Rising Stars 36: Carolina López Moreno, Sopran – ein schöner Traum weist den Weg zum Erfolg

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

 

SWR Junge Opernstars 2018 – Carolina López Moreno – “Signore, ascolta!”

von Dr. Lorenz Kerscher

Wenn ein junges Mädchen schon als Zwölfjährige Gesangsunterricht nimmt, ist das wohl keine bildungsbürgerliche Pflichtübung, sondern dem Traum geschuldet, als Solistin vor das Publikum zu treten. Allerdings dachte die 1991 in Deutschland geborene und aufgewachsene Carolina López Moreno noch lange nicht an klassischen Gesang, es waren poppige Sachen, die sie mit ihrer jüngeren Schwester einübte. Damit traten die beiden im Jahr 2008 bei Dieter Bohlens Supertalent Show an und schafften es ins Halbfinale. Eine Aufnahme ihres Teilnehmersongs gibt es noch in YouTube, darunter steht u. a. der folgende Kommentar:

„also ich finde , amanda hat die rauchigere stimme und würde besser in dieses soul/r’n’b genre reinpassen…carolinas stimme ist viel klarer, könnt sie mir gut auf ner musicalbühne vorstellen.“

Und das nahm die Entwicklung zutreffend vorweg: die sechs Jahre jüngere Amanda wurde Soul-Sängerin, während Carolina 2011 an die Münchner Theaterakademie August Everding ging, um Musical zu studieren. Die Erkenntnis, dass ihre Stimme über dieses Genre hinauswächst, brachte sie 2013 an die Stuttgarter Musikhochschule und ließ sie Studentin des hervorragenden mexikanischen Tenors Francisco Araiza werden. Die gemeinsamen lateinamerikanischen Wurzeln waren hier wohl ein gutes Vorzeichen – Carolinas Vater, ebenfalls mit Vornamen Francisco, stammt aus Bolivien. Mit dem Studium ging es gut voran und es bildete sich auf dem Weg zu dem 2017 mit Auszeichnung bestandenen Bachelorabschluss ein neuer Traum heraus: sie wollte auf bedeutenden Bühnen große Opernrollen darstellen.

Das wollte sie nicht dem Zufall überlassen und ergriff die Initiative, um ihren Plan mit einer ersten CD öffentlich zu machen. Die Zusammenarbeit mit der Pianistin Doriana Tchakarova, die schon vielen Gesangstalenten (darunter Konstantin Krimmel) den Weg zu einer erfolgreichen Entwicklung eröffnet hat, stellte den Kontakt zu einem guten Plattenlabel her. Und um mit diesem Projekt schnell voranzukommen, sammelte sie das nötige Geld per Crowdfunding ein. „Il bel sogno“, der schöne Traum, nannte sie das Album nicht nur nach einer bekannten Arie von Puccini, sondern auch als Bekenntnis zu ihrem eigenen Ziel.

La rondine, SC 83: „Chi il bel sogno di Doretta“

Mit dieser Visitenkarte konnte sie sich Anfang 2018 als Sopranistin mit einer warmen Stimme vorstellen, die über eine substanzreiche Tiefe verfügt und in der Höhe engelsgleich zarte Töne ebenso aufbieten kann wie durchsetzungsfähige Strahlkraft. Das sind beste Voraussetzungen für das italienische Fach. Als sie zu dieser Zeit ihr Studium an der Manhattan School of Music fortsetzte, konnte sie sich schon bald in einer Studentenaufführung als Mariuccia in Nino Rotas I due timidi präsentieren. Ich konnte diesen bezaubernden Nachklang der Opera buffa mit schönen, von Puccini inspirierten Kantilenen als Stream anschauen und mich davon überzeugen, wie gut der italienische geprägte Stil und die Rolle zu ihr passten.

Allerdings hat man bei der Besetzung großer Sopranpartien in Opern von Verdi, Puccini & Co. meist Stars mit bekannten Namen auf dem Radar, während man dem unter 30-Jährigen Nachwuchs eher Mozart und Belcanto zutraut und unter den alterstypisch meist leichteren Stimmen auch geeignete Talente findet. Und Wettbewerbsjurys, so ist mein Eindruck, werten vor allem nach technischen Fertigkeiten im Koloraturfach. So war während des Studiums in New York Carolinas schöner Traum noch nicht greifbar, sondern trat hinter die Arbeit an der Weiterentwicklung ihrer Technik und ihres Ausdrucksspektrums zurück. Sehr lohnend war hierfür die Beschäftigung mit dem Kunstliedrepertoire, aus dem sie 2020 bei ihren Examenskonzert ein Programm in vier Sprachen vorstellte, das von einer Kritikerstimme mit den Auftritten großer Stars in der Carnegie Hall gleichgesetzt wurde. Zehn in der etwas steifen Form vorschriftsmäßiger Bewerbungsvideos produzierte Ausschnitte sind auch in sehr guter Tonqualität auf ihrem YouTube-Kanal dokumentiert.

 

Claude Debussy „L’âme évaporée“ (Romance)

Doch in ihrem 30. Lebensjahr führte Carolinas Weg endlich in großen Rollen italienischer Opern an das Licht der Öffentlichkeit. Das war 2021 zuerst die Liù in Turandot bei Oper im Steinbruch St. Margarethen. Ihre Lehrerin Donata D’Annunzio Lombardi war hierbei die Erstbesetzung und trat ihr einige Aufführungen ab. Einige mit Handykamera aufgezeichnete Ausschnitte aus Proben und Aufführungen finden sich auf ihrem YouTube-Kanal und belegen, welch ein beeindruckendes Rollenporträt ihr gelang, durch Bühnenpräsenz ebenso wie mit der Gestaltung der im emotionalen Zentrum des Werks stehenden Gesangspartie. So konnte sie mit Wärme und Zartheit ebenso überzeugen, wie mit dramatischer Zuspitzung über dem Klangteppich des großen Orchesters.

Noch im selben Jahr folgten Auftritte als Nedda in Pagliacci beim Tagliacozzo Festival und als Leonora in Il trovatore am Teatro Verdi di Pisa. Das letztere Debüt wurde als Livestream übertragen und ist immer noch vollständig in Youtube verfügbar. Auch wenn die Tonqualität nicht ganz optimal ist, kann dies als Beleg dienen, dass man große Verdi-Rollen sehr gut mit ihr besetzen kann. 2022 machte sie dann einen Ausflug ins französische Fach und nach Gran Canaria, um an der dortigen Oper der Antonia in Hoffmanns Erzählungen lyrische Wärme zu schenken.

 

Offenbach: LES CONTES D’HOFFMANN – Antonia „Elle a fui la tourterelle“

Im November 2022 gelang ihr dann auf deutschem Boden ein ganz wesentlicher Durchbruch. Thomas Hengelbrock hatte sich vorgenommen, die Ursprungsfassung von Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana zu rekonstruieren und mit seinem Balthasar-Neumann-Ensemble im Festspielhaus Baden-Baden aufzuführen. Der Komponist musste für dieses Werk, das ihm erstmals Ruhm brachte, seinerzeit viele Zugeständnisse machen. Er musste nicht nur in Striche einwilligen, sondern auch die Partie der Santuzza auf Verlangen der Sängerin tiefer legen, so dass sie heute normalerweise von einer Mezzosopranstimme gesungen wird. Doch in der Ursprungsfassung liegt eine Sopranpartie vor, die Hengelbrock mit Carolina López Moreno besetzte. Zwei Aufführungen genügten ihr, um von den Rezensenten mit Lob überschüttet zu werden. Die Süddeutsche Zeitung schrieb:

„… Zumal Hengelbrock mit der jungen Carolina López Moreno eine echte Entdeckung gelingt. Die in Deutschland geborene, aber hierzulande bislang kaum bekannte Sopranistin hat durchaus dramatisches Potenzial, integriert geschickt auch die Tiefe, überzeugt aber vor allem durch ihre vielen verinnerlichten, ins Piano zurückgenommenen Farben – was die Rolle anrührender wirken lässt.“

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung war ebenso wenig um lobende Worte verlegen:

„… Allen voran Carolina López Moreno als Santuzza, die mit ihrem leuchtenden, in allen Lagen ausgeglichenen Sopran locker durch die originalen Tonarten kam, dazu ein emotionsgeladenes, zwischen Liebe und Hass, Gebet und Verfluchung, Demütigung und Verrat schwankendes Rollenporträt abgab und die „Wahrheit“ ihrer Gefühle auch im Schrei, im Flüstern und Sprechen artikulierte.“

Und das Offenburger Tagblatt wagte sich gar an einen äußerst schmeichelhaften Vergleich:

„Sie ist […] auf dem Weg, Anna Netrebko die Show zu stehlen. Ihr voller, nie scharfer Sopran ist sicher im Piano und Forte. Wenn sie innig klagt ‘Voi lo sapete, o mamma’ oder trotzig dem ‘Alleluja’ des Chores in der Kirchszene ihr ‘Ah! L’amor!‘ entgegen schleudert, würde man gerne da capo rufen.“

„Es war der Moment, auf den Carolina in den letzten zehn Jahren leidenschaftlich hingearbeitet hat“, war danach in ihrem von einer Vertrauten verfassten und verteilten Newsletter zu lesen. Über diese Zeitspanne musste sie ihrem schönen Traum mit großer Zielstrebigkeit folgen, um endlich mit Bravour in die Karriere zu starten. Und nun gibt es kein Ausruhen auf den Lorbeeren, vielmehr zeichnen sich weitere italienische Rollendebüts ab, darunter die Titelrolle in Adriana Lecouvreur in Lüttich im April 2023 und ein halbes Jahr später die Mimì in La Bohéme am Teatro Lirico di Cagliari. Die Qualität, die ihre Stimme schon bei ersten bemerkenswerten Auftritten im Jahr 2018 aufwies, hat sich bestens stabilisiert. Das möge ihr sicheren Auftrieb geben, um durch die ersehnten Traumwelten der italienischen Oper zu schweben und das Publikum mit weiteren überzeugenden Rollenporträts zu bewegen!

 

Nürnberg Bardentreffen 2022 – Carolina López Moreno (Turandot – Liù “Tu che di gel sei cinta”)

Dr. Lorenz Kerscher, 15. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Information:

Biografisch sortierte Playlist in Youtube

Offizielle Webseite

Carolina López Moreno in Wikipedia

Dr. Lorenz Kerscher, 15. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

Rising Stars 35: Das Barbican Quartet klassik-begeistert.de 17. November 2022

Rising Stars 34: Nikola Hillebrand, Sopran – die Unschuld vom Lande spielt sich in alle Herzen klassik-begeistert.de 20. Oktober 2022

Rising Stars 33: Michael Arivony klassik-begeistert.at

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