Andris Nelsons tappt bei Mahler in die Akustik-Falle

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 7 in e-moll  Wiener Konzerthaus, 17. Januar 2023

Foto: Andris Nelsons © Marco Borggreve

Gustav Mahler
Symphonie Nr. 7 in e-moll

Wiener Philharmoniker
Andris Nelsons, Dirigent 

Wiener Konzerthaus, 17. Januar 2023


von Herbert Hiess

Irgendwie ist es bei der 7. Mahler doch so, dass man fast im ersten Takt sagen kann, wie die Aufführung wird; wenn das Tremolo der Streicher im Zusammenklang mit der großen Trommel in der zweiten Takthälfte verschwimmt, steht nach der subjektiven Meinung des Autors dieser Zeilen die Aufführung unter keinem guten Stern. In guter Erinnerung ist eine Aufführung mit dem Philharmonia Orchestra London unter Giuseppe Sinopoli im Jahre 1991 (!) im gleichen Haus, die bis heute unerreicht ist. Gerade da war das Zusammenspiel mit den Streichern und der großen Trommel geradezu perfekt.

Andris Nelsons ist ein gemütlich wirkender Mensch, der seine Arbeit mit dem Orchester akribisch ernst nimmt und versucht, jeder Stelle in der Partitur und jedem Takt seinen Stempel aufzudrücken. So auch bei diesem Konzert. Da waren wunderschöne Phrasen zu hören; traumhafte Lyrismen, gewaltige Ausbrüche.

Doch diese Detailverliebtheit birgt auch das große Risiko in sich, dass das „große Ganze“ vergessen wird. Dann kann es passieren, dass manche Übergänge holprig werden und akustische Verschiebungen den Gesamteindruck trüben. Das ist natürlich das Risiko der akustischen Gegebenheiten im großen Saal des Wiener Konzerthauses. Dort müssen die Musiker mit einer gewissen „Bläser- und Schlagwerklastigkeit“ leben; wo also diese Instrumentengruppen sehr rasch den Gesamtklang dominieren können. Hier sollte der Dirigent also regulierend eingreifen – was an diesem Abend nicht passiert ist.

Mahlers siebente Symphonie mit den zwei „Nachtmusiken“ (2. und 4. Satz) ist ein gewaltiger Koloss mit lauter Spezialitäten. Zu Beginn hört man gleich die Tenortuba; die Streicher und Bläser werden sehr oft solistisch eingesetzt und im 4. Satz (Nachtmusik II) hört man sogar Gitarre und Mandoline. Das Scherzo (Satz 3) sprüht vor Skurrilität; hier hat Nelsons versucht, alle Feinheiten herauszuarbeiten. Manchmal hätte man gern noch mehr von der Morbidität dieses Satzes gehört.

Über die Wiener Philharmoniker braucht man nicht viel erzählen; trotzdem waren die Einzelleistungen hervorragend (Geige, Bratsche, Cello, Oboe usw. usw.). Ganz besonders muss man den Paukisten hervorheben, der nicht nur mit einem traumhaften Klang punktete, sondern mit einer phantastischen Dynamik und einem enormen „Drive“.

Andris Nelsons ist hochbegabt und ist bei seiner Schlagtechnik nun bei adäquaten Bewegungen angekommen. Auch ist er sehr bewundernswert mit seiner Musikalität und Seriosität. Dieses Mahler-Konzert war tatsächlich insgesamt hervorragend und wenn das Final-Rondo nicht in einer Lärmorgie untergegangen wäre und Übergänge und dynamischen Abstufungen gepasst hätten, wäre es sogar ein Spitzenkonzert geworden.

Herbert Hiess, 18. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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