Judith Spießer (Lakmé), Opernchor © Birgit Gufler
Diese so zauberhafte und am Ende doch traurige Liebesgeschichte am Tiroler Landestheater zu erleben, hat mir große Freude gemacht. So möchte ich abschließend darauf hinweisen, dass im Februar noch drei Aufführungen mit Judith Spießer als Lakmé auf dem Spielplan stehen und dass das schöne Innsbruck immer eine Reise wert ist. Vielleicht bietet sich das ja auch in Verbindung mit Wintersport an, der dort jetzt wieder möglich ist!
Lakmé
Oper von Léo Delibes
Tiroler Landestheater, Innsbruck, 19. Januar 2023
von Dr. Lorenz Kerscher
Die Oper Lakmé habe ich vor nicht allzu langer Zeit als Videostream aus der Pariser Opéra comique gesehen und weiß daher, dass sie sehr schön ist. Sie live zu erleben, hatte ich noch nie die Gelegenheit, denn sie wird auf deutschsprachigen Bühnen so gut wie nie aufgeführt. Der Grund dafür ist, so las ich im Opernführer, dass die Titelrolle sehr schwer zu besetzen ist, da sie zum einen die Wärme eines lyrischen Soprans, dazu aber auch äußerst virtuosen Koloraturgesang erfordert. Dies gilt insbesondere für die bekannte Glöckchenarie, an der sich immer wieder junge Wettbewerbsteilnehmerinnen versuchen und dabei oftmals schmerzlich an ihre Grenzen stoßen.
Nun kam dieses Werk am Tiroler Landestheater in Innsbruck auf den Spielplan und die Titelrolle war in der Premiere und diversen Folgevorstellungen mit einer Sopranistin besetzt, die lyrisch und auch Koloratur kann, die sowohl Pamina als auch Königin der Nacht singt und auch die drei so unterschiedlichen Frauenrollen in Hoffmanns Erzählungen darstellt. So war ich besonders neugierig, wie Judith Spießer, die ich schon als Rising Star vorgestellt habe, diese herausfordernde Rolle bewältigt. Und vor allem freute ich mich darauf, diese Oper endlich live zu erleben.
Regisseur Hinrich Horstkotte verzichtete darauf, die Handlung in eine andere Zeit zu verlegen oder etwas hinein- oder umzudeuten. Ich denke, um das Publikum mit einem weitgehend unbekannten Werk vertraut zu machen, ist das auch der richtige Weg. So entsprechen auch die Kostüme (ebenfalls vom Regisseur entworfen) der Kolonialzeit im 19. Jahrhundert, in dem die Handlung spielt: farbenfrohe Gewänder für die Inder, weiße Tropenkleidung für die Engländer. Nach dem kurzen Vorspiel des Orchesters (werkgerecht geleitet und immer bestens mit dem Gesang abgestimmt von Stefan Politzka) folgt eine sehr effektvolle Eingangsszene: Zum feierlichen Chor der gläubigen Hindus schwebt Lakmé, die von ihrem Vater als Göttin inszeniert wird, vom Himmel herab.
Dazu auch noch schön zu singen, ist die erste große Herausforderung, der Judith Spießer selbstverständlich und mit großer Wirkung gerecht wird. Der Priester Nilakantha, von Matthias Hoffmann mit energiegeladenem Bass als fanatischer Widerstandskämpfer beglaubigt, stachelt seine Anhänger zum Aufstand gegen die Kolonialherren auf und überlässt seine Tochter der Obhut ihrer Diener. So folgt der „Schlager“ des Werks, das Blumenduett, in dem sich Irina Maltseva in der Rolle der Dienerin Mallika als bestens harmonierende Duettpartnerin bewährt.
Die beiden Mädchen besteigen ein Boot und der makellos schöne Gesang verklingt. Daran anschließend betreten die Soldaten Gérald (Leonardo Ferrando mit wohlklingendem lyrischen Tenor) und Frédéric (Bariton Wolfgang Resch) mit ihren Verlobten (Felicitas Fuchs-Wittekindt und Ana Akhmeteli) nebst Gouvernante (Susanna von der Burg) die Szene. Sie sind so völlig anders und ganz ohne zauberhaftes Flair.
Der schulmeisterliche Frédéric und die schrulligen Damen bilden einen überspitzt komischen Kontrast zur spirituellen Atmosphäre des heiligen Orts der Hindus, während Géralds schwärmerisches Naturell sich vom Zauber der geheimnisvollen Umgebung einfangen lässt. Grund genug für den Tenor, sich mit schönen Melodien in die Herzen des Publikums und dann auch der zurückkehrenden Lakmé zu singen. In dem folgenden Liebesduett kann auch Judith Spießer wieder mit dem ausdrucksreichen lyrischen Wohlklang ihrer Stimme überzeugen, bis der zurückkehrende Nilakantha Gérald zur Flucht zwingt und für das Eindringen in sein Heiligtum tödliche Rache schwört.
Farbenfroh und lebendig ist zu Beginn des zweiten Aktes das Treiben auf dem Markt, wo um Waren gefeilscht und die Gouvernante von Straßenhändlern bedrängt wird. Nilakantha, als Bettler verkleidet, bringt eine fahrbare Bühne in Stellung, auf der Lakmé ein Lied singen soll. Es ist die berühmte Glöckchenarie, die mit drei dahinter agierenden Tänzerinnen sehr effektvoll als Auftritt einer achtarmigen Göttin in Szene gesetzt wird.
Zur Darbietung einer der schwierigsten Koloraturarien der Opernliteratur muss Judith Spießer also auch exakt koordinierte Armbewegungen ausführen. Und zu Recht wird sie mit begeistertem Szenenapplaus überhäuft, und ich kann gar nicht genügend Superlative anführen, um ihre Leistung zu würdigen! Mit ebenso viel Wärme in der Stimme wie auch mit blitzsauberer Koloraturakrobatik bis hin zum dreigestrichenen E hat die anfangs vom Himmel gestiegene Göttin spätestens jetzt alle Herzen erobert und ich scheue mich nicht, dieser Leistung das Etikett „Weltklasseniveau“ anzuheften.
Gérald darf im Laufe der Oper viele schöne Melodien singen und ist dabei ein Schlafwandler auf einem sehr gefährlichen Grat zwischen Pflicht und Schwärmerei. Leonardo Ferrando porträtiert ihn als eine sehr naive Bühnengestalt, da gibt es keine Reflexion der Unvereinbarkeit seiner Wünsche. So ist die Partie sehr schön gesungen, aber als eine recht schwache Persönlichkeit ausgelegt. Um beurteilen zu können, ob auch mehr innere Spannung zum Ausdruck gebracht werden könnte, kenne ich die Oper zu wenig.
Im Folgenden bietet das Fest der Hindus eine beindruckende Chorszene, aber auch die Gelegenheit für Nilakanthas Rachepläne, der am Ende des zweiten Akts Gérald niedersticht und glaubt, ihn tödlich getroffen zu haben. Doch der Diener Hadji (Dale Albright) hat ihn gerettet und so spielt der dritte Akt in einem Versteck, wo Lakmé den Geliebten gesund pflegt. Ein weiterer Höhepunkt des Abends gelingt mit dem zarten Duett zum Chor der zur heiligen Quelle pilgernden Liebespaare.
Doch aller schöne Gesang hilft ihr nicht, den wankelmütigen Geliebten für sich zu gewinnen. Sie kann ihn nur noch durch Opfer ihres eigenen Lebens retten. Ihrem Suizid verleiht Judith Spießer nochmals große Würde. Erst als sie schon entrückt ist, erkennt Gérald endlich, welch große Liebe sie für ihn empfunden hat.
Diese so zauberhafte und am Ende doch traurige Liebesgeschichte am Tiroler Landestheater zu erleben, hat mir große Freude gemacht. So möchte ich abschließend darauf hinweisen, dass im Februar noch drei Aufführungen mit Judith Spießer als Lakmé auf dem Spielplan stehen und dass das schöne Innsbruck immer eine Reise wert ist. Vielleicht bietet sich das ja auch in Verbindung mit Wintersport an, der dort jetzt wieder möglich ist!
Dr. Lorenz Kerscher, 23. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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