Daniel Hope lässt die „Belle Époque“ im Münchner Prinzregententheater aufleben

Daniel Hope, „Belle Époque“,  Prinzregententheater, München, 29. Februar 2020

War das jetzt E-Musik?, fragt man sich am Ende des über zweistündigen Programms, das so großen Jubel beim Publikum hervorruft, dass Hände zum Applaudieren nicht mehr ausreichen. Daniel Hope und seine Musiker danken es mit zwei Zugaben – dem ersten Satz aus Edvard Griegs Holberg-Suite und Reynaldo Hahns Lied „À Chloris“ – bevor dieser schöne Abend endet.

Prinzregententheater, München, 29. Februar 2020
Daniel Hope, „Belle Époque“
Foto: © Nicolas Zonvi

Edward Elgar · „Chanson du matin“ op. 15
Christian Sinding · Adagio aus Suite a-Moll op. 10 „Im alten Stil“
Jules Massenet · „Méditation“ aus „Thaïs“
Arnold Schönberg · Notturno für Streicher und Harfe (Fassung für Violine, Streicher und Harfe)
Richard Strauss · „Morgen“ aus Lieder op. 27 (Fassung für Violine und Streicher)
Edward Elgar · Introduktion und Allegro für Streicher op. 47
Ernest Chausson · Konzert für Violine, Klavier und Streichquartett D-Dur op. 21 (Fassung für Orchester)

von Stefanie Schlatt

Sinnlichkeit, Dekadenz, Weltschmerz, Zukunftsangst, Tatendrang – all diese Stimmungen bildeten die Essenz der Belle Époque, jener Ära um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in der die besseren Gesellschaftsschichten in den Salons und Vergnügungslokalen der europäischen Metropolen einer besonderen Kunst und Unterhaltungskultur frönten, die sich aus diesem Lebensgefühl speiste.

Verspielte Elemente, Prunk und an Verschwendungssucht grenzende Opulenz prägten zunehmend die Malerei, die Mode und auch die Musik. Zu Beginn dieser Ära, der von Historikern auf die mittleren 1880er-Jahre datiert wird, herrschte gerade eine selige Friedenszeit, in der sich die Menschen auf ihr wirtschaftliches Fortkommen konzentrieren und mit dem verdienten Geld schöne Dinge leisten konnten.

Mit der nahenden Jahrhundertwende schlich sich jedoch allmählich eine vage Endzeitstimmung ein, die für einschneidende kalendarische Ereignisse typisch ist. Die Kunstwelt jedoch trotzte der bedrückenden Stimmung und verkehrte sie ins Gegenteil, bis 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und die zelebrierte Realitätsflucht ein jähes Ende fand.

In der europäischen Musik vollzog sich in jenen Jahrzehnten der Übergang von der nostalgisch- schwärmerischen Spätromantik über den Impressionismus hin zur atonalen Musik. Eine vom industriellen Fortschritt geprägte gesellschaftliche Aufbruchstimmung veranlasste die Komponisten der Jahrhundertwende, musikalische Konventionen zu hinterfragen. Ihr Werk wurde zum Vehikel widerstreitender Gefühle, die sich erst in Rückgriffen auf prunkvolle Elemente alter Stile, dann vermehrt in evokativen Klängen und später in trotzigem Avantgardismus äußerten.

In seinem aktuellen Tourprogramm „Belle Époque“ hat der populäre Solo-Violinist und Leiter des Zürcher Kammerorchesters Daniel Hope musikalische Werke von Landsmännern der europäischen Großmächte zusammengestellt, in denen der einmalige Zeitgeist dieser aufregenden und wechselhaften Epoche zum Ausdruck kommt – ein Zeitgeist, von dem Hope selbst schon immer fasziniert war, wie er dem Publikum zu Beginn des Konzerts erläutert; nicht zuletzt wegen der hochbrisanten Parallelen zur jüngsten Zeit, in der die Corona-Pandemie „und andere Krankheiten wie der Brexit“ der Menschheit den Garaus zu machen drohen.

Die Stücke des Programms, die alle noch vor der Jahrhundertwende entstanden, vermitteln jedoch vielmehr die zuversichtliche Stimmung eines neuen Tagesanbruchs, die Hope zusammen mit den Musikern des Zürcher Kammerorchesters mit mitreißendem Verve und leichtfüßigem Charme zur Geltung bringt.

Passend leitet Edward Elgars „Introduktion und Allegro“, op. 47 für Streichorchester und Streichquartett von 1905 das Programm ein. Hier zeigt sich der britische Nationalkomponist (noch) von seiner verspielten und humorvollen Seite, die unter anderem in den Tricks und Kniffen der eingearbeiteten „Teufelsfuge“, dem ausgiebigen Pizzicatospiel, turbulenten Dynamikwechseln und unerwarteten Themen (etwa einer walisischen Melodie) zum Ausdruck kommt.
Mit dem kleinen Stück „Chanson de matin“, op. 15 (das hier ohne sein Partnerstück „Chanson de nuit“ erklingt), präsentiert Hope ein weiteres Werk Elgars im unterhaltsamen Salonstil, das sich von dessen späteren hymnenhaften und elegischen Kompositionen abhebt.

Auch Richard Strauss‘ Gedichtvertonung „Morgen!“, op. 27 Nr. 4, in der Zukunftseuphorie und Schaffenswille zum Ausdruck kommen, darf in diesem Programm natürlich nicht fehlen. Die Singstimme ist hier durch kantables Cellospiel ersetzt. Die Lücke des entfallenen Textes füllt Hope durch eigene Erklärungen und einige humorvolle Anekdoten zum Leben und Schaffen des bayerischen Komponisten.

Die sinnliche – von manchen als schwülstig verunglimpfte – musikalische Facette des Belle-Époque- Repertoires ist mit der berühmten „Méditation“ aus Jules Massenets Oper Thaïs vertreten, die Hope ohne sentimentale oder anzügliche Stilmittel, wie etwa übermäßiges Vibrato, dennoch romantisch und leidenschaftlich auf seinem Instrument zur Geltung bringt.

Prinzregententheater München, Foto: wikipedia.de (c)

Die bezeichnende Sehnsucht nach der Vergangenheit, die sich in Rückgriffen auf opulente Ausdrucksformen alter Stile äußert, kommt in der „Suite im alten Stil“ des norwegischen Komponisten Christian Sinding und in Arnold Schönbergs obskurem „Notturno für Streicher und Harfe“ zum Ausdruck.

Den zweiten Teil und gebührenden Abschluss des Abends bildet das Doppelkonzert für Klavier, Violine und Streichquartett, op. 21 des Franzosen Ernest Chausson, der ebenso wie Massenet die französische Salonkultur zelebrierte.

Hope präsentiert an diesem Abend seine eigene, „besonders glanzvolle“ Orchesterfassung des Stücks. Neben einem strahlenden Simon Crawford-Phillips am Klavier interagiert er beschwingt mit dem Orchestertutti, das einen eindrucksvoll aufeinander eingespielten Klangkörper bildet und die tänzerische Sicilienne ebenso wie die wagneresken Strukturen des Grave-Satzes wie aus einem Guss darbietet.

War das jetzt E-Musik?, fragt man sich am Ende des über zweistündigen Programms, das so großen Jubel beim Publikum hervorruft, dass Hände zum Applaudieren nicht mehr ausreichen. Daniel Hope und seine Musiker danken es mit zwei Zugaben – dem ersten Satz aus Edvard Griegs Holberg-Suite und Reynaldo Hahns Lied „À Chloris“ – bevor dieser schöne Abend endet.

Stefanie Schlatt, 1. März 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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