Rising Stars 35: Das Barbican Quartet – vier junge Streicher gehen gemeinsam den Weg nach oben

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

 

Barbican Quartet | 1. Preis Streichquartett | Ludwig van Beethoven | ARD-Musikwettbewerb 2022


von Dr. Lorenz Kerscher

Die Kammermusikgattung des Streichquartetts hat ein riesiges Repertoire, das von der frühen Klassik bis zu zeitgenössischen Werken reicht, und bietet schon während des Studiums von Geige, Bratsche und Cello reichlich Betätigungsmöglichkeit. Deshalb finden auch viele junge Ensembles zusammen und nicht wenige entwickeln dabei Ziele, die weit über das Absolvieren eines Pflichtkurses hinausgehen.

So waren es auch 17 Quartette, die beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2022 in München an den Start gingen. Am Ende errang das Barbican Quartett den ersten Preis, den Sonderpreis für die beste Interpretation der Auftragskomposition und den Preis von GENUIN Classics für eine CD-Produktion. Scrollt man durch die Facebookseite des Ensembles oder sucht man die erste in YouTube auffindbare Videoaufnahme, so kommt man zurück bis Mitte 2015. In diesem Jahr gaben die Anfang der 90er Jahre geborenen Nachwuchskünstler ihr erstes Konzert im Londoner Barbican Centre, worauf sie sich dann mit der Wahl des Namens bezogen. Auf dem Programm standen Werke von Dmitri Shostakovich.

 

Shostakovich 9th String Quartet – Barbican String Quartet (2015)

Tatsächlich entstand das Quartett 2014 als Projekt von Studenten der Guildhall School of Music and Drama in London. Seit acht Jahren spielen die jungen Künstler also zusammen – abgesehen davon, dass es einige Umbesetzungen bei der zweiten Geige gab. Um sich weiter zu vervollkommnen, studieren sie derzeit bei Günter Pichler an der Reina Sofia String Quartet Academy in Madrid sowie beim Quatuor Ébène an der Hochschule für Musik München.

Die aktuelle Besetzung ist:

Amarins Wierdsma (Niederlande), 1. Violine

Kate Maloney (Kanada), 2. Violine (seit Feb. 2022)

Christoph Slenczka (Deutschland), Viola

Yoanna Prodanova (Bulgarien), Violoncello

Diese jungen Menschen unterschiedlicher Nationalität treten auch als Solisten auf. Doch vor allem arbeiten sie erfolgreich daran, als Streichquartett immer besser zusammenzuwirken. Denn nur wenn eine solche Harmonie erreicht wird, als würde ein einziges Instrument erklingen, besteht die Chance, bei internationalen Wettbewerben auf dem Siegertreppchen zu landen. Und das ist dem Barbican Quartet immer wieder gelungen und hat ihm auch Auftrittsmöglichkeiten bei bedeutenden Festivals verschafft.

 

Vibre! Bordeaux International String Quartet Competition 2022 – Barbican Quartet – Final round

Der erste Preis beim ARD-Musikwettbewerb 2022 einschließlich des Sonderpreises für die Produktion des Debütalbums ist nun ein krönender Höhepunkt. Der Nachweis der geforderten Perfektion gelingt dem Barbican Quartet mit rhythmischer Prägnanz, die in Werken Neuer Musik wie auch von Beethoven gut zur Wirkung kommt. Mehr noch schätze ich, wenn lyrische Passagen in feinen Details und gesanglicher Qualität gestaltet werden. Dafür ist z. B. die Musik von Franz Schubert mit ihren in weitester Bandbreite wechselnden Stimmungen ein unbestechlicher Prüfstein. So macht es mir ganz große Freude, wie das Barbican Quartet Schuberts vorletztes Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ interpretiert. Selten hat ein Tonschöpfer seine eigene Zerrissenheit so eindringlich in Töne gefasst wie in diesem Werk. Im abrupten Wechselspiel bäumt sich Verzweiflung auf, quält verhaltener Schmerz und spinnt sich doch wieder traumhaftes Glückgefühl zur unendlichen Melodie fort. Und weil es dem Barbican Quartett wunderbar gelingt, das in feisten Nuancen zu gestalten, ist meine Begeisterung ganz auf der Seite der jungen Musiker!

 

Concierto Fundación Talgo – Barbican String Quartet – Schubert: Quartett „Der Tod und das Mädchen“ (2017)

Das Fragezeichen, unter dem die Entwicklung jedes jungen Streichquartetts steht, ist die Zukunft dieser Musikgattung, die vornehmlich bei Bildungsbürgern alten Schlags Akzeptanz findet und eher weniger den aktuellen Hörgewohnheiten junger Menschen entspricht. Es gibt Ensembles, wie etwa das Vision String Quartet, die Arrangements aus Pop und Jazz in ihre Programme aufnehmen und Musikvideos drehen, um die Jugend zu erreichen. In dieser Richtung wurde das Barbican Quartet noch nicht aktiv, sie setzen bislang auf traditionelle Konzertformate. Ihre Zukunftsperspektive besteht darin, dass sie mit Qualität überzeugen können, und das ist nach wie vor das beste Argument!

Weiterführende Information:

Biografisch sortierte Playlist in Youtube

Offizielle Webseite

Dr. Lorenz Kerscher, 17. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

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