Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung oder der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der sogenannten „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.
von Daniel Janz
Mit „Also sprach Zarathustra“, oder dem „Welthit aus 3 Tönen“ hat Strauss ein zeitloses Epos geschaffen, das bis heute allgegenwärtig erscheint. Es braucht nicht erst den Blick auf den Fernseher, um beispielsweise bei der Werbung für eine wohlbekannte Biermarke erneut die glorifizierende Eingangsfanfare dieser Komposition zu hören. Wie konnte das passieren, dass eine der epischsten Orchestermusiken so zur Ikone der Marketingindustrie wurde?
Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch mein Lieblingskomponist auf dieser Liste landen musste. „Also sprach Zarathustra“ lässt sich reihenlos in eine ganze Serie epischer Programmmusiken von Richard Strauss einordnen. Die Suche nach Erkenntnis und Erfüllung ist eines jener Motive, das auch in anderen Strauss’schen Kompositionen immer wieder zentral ist, hier inspiriert durch Nietzsches Schriften aber einen besonderen Fokus erlebt.
Auf Basis der Figur des Zarathustra (historisch Zoroaster) hat Strauss dabei ein Meisterwerk von knapp fünfunddreißig Minuten Länge geschaffen. Dieses programmmusikalische Epos stellt in sich eine Welt voller Lebenserfahrungen dar, wie dem im Fanatismus endenden religiösen Glauben, der in die Irre führenden Wissenschaft, Heiterkeit, Depression, Genesung, Verdrängung und schwere Krisen. Ein Ende, das sich bewusst jeglicher Auflösung verweigert und die Frage vom Anfang des Werkes wieder aufflammen lässt, rekapituliert den in der Summe endlosen Kampf des Menschen in seiner Suche nach Erlösung.
Was aber ist von diesem so inhaltlich spannenden und absolut empfehlenswerten reichen Werk heute übriggeblieben? Welcher wohlberieselte Fernsehzuschauer erinnert sich noch an Nietzsche, wenn da auf der Bildschirmfläche zu den ersten paar Tönen dieses musikalischen Monolithen mal wieder das flüssige alkoholhaltige Gold eingeschenkt wird oder nachhaltiges Mobiliar beworben wird? Wem ist die Suche nach Erkenntnis noch präsent, wenn in einer Spieleshow oder einer Filmszene erneut der Auftakt von Straussens Werk malträtiert wird? Wie vielen Menschen ist wohl bewusst, dass eigentlich noch eine halbe Stunde Musik folgen müsste, nachdem ihnen in bester Jingle-Manier die erste halbe Minute vorgeträllert wurde?
Die ökonomisch motivierte Kastration dieser Musik blickt selbst bereits auf eine lange Geschichte zurück. Wo man auch hinsieht, finden sich Referenzen zu Zarathustra, sei es bei „Werner – Beinhart!“, „WALL-E“, „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Toy Story“ oder „Cars“. Und im Hinblick auf Fernsehserien müsste man „Die Simpsons“, „Futurama“, „Eine schrecklich nette Familie“, „Big Bang Theory“, „Alf“ und weitere nennen. Die berühmte Eröffnungssequenz aus Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ ist also bei weitem nicht das einzige Beispiel für diese Art Zweckentfremdung:
Und das sind nur die Referenzen in den Medien. Darüber hinaus füllt dieser musikalische Ausschnitt auch den Alltag als Klingelton, als Untermalung von Popsongs, als Jingle in Computerspielen oder als Hymne für Wrestler. Selbst Planetarien bedienen sich ihr beim Herauffahren des Sternenprojektors.
Der Fluch von Straussens Musik scheint zu sein, dass sie so gut ist, dass jeglicher Anspruch und Inhalt, den sie ursprünglich hatte, an diesem Ruhm zerbricht. Die ersten Takte dieser Komposition erscheinen so markant, dass sie als Synonym für bahnbrechende Erkenntnis und Offenbarung jederzeit wiedererkennbar sind. Gleichzeitig aber verliert die Musik durch diese Fokussierung auf den – zugegebenermaßen genialen – Anfang ihre gesamte Tragweite und inhaltliche Kohärenz. Die Folge ist eine derart ausufernde Verwendung, dass es nur noch nervt, wenn man schon wieder über dieses Signal stolpern muss.
Diese dadurch klischeehaft gewordene Trope ist dementsprechend so sehr überreizt und überverwendet, dass sie nicht einmal mehr ernst genommen werden kann. Da entdecken die ersten Menschenaffen das Feuer und lernen Werkzeuge zu benutzen? Okay – C-G-C! Auf einem unentdeckten Planeten wird Leben entdeckt? Zarathustra untermalt! In Scott und Huutsch tritt der Hund Huutsch zum ersten Mal auf? Nicht wirklich weltbewegend, aber Huutsch ist ein Hauptcharakter – also wieder Strauss! Homer Simpsons Bauch dehnt sich aus? Zarathustra wird gespielt. Ernsthaft? Was kommt als nächstes? Eine Person gießt sich beim Frühstück zu Zarathustra den Kaffee ein? In China fällt ein Sack Reis um? Eine sogenannte Popikone geht zur Musik von Strauss auf die Toilette? Ich möchte das nicht sehen!
Diese immer mehr ins Spöttische und ab einem gewissen Zeitpunkt auch ins Lächerliche abdriftende Verwendung im Sinne moderner Meme-Kultur tut der ursprünglichen Komposition einen Bärendienst. Denn eine solche Verbindung zur Popularsatire birgt die Gefahr, die ursprüngliche Absicht hinter der Musik für ein Publikum bis zur Unerkennbarkeit zu zerstören. Im Fall von Zarathustra wäre das tragisch, steht hinter dessen Eingangssignal doch eine in sich geniale Komposition, in der jede Minute voller Ekstase, neuer Eindrücke und durch ihr Programm auch mit Inhalt steckt. Das für einen im Vergleich geradezu flachen Ausdruck von Grandiosomanie einzubüßen wäre wirklich ein Verlust.
Wohl gemerkt: Straussens auf wenige Töne heruntergebrochenes Epos wird wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Nur wahrscheinlich weniger für das, was es eigentlich aussagt. Eher wird die Kunst, mit nur 3 Tönen eine ganze Welt auszukleiden, überdauern. Und da kann man schon fragen, ob das wirklich sein muss, oder ob es nicht an der Zeit wäre, auch im öffentlichen Bewusstsein und in der Bildung wieder mehr Augenmerk auf die ursprüngliche Komposition zu legen. Zarathustra wäre jedenfalls ein sehr viel dankbarerer Gegenstand für den Schulmusikunterricht als die X-te Wiederholung einer Mozartkomposition. Ich bin sicher, das wäre nicht nur ein Dienst an unseren Kulturbetrieben.
Daniel Janz, 9. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Radek, knapp (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Pathys Stehplatz (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Daniels Antiklassiker (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Sonntag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
Daniels Anti-Klassiker 19: Luigi Boccherini – Minuetto (1771)