Als Franz Welser-Möst nach dem Ende der Sinfonie – erschöpft, aber sichtlich glücklich – wieder auf das Podium kam, erhob sich das Publikum im Saal spontan, um dem Dirigenten und dem Orchester zu huldigen. Ein bewegender Augenblick.
Wiener Konzerthaus, 18. Oktober 2023
Fotos: Cleveland Orchestra © Lukas Beck
Cleveland Orchestra
Franz Welser-Möst, Dirigent
Simon Keenlyside, Bariton
Gustav Mahler
Sechs ausgewählte Lieder
***
Symphonie Nr. 7 e-moll (1904–1905)
von Dr. Rudi Frühwirth
Das Konzert des Cleveland Orchestra unter der Leitung von Franz Welser-Möst ist ganz im Zeichen von Gustav Mahler gestanden. Der Abend begann mit sechs ausgewählten Liedern, gesungen von Simon Keenlyside. Aus Mahlers früher Schaffenszeit waren drei Lieder in der Bearbeitung für Bariton und Orchester von Luciano Berio zu hören, drei etwas spätere Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ in der von Mahler selbst besorgten Orchestrierung.
Im ersten Lied, dem „Frühlingsmorgen“ nach einem Text von Richard Leander (eigentlich Volkmann), werden Motive angesprochen, die später in Mahlers Schaffen immer wieder auftauchen, wie etwa der Lindenbaum in den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ oder das „Erwachen“ in der 2. Symphonie. Die Bearbeitung von Berio klingt gar nicht „mahlerisch“, offensichtlich ganz bewusst. Das nächste Lied, die „Ablösung im Sommer“ findet sich wieder in Mahlers 3. Symphonie, hier lehnt sich Berio erfreulicherweise eng an diese spätere Version an. Die „Revelge“ aus den Wunderhorn-Liedern besitzt in unseren von Kriegen überschatteten Tagen eine gespenstische Aktualität.
Simon Keenlyside wusste die Trauer und das Leid des toten Kriegers ergreifend zu gestalten. Es folgte „Urlicht“, in dem das Grauen der „Revelge“ durch die Verheißung eines besseren ewigen Lebens in Freude und Zuversicht erlöst wird. Keenlysides Interpretation stand der bekannteren Fassung für Altstimme in der 2. Sinfonie in Ausdruck und Intensität in keiner Hinsicht nach. Das entzückende „Rheinlegendchen“ bildete den Abschluss der drei Wunderhorn-Lieder.
Zuletzt folgte ein leichtherziges Lied, „Hans und Grethe“, nach einem selbstgedichteten Text von Mahler. Der Solist hat hier nicht nur zu singen, sonder auch zu jodeln, was so manchen im Publikum ein Schmunzeln entlockte. Keenlyside war stimmlich und interpretatorisch exzellent und machte die Texte dank klarer Artikulation durchwegs verständlich. Solist, Dirigent und Orchester wurden mit starkem Beifall belohnt.
Nach der Pause folgte Mahlers 7. Sinfonie. Ich muss gestehen, dass ich auch nach mehrmaligen Hören noch keinen rechten Zugang zu diesem Werk gefunden habe. Das liegt vermutlich zuerst an der ungeheuren Komplexität der Partitur, dann auch an der Fülle der Themen und der nicht leicht zu entschlüsselnden Bauweise vor allem des Kopfsatzes. Dieser beginnt ähnlich einem Trauermarsch mit einem Solo des Tenorhorns. Hier muss ich meinen einzigen Kritikpunkt am Orchester anbringen – das deutlich hörbare Vibrato fand ich an dieser Stelle höchst un-mahlerisch. Dass Welser-Möst hier nicht korrigierend eingegriffen hat, verwundert mich. Im Gegensatz dazu verdienen die übrigen Blechbläser höchstes Lob, und hier wieder ganz besonders die Trompeten, die im gesamten Werk – mit Ausnahme des 4. Satzes – extrem gefordert sind.
Der 2. Satz ist die erste „Nachtmusik“. Ganz kann ich diese Bezeichnung nicht nachvollziehen, denn der Satz ist einer der für Mahler so überaus charakteristischen Märsche. Er ist formal wie thematisch wesentlich einfacher gebaut als der 1. Satz und daher leichter zugänglich, zumal da er mitreißend musiziert war. Der häufige Wechsel zwischen Dur und Moll im Hauptthema weist zurück auf Schubert. Der 3. Satz ist ein Scherzo, eher Ländler als Walzer, mit verhuschten Figuren in den Streichern, unterbrochen durch jähe Schreie in den Bläsern.
Der 4. Satz ist eine echte Nachtmusik: sparsam instrumentiert, Trompeten und Posaunen schweigen, die hervorragenden Hörner und Holzbläser spielen weitgehend solistisch. Typisch für Mahler sind die großen sehnsüchtigen Intervalle in der Melodieführung. Der 5. Satz schließlich ist das Finale. Er stellt höchste technische Anforderungen an das Orchester, die die Musikerinnen und Musiker unter der sicheren Leitung von Welser-Möst brillant bewältigten. Der Satz ist ungewohnt optimistisch, ein strahlendes Thema im Blech wechselt mit einem ruhigeren Thema ab, das meistens von Streichern und Holzbläsern vorgetragen wird. Der grelle Schluss zeigt nochmals, das der Satz insgesamt mehr als sonst bei Mahler auf äußerliche Effekte ausgerichtet ist. In meiner Empfindung kann er mit den tieffühlenden unvergleichlichen Schlusssätzen der 2. und 3. Sinfonie nicht mithalten.
Das Orchester zeigte sein stupendes Können in allen Gruppen. Die Streicher waren brillant, mit einem Anflug von Schärfe, was freilich auch an der Akustik des Saales liegen kann. Das Blech war bombensicher, die Trompeten konnten besonders glänzen. Die Hörner waren klangschön und sicher, die Posaunen ebenfalls. Die Holzbläser waren makellos, und das Schlagwerk hatte nicht wenig zu tun.
Die Leitung durch Welser-Möst hat mich absolut überzeugt. Es ist offensichtlich, dass die mehr als zwanzigjährige Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Orchester zu einem außerordentlichen Vertrauensverhältnis geführt hat. Die Wahl der Tempi schien mir goldrichtig; ich hatte nie das Gefühl, die Musik sei „zu schnell“ oder „zu langsam“. Die häufigen Temporückungen im Finale waren perfekt. Die in dieser Sinfonie extreme Dynamik vom zarten Pianissimo bis zum tosenden Fortissimo war hervorragend kontrolliert, die zahlreichen Mahlerischen Brüche gut herausgearbeitet.
Als Franz Welser-Möst nach dem Ende der Sinfonie – erschöpft, aber sichtlich glücklich – wieder auf das Podium kam, erhob sich das Publikum im Saal spontan, um dem Dirigenten und dem Orchester zu huldigen. Ein bewegender Augenblick.
Dr. Rudi Frühwirth, 20. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Cleveland Orchestra, Simon Keenlyside, Franz Welser-Möst Konzerthaus Wien, 18. Oktober 2023
CD-Rezension: Gustav Mahler, Symphonie Nr.7, Bernard Haitink klassik-begeistert.de, 13. Juni 2023