Daniels Anti-Klassiker 2: Das „Hallelujah“ aus Georg Friedrich Händels „Messiah“ (1742)

Daniels Anti-Klassiker 2: Das „Hallelujah“ aus Georg Friedrich Händels „Messiah“ (1742)

Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung oder der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der sogenannten „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.

von Daniel Janz

„Halleluja“ – nein, bei der mit Pauken und Trompeten begleiteten Lobpreisung handelt es sich nicht um den Jingle aus der Werbung für einen Markenjoghurt. Oder dem Spot für eine Automarke. Und auch nicht um eine Verherrlichung von Putzmitteln. Die wenigsten modernen und werbebelasteten Fernsehzuschauer dürften sich der fast 300 Jahre alten Herkunft dieses Meisterwerks moderner Meme-Kultur bewusst sein.

Georg Friedrich Händel hieß der revolutionäre barocke Komponist und Zeitgenosse von Johann Sebastian Bach, der es bis an den königlichen Hof von England brachte. Berühmt aber nicht unumstritten für seine Opern und Oratorien galt der in Halle an der Saale geborene Tonsetzer als der Nationalkomponist des britischen Königreiches. Bei einer Einladung nach Dublin ließ er sich 1742 von Charles Jennes zu einem neuen Kompositionsvorhaben überreden. Rausgekommen ist ein zweieinhalbstündiges und seinerzeit weltbewegendes Oratorium – von dem heute nur noch ein winziger Ausschnitt breite Bekanntschaft genießt: Das „Halleluja“!

Am Erbe des deutsch-britischen Meisters lässt sich perfekt die Krux moderner Vermarktung demonstrieren. Händels Epos – von Befürwortern als bahnbrechend verklärt, von Kritikern als blasphemisch gegeißelt – ist eine Zusammenfassung alttestamentarischer Bibelzeugnisse, die Jesus Christus als den Messias identifizieren. Ein Werk voller Hoffnung, Trost und der Suche nach Erlösung durch den verheißenen Sohn Gottes.

Händels Musik ist mit Sicherheit nicht überbewertet – eher das Gegenteil ist in Deutschland der Fall. Aber das „Halleluja“ nimmt eine Sonderstellung ein – durch Werbung und Medien ist es ganz klar über-repräsentiert, man könnte glatt meinen über-reizt. Die heutige Verwendung grenzt schon ans Groteske. Beim Blick auf den Fernseher müsste man meinen, wir hätten die Erlösung inzwischen gefunden: Der Messias hat das beste Frühstück, rollt auf vier Rädern und löffelt Markenjoghurt. Wozu dem Himmelreich entgegenfiebern, wenn man es im Supermarkt um die Ecke finden kann?

Und das sind nur einige Beispiele aus der Werbung. Wendet man erst den Blick auf Film und Serien, stolpert man unweigerlich über Namen, wie Bridget Jones, Contact, Dumm und Dümmer, Scrubs oder Brüno. Sie alle haben den Messias und was wohl am Wichtigsten ist: Jeder hat den Größten, Besten und Schönsten. Kein Wunder, dass mindestens die Hälfte von ihnen dies als Satire überspitzt – ein Gag, der sich doch langsam erschöpft haben sollte.

Ob der gute Händel wohl genauso freudestrahlend lobpreisen würde, wenn er wüsste, dass der Rest seiner Komposition nur noch eingefleischten Kennern ein Begriff ist? In seiner englischen Heimat genießt der „Messias“ unangefochtenen Ruhm, hier aber erklingen – wenn überhaupt – nur die Lobfanfaren. Hoffentlich dreht er sich nicht jedes Mal im Grabe um, wenn sein auf dieses Wort runtergeschnittenes Gesamtwerk mal wieder für schamlosen Kommerz missbraucht wird.

Wir können wohl froh sein, dass sich durch die Ausschlachtung dieser wenigen Minuten Musik die ihr ursprünglich entgegengebrachte Ehrerbietung nicht erhalten hat. Laut Überlieferungen soll König George II vor Ergriffenheit bei der Halleluja-Passage aus dem Stuhl gefahren sein und damit den Brauch geschaffen haben, dass das Publikum zu diesem Part aufsteht. Man stelle sich das nur vor – „Deutschland sucht den Superstar“ am Abend, die Werbung blendet ein: „Werbejingle“ – „Halleluja“ – und halb Deutschland steht stramm!

Was ist da durch die Jahrhunderte hinweg nur schiefgelaufen? Sind wir heutzutage überschwängliches Freudestrahlen nicht mehr gewohnt? Können wir nur noch durch die Erfüllung materieller Güter Dankbarkeit empfinden? Liegt es daran, dass die Vorstellung einer göttlichen Erlösung heutzutage nicht mehr der Lebensperspektive vieler Menschen entspricht? Wer nimmt das „Halleluja“ – wörtlich übersetzt „lobet Gott“ – noch ernst?

Ja, das ist schon undankbar, zur Ehre des Allerhöchsten ein nachhaltig wirksames Kunstwerk zu hinterlassen – und bekannt bleibt davon nur die Fanfare, wie sie zur Erdnussbutter himmlische Freuden einbläst. Man muss die dahinterstehende christliche Glaubensgrundlage nicht teilen, um Händels Messias als ein bahnbrechendes Kulturgut anzuerkennen. Aber bitte – wir als aufgeklärte Gesellschaft sollten es wieder als solches wahrnehmen und damit auch dem „Halleluja“ seinen ursprünglichen Platz zurückgeben.

Daniel Janz, 5. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

Daniels Anti-Klassiker 1: Wolfgang Amadeus Mozart: „Eine kleine Nachtmusik“ (1787)

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