Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung und der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.
von Daniel Janz
Erlangen Komponisten (zu) viel Berühmtheit, können ihnen schon mal die Pferde durchgehen. Manches Mal verlieren sie dann das Gespür für Grenzen, gehen in Wahn über, sich alles erlauben zu können oder fordern sogar Spezialanfertigungen und -Instrumente für ihre Musik. Aus solchem Größenmut ist auch das ein oder andere Gute entstanden – man erinnere sich nur an die Wagnertuba. Viel zu oft aber endet solcher Narzissmus im Kuriosen, in Absurdität oder in Unikaten. Eines jener Unikate muss man dann auch dem berühmten italienischen Opernkomponisten Giuseppe Verdi unterstellen. Die Rede ist von seiner Oper Aida, die er mit einem instrumentalen Kniff versah, der bestenfalls als „Gag“ herhalten kann.
Dabei ist der Stoff, den Verdi in dieser Oper vertonte, so episch wie exotisch. Im Zentrum stehen die äthiopische Königstochter Aida und ihr ägyptischer Verehrer Radamès, der jedoch Amneris, Tochter des Pharaos, ehelichen soll. Als Krieg zwischen ihren Nationen ausbricht, will er durch einen Sieg Aida für sich gewinnen. Aida aber ist hin- und hergerissen, da ihr Vater Amonasro der äthiopische Truppenführer ist. Das ägyptische Heer siegt und zur Bedingung für die Freiheit seiner Untergebenen bleiben Aida und Amonasro als Geiseln zurück. Beide fliehen, nachdem Radamès ihnen ungewollt eine Schwäche der ägyptischen Armeeaufstellung verrät. Obwohl Amonasros Gegenoffensive vereitelt wird, wird Radamès zum Tod durch lebendiges Begraben in einer Krypta verurteilt. Dort trifft er wieder auf Aida, die sich dort eingeschlichen hat, um ihm bis zum Ende beizustehen.
Verdi muss sich des episch-tragischen Gehalts dieses Stoffes bewusst gewesen sein. Szenisch wie musikalisch hinterließ er ein Werk, dass mit den eindrucksvollsten Opern seiner Zeit mithalten kann. Gerade auch der Einsatz des Orchesters verlangt den Musikern mitunter Höchstleistungen ab. Und trotzdem war ihm das gängige Instrumentarium aus Holzbläsern, Hörnern, Trompeten, Posaunen, Cimbasso, Schlagzeug, Harfen und Streichern nicht genug, sondern er forderte eine Spezialanfertigung, um nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch Eindruck zu schinden: Die Rede ist von der Aida-Trompete.
Was ist diese Aida-Trompete? Im Wesentlichen ist sie ein optischer Gag – eine – nicht gerade günstige – Trompete in Langform, unhandlich, und klanglich – wenn überhaupt – nur marginal von einer modernen Trompete zu unterscheiden. Verdi ließ diese konzipieren, um sie original ägyptischen Fanfaren nachzuempfinden. Bekannt wurde sie durch ebenjene namengebende Oper und darüber hinaus komplett vergessen. Noch heute zählt eine überwältigende Mehrheit von Literatur den Triumphmarsch aus der Oper Aida als das einzige Repertoirestück für dieses Instrument – wenig überzeugende Experimente aus der Neuen Musik einmal ausgeklammert.
Was Verdi mit dieser Spezialkonstruktion bezweckt haben wollte, dürfte wohl ein übertriebener Hang zur Authentizität gewesen sein. Seine Oper – komplett in Ägypten angesiedelt – sollte eine möglichst detailgenaue Wiedergabe der Pharaonenzeit sein. Dazu passt auch die Uraufführung in Kairo. Und ganz so, wie das Bühnenbild, sollte wohl auch das Instrumentarium diese angestrebte Authentizität wiedergeben.
Mit der Entwicklung dieses Kuriosums kippte Verdi aber das Kind mit dem Bade aus. Denn die Aida-Trompete ist keine klassische Langfanfare, wie man sie aus historischen Aufzeichnungen kennt. Eine solche Fanfare wäre auch nur in der Lage gewesen, die Naturtonreihe zu intonieren, was Verdi bedachte, da er seinen Triumphmarsch nur mit Naturtönen für die jeweiligen Bauformen setzte. Und tatsächlich gelang Verdi auch eine markant eingängige Melodie mit diesem Triumphmarsch, die auch heute weitverbreitet und bekannt sein dürfte.
Leider aber erfüllt dieses Instrument den einen Zweck – nämlich eine authentische Optik – gerade nicht. Denn obwohl Verdi seine Musik sogar spezifisch komponierte, ließ er seine Aida-Trompete mit einem Ventil ausstatten und heute existiert sogar fast nur noch die Bauform mit drei Ventilen. Der Gewinn, dadurch Halb- und Zwischentöne spielen zu können, geht aber auf Kosten ebenjener Authentizität, die das Instrument bedienen sollte. Zusätzlich erschließt sich die Bauweise mit Ventilen auch deshalb nicht, weil Verdi diese zusätzlichen Töne für seinen Triumphmarsch gar nicht benötigt.
Die außerdem schon an Lächerlichkeit grenzende Beschränkung des Einsatzes von diesem Instrument führt all das dann noch final ad absurdum. Denn Verdi hat nicht etwa diese Trompetenform aufgegriffen, wie Wagner die Wagnertuben, und sie zu einem zentralen Bestandteil seines Opernschaffens gemacht. Sondern nach Aida scheint er diese Bauform genauso vergessen zu haben wie alle anderen Komponisten. Ein Umstand, der zur Folge hat, dass massenhaft Orchester sich heute diesen optischen Gag gleich ganz sparen und den Triumphmarsch auf gewöhnlichen Trompeten spielen. Klanglich macht es jedenfalls kaum einen Unterschied:
Traurigerweise ist damit nicht nur das Instrument selbst obsolet. Sondern dieser einmalige Gag wirft auch einen Schatten auf diesen Triumphmarsch, der an und für sich eine feierliche Musik mit Ohrwurmcharakter ist. Dass er wirksam ist, beweist auch eine mannigfaltige Verwendung in Film und Fernsehen. Doch diese auf ewig wirksame Verbindung mit einem Übermaß an Produktionsaufwand und einem einzigartig angefertigten Instrument, das nicht einmal klanglich heraussticht, stellt einen Umstand dar, über den man sich genauso gut auch lustig machen kann. Dass der Gag nicht nur bei der Optik endet, beweisen dann Spaßaufnahmen in Cartoons, oder auch Beispiele, wie diese Einspielung auf Gartenschläuchen:
Alles in allem muss man also sagen, dass Verdi hier einen Gag produziert hat, der über das Ziel hinausgeschossen ist. Hätte er sich eines historisch informierten und traditionellen Instruments bedient, wäre seine Oper verdient womöglich als eine wahre Sternstunde der Operngeschichte in Erinnerung geblieben. So aber haftet ihr der Makel von Übermut, Verschwendung und Größenwahn an. Die Spezialanfertigung der Aida-Trompete hätte es jedenfalls nicht gebraucht, um diese Oper so eindrucksvoll zu hinterlassen, wie sie musikalisch ist. Dass Verdi trotzdem darauf bestand, lässt sich nur mit einem Wort bezeichnen: Dekadenz.
Daniel Janz, 22. Oktober 2021, für
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Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
Daniels Anti-Klassiker 33: Rimski Korsakow – „Scheherazade“ (1888)
Komplett richtig, Daniel, denke ich, der Verismo hat in mancher Hinsicht die Komplexität der Musik des 19. Jahrhunderts reduziert. Übrigens scheint Verdi die Melodie zum Triumphmarsch von Bellini geklaut zu haben oder wusstest du das bereits? Hör mal „Suoni la tromba“ aus „I Puritani'“… Die Oper ist von 1835, Verdis „Aida“ von 1871.
Hanns-Peter Mederer
Ach wie spannend! Man lernt doch nie aus.
Vielen Dank für den Hinweis, das war mir tatsächlich noch nicht bekannt. Ist ja streng genommen nur ein weiterer Grund, warum dieser Marsch in die „Anti-Klassiker“-Kategorie gehört!
Daniel Janz
Das bestärkt mich in meiner schon länger gehegten Meinung, dass der Triumphmarsch ganz bewusst als Parodie angelegt ist. Da verletzt Verdi gezielt den guten Geschmack, um die Grausamkeit der Niederlage bewusst zu machen. Ich bin überzeugt, dass der feinsinnige Tonschöpfer dieses Krachstück selbst nicht gemocht hat.
Lorenz Kerscher
Der Meinung schließe ich mich nicht an.
Während Wagner z.B. im Ring parodistische Elemente gezielt einsetzt – Szene Rheintöchter-Alberich, Siegfried 1.und 2.Akt – und dabei manches mit gewissem Augenzwinkern erzählt, ist doch Verdi immer bierernst selbst bei Sujets an der Grenze zum Humbug.
Der feinsinnige Tonkünstler war er angesichts des penetranten Humtatahumtata auch nicht, schon gar kein genialer Meister der Instrumentierung.
Volkmar Heller
Alle diese Behauptungen sind falsch!!
Weder ist der Triumphmarsch eine Parodie, noch schrieb Verdi „penetrante Humtatas.“ Das Problem sind Interpreten, die Verdi falsch auslegen und nichts von ihm verstehen. Liebe Leute, hört Muti!!! Er hat sich schon den Mund darüber fusselig geredet. Und fragt sich immer noch, warum Verdi unter allen Komponisten am meisten missbraucht wird.
Kirsten Liese
Wer missbraucht Verdi?
Die Humtata-Nummer Gefangenenchor aus Nabucco lädt doch geradezu ein, von Schlagersängern unterschiedlichster Qualität ins Publikum hineingedudelt zu werden. Dröhnende Musik mit hohlem Pathos als Parodie zu kreieren setzt Können voraus, etwa bei Schostakowitsch oder dem Einzug der Götter in Walhall.
Der Aida-Triumphmarsch ist einfach nur hohl und trivial, Produkt eines Handwerkers. Interpretenschelte ist nicht immer angebracht.
Volkmar Heller
Eine Vielzahl an Interpreten missbraucht Verdi an allen Ecken und Enden.
Die meisten Tenöre oktavieren Töne, um dem Publikum zu imponieren, wo es nicht angebracht ist, Dirigenten machen aus einer ernsten Musik à la Schubert ein Hm-Tata, das Verdi nie komponiert hat. Außerdem wird wild in Verdis Partituren herumgekürzt. Die Tempi stimmen meist oft auch nicht, weil die Leute gar nicht mehr wissen, was ursprünglich mal ein Andante oder Adagio bedeutete. Und viele Leute sind mittlerweile so daran gewohnt, dass sie es gar nicht mehr anders kennen. Mitunter ist das nur noch Zirkus, sagt der letzte geniale Verdi-Dirigent Muti, und da hat er völlig recht.
Der Triumphmarsch ist überhaupt nicht hohl. Er stellt musikalisch exakt das dar, was man damit verbindet und was in seinem Wort schon drinsteckt: den kriegerischen Triumph. Nicht zufällig wurde er so berühmt. Er wird auch noch in 100 Jahren berühmt sein, einfach, weil die Musik so genial ist.
Dass Sie diese Musik nicht mögen, ist Ihnen unbenommen. Aber das steht auf einem gänzlich anderen Blatt.
Kirsten Liese