Foto: Musikverein Wien /Müller (c)
Musikverein Wien, Großer Saal, 4. April 2018
City of Birmingham Symphony Orchestra
Mirga Gražinytė-Tyla Dirigentin
Rudolf Buchbinder Klavier
Richard Wagner: Vorspiel zur Oper „Tristan und Isolde“
Robert Schumann: Konzert für Klavier und Orchester a-Moll, op. 54
Raminta Šerkšnytė: „Fires“ für Orchester
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 5 c-Moll, op. 67
Zugabe: György Ligeti: Concert Românesc – Finale
von Bianca Schumann
Das Programm, das das City of Birmingham Symphony Orchestra dem Wiener Publikum am Mittwochabend im Großen Saal des Musikvereins servierte, bestand nahezu ausschließlich aus Meilensteinen der Musikgeschichte. Richard Wagner, Robert Schumann und Ludwig van Beethoven standen vereint auf dem Programm. Doch unter ihnen war auch ein neues Gesicht, Ramita Šerkšnytė. Ob sie mit ihrer Orchesterkomposition in solch einer Gesellschaft würde bestehen können?
Doch nicht die litauische Komponistin, sondern Wagner machte den Anfang. Wer kennt ihn nicht, den berühmten „Tristanakkord“, der die Klanglandschaft des Vorspiels zur Oper Tristan und Isolde maßgeblich bestimmt. Zu gern würde man dieses Vorspiel einmal mit Ohren aus dem 19. Jahrhundert hören. Wir sind mittlerweile vieles gewöhnt. Um unsereins heutzutage noch frappieren zu können, muss ein Komponist satztechnisch und instrumentationstechnisch einiges auffahren. Anders war es zu Zeiten Wagners. Die Wirkung, die der Akkord damals erzielt haben wird, muss wahrlich atemberaubend gewesen sein.
Doch unsere heutigen Ohren haben diesen Klang bereits so oft gehört und gänzlich verinnerlicht, dass die stetige Wiederholung dieser kurzen leitmotivischen Phrase, in die der Akkord eingebettet ist, kaum mehr in der Lage ist, anhaltend Aufmerksamkeit zu erregen. So freute man sich während der Aufführung des Vorspiels, spätestens nachdem der dynamische Höhepunkt erreicht worden war und der Spannungsbogen peu à peu wieder abnahm, bereits auf die zweite Programmnummer.
Nach langen elf Minuten Wagner erwartete das Publikum eine gute halbe Stunde kurzweiligen Genuss. Niemand geringeres als Rudolf Buchbinder, seit 2016 auch Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker, würde das einzige Klavierkonzert, das Schumann Zeit seines Lebens fertigstellte, zum Besten geben. Vorfreude füllte den Saal.
Die ersten Töne. Die Eröffnung. Nach einem energischen Tuttischlag des Orchesters setzt der Pianist mit wuchtigen Akkordschlägen zielsicher ein. Doch was passiert dann? Das erste Thema, vorab im Orchester vorgetragen, dann vom Klavier aufgenommen – viel zu langsam! Wieso denn dieses Tempo? Schumann verlangt hier ein Allegro affettuoso. Davon ist kaum etwas zu spüren. Die Musik schleppt sich dahin, die Leidenschaft, die in den Noten stumm schlummert und wartet, nur erweckt zu werden, bleibt auf der Strecke. Traurig, passiv klingt diese Musik. Von innerem Drang, einem nach vorne Streben ist lange nichts zu hören.
Die Form des ersten Satzes ist durch viele Tempo- und Charakterwechsel geprägt. Buchbinder und Mirga Grašinytė-Tyla, die ihr Orchester sicher durch den Abend führte, gebührt hier großer Respekt: Das Zusammenspiel passte stets.
Doch wieso Buchbinder sich entschied, die Kadenz vor Einsatz der Coda in einem solchen Höllentempo zu spielen, dass der Hörer der Musik kaum noch folgen konnte und die tiefsinnig komponierten Zeilen Gefahr liefen, zu einem Zirkusstück zu verkommen, ist gerade mit Rückblick auf das gewählte Anfangstempo nur schwer erklärlich.
Ließ dann bereits die Wiedergabe des zweiten Satzes aufgrund seiner graziösen Schlichtheit nichts zu wünschen übrig, so kamen die Zuhörer im letzten Satz schließlich vollkommen auf ihre Kosten.
Hier war die Tempowahl stimmig und der Pianist wusste genau, wie er die von Schumann komponierten rhythmischen Raffinessen gekonnt in Szene setzen konnte. Die Coda mündete in ein Feuerwerk des Überschwangs, sodass nach Verstummen der letzten beiden Akkorde ein Sturm der Begeisterung im Saal entbrannte.
Nach der Pause erwartete das Publikum dann ein programmatisches Werk. „Fires“ stand auf dem Programm. Die Komponistin Raminta Šerkšnytė gewann ihre Inspiration hierzu unter anderem durch die 5. Symphonie Beethovens. Besonders die schicksalhaften Umstände, die Beethoven während der Komposition dieser Symphonie begleiteten, veranlasste die 1975 geborene Komponistin nach eigener Aussage ihrem eigenen Werk eine erhöhte Dramatik zu verleihen.
Leider gibt es nach dem ersten Anhören dieses Stückes nicht allzu viel Positives zu sagen. Der Orchesterklang, der zu eingangs längere Zeit aus statischen Flageoletttönen in den Violinen und aus Triangelschlägen besteht, wecken beim besten Willen keine zum Titel „Fires“ passenden Assoziationen, sondern man fühlt sich spätestens, wenn das Klavier zusätzlich Sekundklänge im Diskant einwirft, in eine Eiswelt versetzt.
Zugegeben, bald fängt es im Orchester an zu brodeln. Die tieferen Frequenzbereiche werden hörbar. Hier wären Assoziationen mit einer feurigen Atmosphäre schon haltbarer. Doch die Musik entwickelt sich dann in eine ganz andere Richtung. Das Orchesterstück klingt bald wie eine musikalische Unterlegung eines eher schlechten als rechten Horrorfilms, in dem der Protagonist von Raum zu Raum pirscht und er hinter jeder Tür von einem Schrecknis bis ins Mark erschüttert wird. Was das mit Beethoven zu tun hat? Das ist schwer zu beantworten.
Dass Šerkšnytė ihren feurigen Orchesterschreck unvermittelt mit dem Kopfmotiv der 5. Symphonie Beethovens im Tutti enden lässt, veranlasst dann doch den ein oder anderen Konzertbesucher kopfschüttelnd die Hände vor das Gesicht zu schlagen.
Gut, dass nun noch das Original kommt. Beethoven! Welch freudige Aussicht. Der letzte ‚Hit‘ des Konzertabends.
Ein flottes Tempo legt die Dirigentin, die ebenfalls gebürtige Litauerin ist, an den Tag. Und mit der vierten Note haben wir auch schon die erste Überraschung. Bei der achten Note, dann wieder: Grašinytė-Tyla schlägt durch! Keine auch nur minimalst angedeutete Fermate auf den jeweils vierten Tönen des Klopfmotivs. Was hat man da nicht schon für Interpretationen in der Vergangenheit gehört. Dirigenten, die das Es, beziehungsweise das D überlang aushalten. Doch stellt sich bei der am Mittwoch dargebotenen Interpretation die Frage, ob das andere Extrem eine bessere Alternative sei. Ungewohnt war die Gestaltungsweise auf jeden Fall und dem Mut, den es bedarf, solch ein Wagnis umzusetzen, sei Respekt gezollt.
Nachdem der Siegeszug im letzten Satz vom Orchester mit vollem Einsatz glanzvoll abgeliefert worden war, dankte ein sichtlich zufriedenes Publikum mit langanhaltendem Applaus der Dirigentin und ihrem Orchester.
Bianca Schumann, 5. April 2018, für
klassik-begeistert.de
Nun, das war nicht Beethovens 5., wie ich sie im Kopf habe, aber allemal eine interessante Alternative. Da diese Kritik gleich von der 8. Note bis ganz zum Schluss springt, verpasst sie die Gelegenheit, etwas zur Interpretation zu sagen, zu erklären, warum bei der vierten und der achten Noten die Fermaten ausgelassen wurden. Ich fasse es so: es ist der Dirigentin gelungen, der Fünften das Heroisch-Schicksalhafte (womit sie etwa seit Beethovens Tode behaftet ist) zu nehmen, ohne aber auf die ihr inneliegende Dramatik zu verzichten. Eine bemerkenswerte Leistung von einer vielversprechenden, hochbegabten Dirigentin. Die Reise von München nach Wien hat sich gelohnt.
Steven J. Sherman