Hector Berlioz, englische Übersetzung von Christopher Cowell, English National Opera, 19. November 2019

von Charles E. Ritterband

Wie sehr sich doch unser Ohr bei Barock-Opern an Originalinstrumente gewöhnt hat! Vor allem die meist so hervorragenden Interpretationen im Theater an der Wien haben unser Gehör auf Originalinstrumente und ihren wunderbar herben Klang eingestimmt – „getunt“, um einen Anglizismus zu verwenden. Deshalb waren wir etwas enttäuscht vom Orchester der English National Opera (Dirigent: Harry Bicket), das diese berühmteste aller Gluck-Opern mit „modernen“ Instrumenten begleitete.

Musikalisch war daran nichts auszusetzen – das Orchester spielte fein, subtil, aber eben: vielleicht allzu subtil (Dirigent: Harry Bicket). Es vermochte sich gegen die Stimmen nicht durchzusetzen. Aber es passte durchaus: Zu dieser sehr modernen, abstrakten Inszenierung, in der den Tänzern eine neben den Sängern ebenbürtige Rolle zugewiesen wurde. Und vor allem war es ja nicht die Barock-Originalfassung, die hier gegeben wurde, sondern jene von Berlioz, einem Komponisten des 19. Jahrhunderts, überarbeitete.

Das stieß in der englischen Fachwelt auf Kritik: Weshalb griff man in dieser Zeit, die so auf Authentizität, insbesondere bei Barockwerken bedacht ist, auf die Fassung eines Komponisten des 19. Jahrhunderts zurück? Gleichwohl. Berlioz war von der Gluck-Partitur so hingerissen, dass er diese, in seinen eigenen Worten, „wieder und wieder las, kopierte und sie auswendig lernte. Er habe auf den Schlaf verzichtet und zu essen und zu trinken vergessen. Eine „Ekstase“ habe ihn erfasst.

Catherine Carby. Foto: Robert Workman

Der Star des Abends war eigentlich gar nicht vorgesehen: Die englische Mezzosopranistin Catherine Carby in der (oft von einem Countertenor interpretierten) Rolle des Orpheus, die erst am selben Nachmittag für die an Laryngitis, einer Entzündung der Stimmbänder erkrankte Alice Coote einsprang – und diese Herausforderung fulminant und souverän meisterte. Ihre Stimme erwies sich als warm, variabel und kraftvoll. Und das Publikum honorierte diese Glanzleistung mit warmem Applaus. Die andere herausragende Sängerin war die englische Sopranistin Soraya Mafi, die mit präzisen, kristallklaren Höhen den Liebesgott Amor verkörperte.

Bemerkenswert und befremdlich zugleich war das Vorgehen der (für ihre Originalität bekannten) English National Opera, die Regie nicht einem Opernregisseur sondern einem Choreographen (Wayne McGregor) zu überlassen – wenngleich einem namhaften? So wurde aus der Barock-Oper über weite Strecken ein Tanz-Stück mit musikalischer Untermalung – und, leider kein sehr gelungenes. Die Tänzer wirkten bisweilen wie eine Yoga-Klasse in grellen, farbigen Trainingsoutfits, die sich selbstvergessen irgendwie bewegten, ohne auf die anderen Besucher dieses Yoga-Trainings zu achten.

Foto: © Donald Cooper

So war auf dieser Bühne, vor allem im ersten Akt, viel „action“, aber diese wirkte unkoordiniert und unmotiviert – befremdlich. Und fast ein wenig lächerlich in dieser Stadt des berühmt-berüchtigten Tierkörper-Präparators, dessen Glasvitrinen mit toten Tieren in der internationalen Kunstwelt astronomische Preise erzielen: Damien Hirst. Und die tote Eurydice wurde zu einem makabren, gruselig beleuchteten Körper in einer Glasvitrine, die unverkennbar vom großen Hirst inspiriert war. Ein netter, aber unnötiger Gag.

Foto: © Donald Cooper

Der zweite Akt, die Unterwelt, war beherrscht von den (allerdings eindrucksvollen) Video-Projektionen, die auffällig an die frühen Schwarzweiß-Fernseher mit ihren notorischen Bildstörungen und ihrem irritierenden Flimmern erinnerten. Da dieses Phänomen eine durchaus infernalische Wirkung ausübte, so kann man diese sehr professionellen Video-Installationen (Ben Cullen Williams) als durchaus gelungen bezeichnen.

Foto: © Donald Cooper

Und obwohl die eingesprungene Catherine Carby die berühmte Arie „Che farò senza Euridice“ so intonierte, wie es sein musste, kam bei dieser Inszenierung nie wirklich innere Rührung auf. Immerhin – nachdem die Tänzer den Sängern das Feld überlassen hatten, normalisierte sich das Ganze.

Charles E. Ritterband, 27. November 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dirigent: Harry Bicket
Regie/Choreographie: Wayne McGregor
Bühnenbild: Lizzie Clachan
Video Designer: Ben Cullen Williams
Kostüme: Louise Gray
Chorleiter: James Henshaw
Orpheus: Catherine Carby
Euridice: Sarah Tynan
Amor: Soraya Mafi

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