Nicht immer zu den Stars rennen! Gehen Sie mal in die Kirche nebenan, um sich verzaubern zu lassen...

Consortium musicum Berlin, Arndt Martin Henzelmann, Leitung  Paul-Gerhardt-Kirche Berlin, 1. Juli 2023 

Foto: https://wp.consortium-musicum-berlin.de/chorleitung/: Henzelmann © Schafgans

Paul-Gerhardt-Kirche Berlin, 1. Juli 2023 

Consortium musicum Berlin

Arndt Martin Henzelmann, Leitung
Szymon Jakubowski, Klavier- und Orgelimprovisationen

von Sandra Grohmann

Als Anna Netrebko und Rolando Villazón in Salzburg die Hauptpartien der Traviata sangen, wurde kolportiert, dass die als Sensationsproduktion gefeierte Inszenierung selbst Leute anlockte, denen das Wort Oper bis dahin als Synonym für „verstaubt“ galt. Sie sollen damals bei der Kassa angerufen und gefragt haben, ob es noch Karten für die „Netrebko-Show“ gebe. Gab es nicht.

Nun ist dagegen überhaupt nichts zu sagen. Ich habe es selbst genossen, das damalige Traumpaar der Oper – etwa als Manon und Des Grieux – zu erleben. Das hat mich schlicht aus den Pantoffeln gehauen. Das Schöne aber ist: Ich muss mich nicht auf Sensationsinzenierungen und Traumpaare, auf ganz große Oper und 200-Euro-Karten beschränken, damit mich Musik mitreißt. Ebensowenig darauf, meine Stars aus der Konserve zu holen. Es ist doch das Wunderbare, das Zauberhafte an Live-Aufführungen, mitzuerleben, wie Musik entsteht, wie (Sie merken, ich komme zum Punkt) ein Chor atmet, wie sich alle auf den so flüchtigen Moment konzentrieren – die Menschen mit den Noten und mit ihnen die Menschen auf den Bänken. Wie das zum Mitwippen, Ohrenaufspannen, vielleicht auch Augenschließen einlädt. Wo es gar nichts ausmacht, wenn mal eine Note danebengeht, weil das gemeinsame Musizieren im Vordergrund steht und weil das Musikalische stimmt.

So geschehen im Sommerkonzert des Consortium musicum Berlin, eines Laienchores, der von der Musikschule City West der Stadt Berlin getragen wird und schon seit fast 50 Jahren besteht. In der Reihe seiner bisherigen Chorleiter finden sich so illustre Namen wie Ingo Ingensand und Michael Betzner-Brandt. Gegenwärtig wird der Chor von Arndt Martin Henzelmann geleitet, der dem unter dem Motto „#gemeinsam“ stehenden, eine Stunde kurzen a-cappella-Abend höchste Konzentration und Ernsthaftigkeit verlieh. Die aus früheren Konzerten dieses Chores gewohnte Homogenität der Stimmen hat er vielleicht noch weiter geschärft und die Sänger zu höchst präziser Wiedergabe angeleitet, nebenbei auch den zunächst zwischen den Stücken hereinplatzenden Applaus wegdirigierend.

Damit war garantiert, dass sich das ungewöhnliche, aber eingängige Programm auf die Zuhörer übertrug. Es reichte aus der Gegenwart der Monica Åslund bis zurück zu Monteverdi. Szymon Jakubowski leitete das Konzert auf der Orgel ein, und sehr gelungen war der Übergang zum Gesang: Der Chor erhob sich aus den letzten Reihen des Publikums und schritt schlendernd und singend und scheinbar ungeordnet auf seine Plätze. Ganz wunderbar, wie die Stimmen zart durch den Kirchenraum flossen, zu den Ohren fanden und sich dann verdichteten, während auch die Augen die Sängerinnen und Sänger nun wahrnahmen.

Was folgte, löste dieses Anfangsversprechen ein. Henzelmann und sein Chor ließen die Musik – u.a. von Pärt und Parry, von Schönberg und Vasks, von Sibelius, Tormis und Lindberg – aufleuchten, verwoben die Stimmen ineinander und atmeten auf den großen Bögen, schöpften auch die ganze dynamische Bandbreite aus. Das hauchte, jubelte und erdete sich wieder. Die Klangfarben variierten facettenreich und ließen in Arvo Pärts Da pacem domine sogar ein ganzes Glockenspiel ertönen. Ich will sicher nicht behaupten, dass das Ensemble in Konkurrenz zum Rundfunkchor Berlin stehe. Aber gemessen daran, dass es sich um einen kleinen Laienchor handelt, ist nicht nur das Niveau bemerkenswert, sondern vor allem die Freude, die das Konzert trotz aller Anstrengung und Konzentration der Sängerinnen und Sänger vermittelte. Nein, es muss nicht immer Traviata sein. Und nein, es müssen nicht immer die Stars und nicht einmal die Profis sein.

Es lohnt sich vielmehr, nachzuhören, was in der Kirche nebenan los ist. Ich kann dazu nur raten. Natürlich wird auch dort nicht jedes Konzert ein solcher Glücksfall sein wie das Sommerkonzert des Consortium musicum Berlin. Aber mal ehrlich: Ich kann mich auch an Abende mit den Großen des Musikbetriebs erinnern, die sich als leibhaftig gewordene Langeweile herausstellten, als heruntergenudelte Routine mit sattsam bekannten Repertoire-Schlagern. Also: Keine Angst vor dem Unbekannten. Auch nicht vor den ungewöhnlichen Programmen. Ohren aufspannen und los geht’s.

Übrigens: Einen Schlager gab es auch. Bereits die Orgelimprovisationen wiesen voraus auf „Kein schöner Land“, mit dem der Chor – in der Fassung von Wolfram Buchenberg – den Abend beschloss. Und als nächstes gibt der Chor wieder einen Kracher: Bachs Weihnachtsoratorium mit den Kantaten I, III und VI am 3. Dezember 2023 in der Zwölf-Apostel-Kirche (www.consortium-musicum-berlin.de). Bestimmt auch schön. Ich für meinen Teil hoffe allerdings auf ein weiteres Programm mit weniger bekannten Werken.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert