Ein dunkler Rausch der Sinne: Verdis „Il Trovatore“ in der Bayerischen Staatsoper

Giuseppe Verdi, IL TROVATORE  Nationaltheater München (Bayerische Staatsoper), 3. November 2021

Nicht weniger Applaus erhält Okka von der Damerau für ihre Interpretation der Zigeunerin Azucena. Sie ist eine beeindruckende Erscheinung, viel Frau in einem grauen Gewand mit Zylinder. Ihre samtig-warme und zugleich kraftvolle Stimme ist farben-und facettenreich. Von der Dameraus Gesang kann voller Liebe sein, dann wieder verzweifelt und rachsüchtig, getrieben von tiefsten Hassgefühlen. Azucena ist ein singender Vulkan!

Nationaltheater München (Bayerische Staatsoper), 3. November 2021

IL TROVATORE

Oper in vier Akten (acht Bildern)

Komponist Giuseppe Verdi. Libretto von Salvatore Cammarano, fertiggestellt von Leone Emanuele Bardare, nach „El trovador“ von Antonio García Gutiérrez. In italienischer Sprache · Mit Übertiteln in deutscher und englischer Sprache.

Foto: Okka von der Damerau, W. Hösl ©

von Dr. Petra Spelzhaus

Es lässt sich nicht mehr leugnen: Wir sind in der düsteren Jahreszeit angekommen. Obwohl noch früh am Abend, ist es stockfinster, als wir das Nationaltheater betreten. Die Kälte kriecht langsam, kaum merklich in unsere Knochen. Auf unseren Sitzplätzen angekommen erwartet uns das passende Bühnenbild, schwarz wie die Nacht, allenfalls gebrochen durch ein paar freundliche Dunkelanthrazit- und Metalltöne. Es rattern die Räder, die Drehbühne ist im Dauereinsatz. Kulisse ist ein Industriegelände, auf dem Zigeuner Lokomotiven herstellen. Sie wandelt sich mal zum Theater, immer wieder taucht ein abgeholztes und verbranntes Birkenwäldchen auf.

Uns werden Einblicke in die Schlafzimmer gewährt. Kinder werden geboren, die sich zu überdimensionierten Babys mit Hydrozephalus entwickeln. Schwertkämpfer mit Tiermasken duellieren sich. Ein Marionettenspieler lässt die Puppen tanzen. Weiß gewandete und bemützte Figuren, die an den Ku-Klux-Klan erinnern, schreiten durchs Bild. Soldaten sind bereit zum Kampf. Ein rotes Seil zieht sich als ebenso gefärbter Faden durch die Handlung, ist Nabelschnur, Symbol der engen, zum Teil pathologisch anmutenden Verbindung zwischen Azucena und Manrico, dann dient es zum Fesseln der zum Tode Verurteilten.

Die im Prolog auf dem Scheiterhaufen hingerichtete Mutter Azucenas ist mal halbnackt, mal spärlich bekleidet allgegenwärtig. Regisseur Olivier Py bringt mit seiner Inszenierung des Verdijahres 2013 ein riesiges Psychogramm auf die Bühne, in dem sich Gegenwart, Vergangenheit und mental-emotionale Prozesse bis zum furiosen Overkill zu Beginn des dritten Aktes steigern. In der Folge entspannt sich die Lage auf der Bühne. Wir landen zunehmend in der Realität, wo der Conte di Luna (vergeblich) auf die Vermählung mit Leonora wartet, und die anderen Protagonisten ihrem Tod entgegensehen. Dass bei Manricos berühmter Cabaletta „Di quella pira“ das überdimensionierte Kreuz nicht brennen will, tut der Stimmung keinen Abbruch.

Giuseppe Verdi zeigt in seinen Opern einen Hang zu komplizierten Handlungssträngen. Hier übertrifft der Maestro sich schier selbst. Kurz zusammengefasst ist die Geschichte des „Trovatore“ so düster wie das Bühnenbild. Manrico, der vermeintliche Zigeunersohn, und der Conte di Luna sind Brüder, wissen aber nichts davon und kämpfen beide in befeindeten Armeen. Der Vater der beiden ließ in grauer Vorzeit die Mutter der Zigeunerin Azucena auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Die Tochter schwor Rache, entführte seinen Sohn, um ihn ihrerseits zu verbrennen. Stattdessen starb ihr eigener Sohn in den Flammen. An seiner Stelle zog sie Manrico groß. Troubadour Manrico und der Conte lieben beide Leonora, die jedoch nur die Liebe des singenden Exoten erwidert. Am Ende stirbt Leonora den Gifttod, während der Conte Manrico hinrichten lässt. Azucena ruft ihm zu, dass er seinen Bruder getötet hat. Als psychotherapeutisch interessierte Zuschauerin frage ich mich, ob eine Familienaufstellung nach Hellinger den Fortgang der Katastrophe verhindert hätte.

Die Bayerische Staatsoper präsentiert in dieser Saison im „Trovatore“ zwei neue Stimmen: Die Sopranistin Saioa Hernández, die 2016 zur besten weiblichen Stimme Spaniens gewählt wurde, und den italienischen Tenor Francesco Meli. Beide sind auf den großen Opernbühnen dieser Welt zuhause.

Saioa Hernández interpretiert Leonora stimmgewaltig mit dunklem, warmem Timbre. Ihr Gesang ist voluminös, was gelegentlich auf Kosten der Textverständlichkeit geht. Die Arie „D’amor sull’ali rosee“ interpretiert sie leidenschaftlich-leidend, geradezu wehklagend in der Höhe, was das Publikum mit kräftigem Szenenapplaus honoriert.

Francesco Melis Manrico bringt alles mit, was einen jugendlichen Heldentenor ausmacht. Er singt kraftvoll mit viel Schmelz in der Höhe, dann wieder gefühlvoll und zart, beweglich in der Dynamik. Er ist eine durch und durch männliche Erscheinung, ein tapferer Krieger, der dann allerdings wieder – ganz Bubi – unter der Fuchtel seiner Ziehmutter Azucena steht. Einen kleinen Frosch im Hals singt er gekonnt weg.

George Petean, (c) W. Hösl

George Petean liefert eine bärenstarke Vorstellung als Conte di Luna ab. Er stellt eindrucksvoll unter Beweis, warum er zu den bedeutendsten Verdi-Baritonen zählt. Seine Stimme zeigt keinerlei Schwäche, sie gleitet geschmeidig durch die Register, das Vibrato ist angenehm. Petean nimmt man sowohl den leidenschaftlich Liebenden als auch den rasenden Eifersüchtigen und brutalen Rächer ab. Er wird zurecht frenetisch vom Publikum gefeiert.

Nicht weniger Applaus erhält Okka von der Damerau für ihre Interpretation der Zigeunerin Azucena. Sie ist eine beeindruckende Erscheinung, viel Frau in einem grauen Gewand mit Zylinder. Ihre samtig-warme und zugleich kraftvolle Stimme ist farben-und facettenreich. Von der Dameraus Gesang kann voller Liebe sein, dann wieder verzweifelt und rachsüchtig, getrieben von tiefsten Hassgefühlen. Azucena ist ein singender Vulkan!

Bass Bálint Szabó als Ferrando, Emily Pogorelc als Ines und Evan LeRoy Johnson als Ruiz ergänzen das überzeugende Solistenensemble. Der Chor agiert wie gewohnt erstklassig mit großartigem Sound und nuancierten Darbietungen.

Getragen werden die Sänger vom bestens aufgelegten Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampa. Das Orchester spielt schwungvoll mit ausgefeilter Dynamik. Es bildet einen mal zarten, dann satten Klangteppich, optimal perfekt angepasst an den Gesang, ohne ihn zu überdecken.

Selten habe ich ein derart ausgeglichenes Höchstniveau unter Hauptdarstellern erlebt. Die Duette und Terzette werden hochenergetisch dargeboten mit absolut gleichwertigen Protagonisten. Sie verleiten das Publikum wiederholt zu begeistertem Zwischenapplaus und Bravo-Rufen. Bemühen wir doch mal wieder die häufig zitierte Aussage Carusos: Die Besetzung des „Trovatore“ sei einfach, man bräuchte nur die vier besten Stimmen der Welt. Insofern hat es sich die Bayerische Staatsoper recht einfach gemacht, indem sie vier der besten Sänger engagierte. Als Zuschauer erlebt man dank überragender Musik und einer furiosen Inszenierung einen dunklen Rausch der Sinne.

Donnernder Applaus, der Sound stampfender Füße und Bravi überströmen alle Hauptdarsteller sowie den musikalischen Leiter. Und das völlig zu Recht.

Dr. Petra Spelzhaus, 4. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung Francesco Ivan Ciampa
Inszenierung Olivier Py
Bühne und Kostüme Pierre-André Weitz
Licht Bertrand Killy
Chor Stellario Fagone
Conte di Luna George Petean
Leonora Saioa Hernández
Azucena Okka von der Damerau
Manrico Francesco Meli
Ferrando Bálint Szabó
Ines Emily Pogorelc
Ruiz Evan LeRoy Johnson
Ein Zigeuner Roman Chabaranok
Ein Bote Joel Williams
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper

Meine Lieblingsoper, Teil 2:“Il trovatore“ („Der Troubadour“) von Giuseppe Verdi klassik-begeistert.de

Giuseppe Verdi, Il Trovatore, Teatro alla Scala, Milano, 18. Februar 2020

Giuseppe Verdi, Il trovatore, Wiener Staatsoper, 25. September 2019

Anna Netrebko, George Petean, Yusif Eyvazov, Luciana D’Intino, Jongmin Park, Marco Armiliato, Giuseppe Verdi, Il Trovatore, Wiener Staatsoper

Ein Gedanke zu „Giuseppe Verdi, IL TROVATORE
Nationaltheater München (Bayerische Staatsoper), 3. November 2021“

  1. Gute Verdi-Baritone sind selten, sagt man. Vermutlich stimmt das. Deshalb sollte man versuchen, so oft wie nur möglich dabei zu sein, wenn George Petean zur Stelle ist.

    Jürgen Pathy

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