Mahlers Siebte wird in Köln in Vollendung dargeboten

Wiener Philharmoniker, Andris Nelsons, Dirigent, Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 7 in e-Moll  Köln, Philharmonie, 22. Januar 2023

Wiener Philharmoniker / Andris Nelsons, Daniel Dittus ©

Andris Nelsons und die Wiener Philharmoniker in der Philharmonie


Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 7 in e-Moll

Wiener Philharmoniker
Andris Nelsons, Dirigent

Köln, Philharmonie, 22. Januar 2023

von Brian Cooper, Bonn

Auch wenn man innerhalb kürzester Zeit viele hochkarätige Orchester hören darf (in meinem Fall waren es in knapp zwei Wochen die English Baroque Soloists in Köln, das BRSO in München und das Concertgebouworkest in Amsterdam), so ist es doch immer wieder ein besonderes Privileg, die Wiener Philharmoniker zu hören.

Das Kölner Publikum ist da besonders privilegiert, da die Wiener in so gut wie jeder Spielzeit mindestens einmal die Philharmonie beehren. Es gab in vergangenen Spielzeiten sogar ein Abo mit dem schönen Namen „Das kleine Wiener“.

Natürlich ist auch ein Besuch im Goldenen Saal des Musikvereins alles andere als eine Strafe, aber man darf durchaus dankbar sein, dass dieses besondere Orchester, zweifellos eines der wirklich allerbesten der Welt, so reisefreudig ist.

Dieser spezielle Wiener Klang ist ein nur bedingt zu erklärendes Phänomen, das auch – jedoch nicht nur – mit den besonderen Instrumenten zusammenhängt, etwa den handgefertigten Pauken mit Fellen aus Ziegenpergament.

Und dem Paukisten gestern bei der Arbeit zuzusehen und zuzuhören, der in Mahlers Siebter Sinfonie eine tragende Rolle hat, das war ein ganz besonderes Vergnügen. Obwohl wir von einem jener Abende sprechen, bei denen es sich eigentlich verbietet, jemanden hervorzuheben.

Andris Nelsons war der Dirigent des Abends, und der Kollege Herbert Hiess hatte dasselbe Programm ja bereits einige Tage zuvor in Wien gehört, interessanterweise nicht im Musikverein, sondern im Konzerthaus. Ich darf den Beginn zitieren:

„Irgendwie ist es bei der 7. Mahler doch so, dass man fast im ersten Takt sagen kann, wie die Aufführung wird; wenn das Tremolo der Streicher im Zusammenklang mit der großen Trommel in der zweiten Takthälfte verschwimmt, steht nach der subjektiven Meinung des Autors dieser Zeilen die Aufführung unter keinem guten Stern.“

In Köln gelang dieser Beginn perfekt, und das unmittelbar folgende große Tenorhorn-Solo gelang derart atemberaubend, dass es die Messlatte für einen großen Abend sehr hoch ansetzte. Nun, wir sprechen von den Wienern, und das Versprechen wurde gehalten.

Andris Nelsons © Marco Borggreve

Andris Nelsons, obwohl gerade mal 44, ist seit vielen Jahren, gefühlt schon seit Jahrzehnten, ein gestandener und begehrter Dirigent, der nach Anfängen bei der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford eine steile Karriere hingelegt hat. Er hat viel von seinem Förderer und Lehrer Mariss Jansons übernommen und mit diesem weit mehr als nur die lettische Nationalität gemein: die linke Hand an der Brüstung (nicht mehr so häufig wie früher), das „Verstauen“ des Dirigierstabs ab und an unter der linken Achsel und schließlich das Abfeiern des Orchesters beim Applaus – rechte Hand für die linke Hälfte des Orchesters, linke Hand für die rechte Hälfte. Nelsons’ Gesten und Bewegungen sind insgesamt ruhiger geworden, auch wenn er noch immer ausladend fulminant seine Wünsche und Vorstellungen einfordert.

Die Tempi waren gerade in den ersten beiden Sätzen extrem breit angelegt, und was zunächst ein Risiko birgt, kann man mit einem großen Orchester durchaus machen. Hart an der Grenze zum Zähflüssigen war’s im Kopfsatz, aber diese Grenze wurde eben nie überschritten.

Das Hörner-Zwiegespräch im zweiten Satz war ebenso phänomenal wie bei Stefan Dohr und Co. im vergangenen November unter Kirill Petrenko in Frankfurt. Wenn man solche Mahler-Aufführungen erleben darf, ist man doch sehr, sehr verwöhnt. Nur ein kleines Detail dieser Wiener Aufführung: Der schier endlose Auftakt zum Seitenthema des zweiten Satzes, ein einziger Ton, war so beseelt! Und wie Nelsons den Gong am Ende ausklingen ließ, das war ganz groß – und auch dank eines insgesamt aufmerksamen Publikums möglich. Übrigens war die Philharmonie erfreulicherweise bis fast auf den letzten Platz ausverkauft.

Auch der dritte Satz bewegte sich eher am langsamen Ende der Skala, doch das Tänzerische war nie statisch. Und wer sollte Tänzerisches und Dreivierteltakt mehr im Blut haben als die Wiener…

Yamen Saadi, Absolvent der Kronberg Academy und erst im vergangenen Jahr zum neuen Konzertmeister gekürt, also so frisch erst im Amt, dass er noch nicht in der Auflistung der Orchestermitglieder im Programmheft aufgeführt war, spielte im vierten Satz ein Solo von solch tröstender Wärme, dass den Kolleginnen – übrigens immer noch nur etwa zwei Dutzend, die schlechte Frauenquote ist nach wie vor ein Thema – und Kollegen nichts Anderes übrigblieb, als den Satz in derselben Zartheit fortzuspinnen. Bleibt die Frage, warum man sich ausgerechnet beim leise ausklingenden F-Dur-Schluss lautstark die Nase schneuzen muss, wo doch das Finale mit Pauken und Trompeten bzw. insgesamt viel Blech beginnt.

Wiener Staatsoper © Clara Evens

Dieser von vielen Zeitgenossen mit Ratlosigkeit aufgenommene letzte Satz (warum nur?) wurde zu einem triumphalen Höllenritt, den man erst einmal so hinkriegen muss. In allen Momenten dieser Aufführung der gesamten Sinfonie fiel etwas Bemerkenswertes auf: Allen Musikerinnen und Musikern stand höchste Aufmerksamkeit ins Gesicht geschrieben, alle waren mindestens einen Takt vor ihrem Einsatz bereit. Das ist offenbar das Selbstverständnis, ein Teil der Wiener Philharmoniker zu sein.

Ein aus Aachen angereister Konzertfreund und ich rätselten hinterher, wie lange es wohl her gewesen sein mag, dass Nelsons dieselbe Sinfonie mit dem hiesigen WDR-Sinfonieorchester dirigierte. Fünf Jahre? Zehn? Die Aufführung war schon damals gut, immerhin erinnerten wir uns beide daran, aber Nelsons sei, so der Freund, „irgendwie kulinarischer geworden“. Was man durchaus auch sehe, habe ich, nicht ganz politisch korrekt, erwidert.

Wieder mal also ein großer Abend, wieder mal ein herausragender Mahler. Langweilig wird das jedoch nie. Im Gegenteil: Das neue Konzertjahr beginnt fantastisch. Kommen’S bittschön bald wieder, liebe Wiener Philharmoniker.

Dr. Brian Cooper, 23. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 7 in e-moll Wiener Konzerthaus, 17. Januar 2023

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 7 e-Moll, Bamberger Symphoniker, Andris Nelsons Bamberg, Konzerthalle, 21. Dezember 2022

Andris Nelsons, Wiener Philharmoniker, Salzburger Festspiele, 7. August 2020

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