Rising Stars 32: Mikyung Sung muss sich nicht hinter ihrem Kontrabass verstecken

Rising Stars 32: Mikyung Sung muss sich nicht hinter ihrem Kontrabass verstecken  klassik-begeistert.de 1. September 2022

Bild von der offiziellen Webseite von Mikyung Sung:  © Kyutai Shim

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

von Dr. Lorenz Kerscher

Immer wieder höre ich gerne die facettenreiche Violinsonate A-Dur von César Frank, die mit einer großen Bandbreite romantischen Ausdrucks fasziniert. In YouTube findet man zahlreiche Interpretationen berühmter wie auch weniger bekannter Künstler und es gibt auch eine Fassung für Cello, die gerne gespielt wird. Doch wirklich überrascht war ich, als ich eine Wiedergabe dieses technisch anspruchsvollen Werks auf dem Kontrabass fand. „Was mag das wohl sein“, fragte ich mich und stellte fest, dass eine zierliche junge Koreanerin das große Instrument wie ein voll tönendes Cello spielte und die Sonate technisch einwandfrei, ausdrucksvoll und wunderbar melodiös zu Gehör brachte. Ohne zu übertreiben, kann ich sagen, dass mich noch keine Interpretation so begeistert hat!

Franck Violinsonate A-Dur (Mikyung Sung, Kontrabass / Jaemin Shin, Klavier, 2018)

Man könnte Mikyung Sung für einen Teenager halten, da sie von ihrem 1,80 Meter großen Instrument weit überragt wird. Sie könnte sich ohne weiteres dahinter verstecken, zumal sie lieber barfuß spielt, als sich mit Absätzen größer zu machen. In Wirklichkeit ist sie gerade 29 Jahre alt geworden. 1993 wurde sie in Seoul als Tochter eines Kontrabassisten des dortigen Philharmonischen Orchesters und einer Pianistin geboren.

Ihre Geschichte hat sie ausführlich und sogar in Deutsch auf ihrer Homepage beschrieben. Schon sehr früh lernte sie Cello und Klavier, während der drei Jahre ältere Bruder Minje sich bereits auf einem eigens für ihn in reduzierter Größe gebauten Kontrabass betätigte. Als sie 10 Jahre alt war, hielt sie nichts mehr davon ab, es Vater und Bruder gleichzutun und ebenfalls Bass zu spielen.

Bottesini Passione Amorosa (2007) Mikyung Sung (Alter 13), Minje Sung – Kontrabässe

Dass Südkorea sehr viele gute Musiker hervorbringt, liegt wohl auch am großen Fleiß beim Üben und so waren es bei Mikyung Sung von Anfang an fünf Stunden am Tag. Dementsprechend stellten sich bald Erfolge auf dem Konzertpodium und bei Wettbewerben ein. Als 17-jährige gewann sie den J.M. Sperger-Kontrabasswettbewerb in Deutschland, was auch einige Konzertengagements auf deutschen Boden mit sich brachte. 2013 machte sie in Korea ihren Bachelorabschluss. Was das solistische Können betraf, hatten sie und ihr Bruder ihren Vater zu diesem Zeitpunkt längst überflügelt. Sie bestand zwei Probespiele bei bedeutenden Orchestern und schlug diese Stellen dann doch aus, weil sie ihren Traum von der solistischen Karriere weiter verfolgen wollte. So entschloss sie sich, ihr Studium an der renommierten Colburn School in Los Angeles fortzusetzen. Sie fand dort sehr viele Möglichkeiten, sich vor kundigem Publikum zu präsentieren und auch beste Voraussetzungen, um hochwertige Videos für ihren YouTube-Kanal zu produzieren. Natürlich kam auch die Vorbereitung für Wettbewerbe nicht zu kurz, bei denen sich schöne Erfolge einstellten, u. a. auch mit orchesterbegleiteten Solokonzerten.

 

Bottesini: Konzert Nr. 2 (Bradetich-Wettbewerb) – Mikyung Sung

Nach ihrem Abschluss in 2017 blieb sie noch ein Jahr an der Colburn School, um sich weiter zu vervollkommnen und mit ihrem bevorzugten Klavierpartner Jaemin Shin aufzutreten. 2018 trat sie dann die stellvertretende Soloposition am Shanghai Symphony Orchestra an und begann, an der Akademie dieses Orchesters zu unterrichten. Im Folgejahr gab sie dies jedoch wieder auf, um sich mit Unterstützung einer Agentur auf die solistische Tätigkeit zu konzentrieren. Da sie neben Originalkompositionen auch zahlreiche Cellosonaten makellos schön wiedergeben kann, beeindruckt sie mit einem breiten Repertoire und kann das Vorurteil von der Behäbigkeit des Kontrabasses sehr überzeugend widerlegen.

 

Mendelssohn Cellosonate Nr. 2 (Mikyung Sung Kontrabass, Ilya Rashkovskiy Klavier)

Über die klavierbegleitete Solosonate hinaus hat Mikyung Sung auch Ambitionen, in größeren Kammermusikbesetzungen zu wirken. Dass es ihr dabei nicht genügt, simple Bassstimmen wie in Schuberts Forellenquintett zu spielen, liegt auf der Hand. Also tat sie sich mit anderen Kontrabassisten zum Emeth Ensemble zusammen, um Werke und Arrangements für vier oder auch mehr Kontrabässe zu spielen. Dabei setzt es in Erstaunen, wie gut es gelingt, selbst das filigrane Klanggewebe von Streichquartettsätzen auf diese Besetzung zu übertragen!

Rachmaninoff: Streichquartett Nr. 1, Liveaufführung mit dem Emeth Ensemble

Die von ihren Fans liebevoll „Double Bass Queen“ genannte junge Künstlerin tritt jeden nur möglichen Beweis an, dass sich auf dem Kontrabass schier unendliche Ausdrucksmöglichkeiten erschließen lassen. Für mich ist es ein großer persönlicher Gewinn, ihrer Reise durch die Welt der Musik wenigstens im Internet zu folgen. Da sie viele der Videos auf ihrem YouTube-Kanal in Deutsch beschriftet, würde ich vermuten, dass sie sich auch Auftritte in unserem Sprachraum erhofft. Also rechne ich mir Chancen aus, sie nicht nur online, sondern bald auch einmal live erleben zu können.

Dr. Lorenz Kerscher, 1. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Information:

Mikyung Sungs Videokanal in Youtube

Offizielle Webseite (deutsch)

Mikyung Sung in Wikipedia (englisch)

Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher„‘Musik ist Beziehungssache’, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

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