Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung und der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.
von Daniel Janz
Die Musikgeschichte ist nicht nur eine Aneinanderreihung verschiedener Genies und ihrer Produkte. Allzu oft sind es Versuche und Fehlschläge, die vielen der heute hochgeachteten Meisterwerke vorausgehen. Wie diese Kolumne schon zeigte, waren auch Komponisten, die heute (zurecht oder nicht) den Rang unangefochtener Meister tragen, nicht vor solchen Fehltritten gefeit. Ein besonders tragischer Fall von Fehlleistung ist es aber, wenn der Nachwelt nichts anderes, als eben jenes eine Stück bekannt bleibt, das wegen seiner Machart völlig anders wirkt als ursprünglich intendiert. Ein solches Werk haben wir hier mit dem Triumphmarsch von Julius Fučik, auch bekannt als „Einzug der Gladiatoren“.
Das Jahr 1899 fiel in eine Zeit voller Neuerungen für Komponisten und Musiker. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatte sich die Ventiltechnik durchgesetzt, die die spielbaren Partien für alle Blechbläser schlagartig in schier endloser Weise erweiterte. Plötzlich war es nicht nur möglich, ohne Sonderbauformen in allen Tonarten zu spielen. Auch Halbtöne, schnelle Läufe, Glissandi und inzwischen sogar Mikrotöne wurden stufenlos spielbar. Bahnbrechende Werke mit vollem Blechbläserklang und immer ausgefalleneren Spieltechniken und Läufen waren die Folge.
Und so reihten sich die Komponisten einer nach dem anderen ein. Beethoven galt mit seiner neunten Sinfonie als einer der ersten, der die Ventiltechnik anwendete und ihm folgten zahlreiche weitere Tonsetzer wie Mendelssohn Bartholdy, Brahms, Bruckner, Wagner, Mahler, Strauss… die üblichen Verdächtigen eben. Und so dachte sich sicher auch der tschechische Komponist Julius Fučik, dass er ebenfalls mit diesen Namen genannt werden könnte und begann im Jahre 1899 während seines Militärkapellmeisterdienstes mit der Komposition eines Triumphmarsches.
Und was ist das auch für ein Marsch, den er hinterließ! Dieses gerade einmal 3 Minuten lange Stück ist eine wahre Paradekomposition für Bläser. Voller Fanfarenrufe, tuschartiger Einsätze, rasanter und stampfend feuriger Rhythmen vereint es alle Elemente, die einen wahren Siegeszug auszeichnen. Dazu verstand Fučik es, die neuen Spieltechniken bis zur Schmerzgrenze auszureizen, weshalb er dem Werk ursprünglich sogar den Namen „Grande Marche Chromatique“ verlieh. Das Ergebnis ist ein Ohrwurm voller Bombast. Kein Wunder, dass es bis heute zu den am meisten gespielten Stücken der Orchestermusik gehört.
Da enden aber auch schon die Lobpreisungen auf dieses durch und durch medienwirksame Stück. Denn was Fučik bei seinem exzessiven Einsatz von chromatischen Gängen, sich selbst überstürzenden Läufen und grellen Fanfarenrufen nicht bedachte ist, dass zum Erzielen eines gewissen Ausdrucks auch die Wahl der Mittel angemessen sein muss. Tatsächlich hatte Fučik – glaubt man den Quellen – auch einen gezielten Ausdruck im Kopf, nämlich den Einmarsch majestätischer Gladiatoren in eine Arena. Glanzvoll sollte dieser sein, prunkvoll und voller Kraft und Würde.
Was Fučik aber musikalisch ablieferte, ist eine maßlose Übertreibung all dessen. Denn in seiner Zielvorstellung, alle damals neuartigen Spieltechniken für Blechbläser einzusetzen, verlor er jegliches Maß für die Ästhetik. Noch lauter musste der Aufmarsch sein, noch greller die Klangeindrücke, noch schneller die Läufe, noch robuster stampfend der Rhythmus. Und was passiert, wenn man bestimmte Züge, Eigenschaften oder Ausdrücke überzeichnet? Sie wirken komisch, kehren sich ins Absurde um oder werden sogar lächerlich.
Und genau dieses Schicksal ereilte auch Fučik Triumphmarsch. Wird diese Komposition gespielt, dürften jedenfalls die wenigsten Zuhörer eine Parade martialischer Gladiatoren auf dem Weg in die Arena im Ohr haben. Ganz besonders, wenn er auch noch von amerikanischen Orchestern aufgeführt wird, die diesen Marsch traditionell noch schneller spielen. Die Folge ist eine wahre Parodie seiner selbst – Fučik Triumphmarsch klingt heute wie damals alles andere als triumphal. Was man ihm am besten zuschreiben kann ist ein Ausdruck von grenzenloser Selbstüberschätzung.
Dass von den über 400 Märschen, die Fučik komponierte, ausgerechnet dieser sein bekanntester wurde, macht ihn auch zu einem tragischen Vermächtnis. Denn durch die ihm innewohnende Selbstüberschätzung erfährt dieses Werk eine komplette Dekontextualisierung dessen, was der Komponist ursprünglich im Sinn hatte. Es ist nicht etwa als Eingangsmusik für feierliche Anlässe, pompöse Paraden oder Staatsakte bekannt. Sondern stattdessen seit Beginn des 20. Jahrhunderts als Zirkusmusik – also quasi von Anfang an als Aufmarschmusik für Clowns.
- Und genau im Sinne dieser Lächerlichkeit hat das Stück mittlerweile auch munter zahlreiche weitere Referenzen angesammelt, wie die Verwendung als Titelmelodie in „Rosen für den Staatsanwalt“, mit Einsätzen bei „La dolce vita“ oder „Madagascar 3“, in Videospielen der „World Wide Wrestling Federation“ oder durch Cover von DJ BoBo, Leon Russell und vielen mehr. Fast alles Verwendungen, die diesen Marsch als Trope einer karikativ überzeichneten Selbstparodie aufgreifen, wie auch dieses Beispiel:
Man muss Fučik anerkennen, dass er hier ein über seine Zeit hinaus wirksames Werk Orchestermusik geschaffen hat. In Sachen Ausdruck von majestätischer Kraft und Stärke ist er mit seiner Musik aber gänzlich am Ziel vorbeigeschossen. Sein Marsch ist im Gegensatz dazu zum Ausdruck von Maßlosigkeit, Lächerlichkeit und nicht ernst zu nehmender Frohnatur geworden, bei der es schwer vorstellbar ist, dass überhaupt jemals ein ernsthaft gemeinter Hintergrund vorherrschte. Und dementsprechend muss man fragen, ob es sich hierbei nicht um eine komplette Fehlleistung handelt. An die Musiken der zuvor genannten Komponisten reicht seine Komposition in Ausdruck, Feingefühl, Gehalt und zielsicherem Einsatz der Mittel jedenfalls nicht einmal ansatzweise heran.
Daniel Janz, 5. November 2021, für
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Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
Daniels Anti-Klassiker 35: Ludwig van Beethoven – „Für Elise“ (1810)