Ende gut, (fast) alles gut: Barrie Koskys „Così“ manifestiert sich als Teilerfolg

Wolfgang Amadeus Mozart & Lorenzo Da Ponte, Così fan tutte  Wiener Staatsoper, 16. Juni 2024 (Premiere)

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Zwei Tenöre zum Preis von einem. An Bogdan Volkov und Filipe Manu hat es nicht gelegen, dass Mozarts „Così“ an der Wiener Staatsoper verzögert zündet. Volkov aus dem Graben: Arien & Ensembles. Manu (indisponiert) auf der Bühne: Rezitative & Szene. Die Ladys im Bunde starten aber erst spät durch, die Wiener Philharmoniker ebenso. Christopher Maltman und Peter Kellner tragen die ganze Premiere, bei der Regisseur Barrie Kosky mal wieder ein Revue-Feuerwerk abliefert.

Così fan tutte
Wolfgang Amadeus Mozart & Lorenzo da Ponte

Wiener Staatsoper, 16. Juni 2024 (Premiere)

von Jürgen Pathy

„Jaja, der Jordan spielt selber“, stellt man auf der Galerie gleich vor Beginn fest. Hammerklavier statt Dirigentenpult, eine einzelne Rose am Hocker. Der obligatorische Blumenstrauß zum Schluss fliegt zwar ebenfalls auf die Bühne, Blumen gibt es allerdings dieses Mal auch schon vorweg. An Musikdirektor Philippe Jordan hat’s auch nicht gelegen, dass im Graben erstmal Flaute herrscht. Dass vom Staatsopernorchester an diesem Abend keine Wunder zu erwarten sind, zeichnet sich gleich nach den ersten Takten ab. Harmonie und Einklang unter den Streichern klingt anders. Im Publikum herrschen ebenso Reibereien. Und auf der Bühne lassen die „Weiber“, um es im Mozart’schen Jargon zu betonen, ebenso wenig Hoffnung aufkeimen.

Federica Lombardi: Konstanz – ausbaufähig!

„Buh“ für Federica Lombardi müsste zwar nicht sein – schon gar nicht mitten während der Vorstellung – , nachvollziehbar ist es aber alle Tage. Fluchtreflex, wenn die mittlerweile zum Stammgast avancierte Italienerin als Fiordiligi nur ansatzweise übers Mezzoforte blickt und  Spitzentöne abfeuern muss. Mozartesk und spielerisch leicht klingt da wenig. Hart erkämpft ist fast jeder Ton, den sie über ihre Lippen presst. Um es auf einen Nenner zu bringen und gleich weiter auszuholen: Der komplette erste Teil des Abends gleicht einer Zerreißprobe zwischen Flucht und Zorn.

Links neben mir dirigiert eine ältere Dame durchgehend mit. Rechts hinten klimpert eine spanische Touristin mit ihren Armreifen. Vor mir plaudert ein polnisches Ehepaar in einer Tour. Und die „Krönung“ des Ganzen: Mitten während der schönsten Arie des Werkes – „Un’aura amorosa“ – kommen sie d’rauf, dass sie keinen Bock mehr haben. Stecken das den Nachbarn, die rücken einen Platz weiter in die Sonne – boom! Klappsessel schnalzen hoch. Bei all dem Chaos soll man sich aufs Wesentliche konzentrieren. No way! Am liebsten hätte ich alle eigenhändig vor die Türe gesetzt, einschließlich der Schmierenkomödie, die sich während des ersten Akts auf der Bühne abzeichnet.

Zwei Welten wie Tag und Nacht

Nach der Pause komplett konträrer Eindruck. Die „Commedia dell’arte“ hat Kosky da bereits abgearbeitet. Das Lachen ist allen vergangen. Nachdem die Gehörnten realisieren, dass es nun doch¸alle so machen“, besonders die Frauen – „Così fan tutte“ eben –, kehrt Ruhe ein. Die Wiener Philharmoniker finden wieder zu einer Einheit, die Damen zu einer selbstverständlichen Leichtigkeit, wie man sie bis dahin kaum gehört hat. Federica Lombardi gleitet plötzlich schmelzend leicht auf ihren Kantilenen dahin. Emily D’Angelo als Dorabella findet ebenfalls zum Kern ihres funkelnden Mezzos zurück. Und Kate Lindsey, die von Beginn an die Ärmel hochgekrempelt hat und als Despina ihr Multitasking unter Beweis stellt, steht da um nichts hinten nach.

Dass Peter Kellner dazwischen mit ’ner Kippe auf dem Theaterdach verschwindet, liegt an Koskys sprühender Fantasie. Als Theater im Theater hat der gebürtige Australier Mozarts letzte Da Ponte-Oper ausgelegt. Nichts Neues, hat man schon zigfach erlebt. Was Kosky allerdings mit radikaler Personenführung aus Mozarts „Legitimationsoper der Untreuen“ herausholt, verleiht vielen Charakteren enormes Gewicht.

Don Alfonso ist der Intendant, der Strippenzieher des ganzen Schauspiels. Christoph Maltman hebt diese Partie zu einer wotanesken Größe, wie man sie sonst nur bei Wagner erlebt. Peter Kellner beweist als Guglielmo, wie man als Sängerdarsteller im modernen „Musiktheater“ unersetzlich wird. Nur Kosky selbst muss aufpassen, dass er sich kein Bein stellt. Genie und Wahnsinn, Revue und Persiflage – die Grenzen sind oft fließend.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 17. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte Wiener Staatsoper, 16. Juni 2024 PREMIERE

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