Daniels vergessene Klassiker 45: Cécile Chaminade zeigt, wie falsch es ist, Frauen das Komponieren zu untersagen

Daniels vergessene Klassiker 45: Cécile Chaminade  klassik-begeistert.de, 28. Juli 2025

Foto: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/

Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.

von Daniel Janz

Dass es Frauen in der Welt der Orchestermusik schwer hatten, ist bis heute ein nicht gänzlich aufgearbeiteter Fakt. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dauerte der Kampf um Gleichberechtigung und Anteilnahme beider Geschlechter am Konzert- und Musikwesen. Ein Kampf, der auf vielen mutigen und innovativen Frauen fußte, die heute vielfach vergessen sind. Eine solche Frau, die ihrer Zeit voraus war, war Cécile Chaminade, um der sich der heutige Beitrag in dieser Kolumne über vergessene Klassiker dreht.
Cécile Chaminade ist eine jener vergessenen Komponistinnen, die heute – wenn überhaupt – nur noch im Rahmen von Sonderkonzerten Gehör finden. Dabei hat die zwischen 1857 und 1944 lebende französische Komponistin ein so reiches Oeuvre hinterlassen, dass man eines ihrer über 400 Werke (darunter alleine 200 für Klavier) schon einmal gehört haben könnte. Schon im Alter von 8 Jahren beeindruckte sie Georges Bizet so sehr, dass er sie als „mein kleiner Mozart“ bezeichnete. Und zu Lebzeiten war sie sehr beliebt und auch durch internationale Konzertreisen finanziell so erfolgreich, dass sie ihren Lebensunterhalt alleine über ihre Musik bestreiten konnte.

Es verwundert also, dass von ihr heute so gut wie nie etwas im Konzertsaal gespielt wird. Ein Missstand, der frauenfeindliche Vorurteile am Leben hält, die sie bereits zu ihrer Lebzeit begleitet haben dürften. Denn bereits Platon hatte behauptet, Frauen würden die Fähigkeiten fehlen, geistige Tätigkeiten (wie Musik) ernsthaft zu betreiben. Und Kant postulierte, es würde „von ihrer Weiblichkeit hinwegnehmen“ und sei daher obszön, wenn Frauen sich „ernsten Genres“ widmeten, was praktisch alle Orchestermusik umfasste.

Es zählten also nicht Kunstfreude oder technische Raffiniertheit, sondern die sexistisch motivierte Zensur von Musik, deren Komplexität nur dem männlichen „Genie“ zugeschrieben wurde. Auch deshalb sind Werke, wie das Konzertstück für Klavier und Orchester op. 40 von Cécile Chaminade selten zu findende Juwelen. Die Ansicht, welche Musik sich für Frauen gehörte, führte fast automatisch zu einer solch tiefgreifenden Ablehnung, dass nur wenige Frauen sich solcher Musik widmeten. Und die wenigen Werke, die es gibt, sind bis heute oft nur Spezialisten bekannt.

Dabei zeigt diese wunderbare Komposition, dass es für geniale Musik gar keine Männlichkeit benötigt. Alleine der Einsatz der Klangfarben beim Aufbau des ersten Themas zu den flimmernden Streichern, aber auch die Verwendung von Kontrapunkten zum späteren Spiel des Klaviers, sind auf einem Niveau, das sonst nur den Besten der Besten zugeschrieben wird. Dazu ist ihre Komposition so pointiert mit Schlagzeugeffekten gewürzt, dass sie das Gefühl vermittelt, in eine eigene Welt hineingesogen zu werden.

In einer Dauer von 15 Minuten eröffnet diese Komposition ein schillerndes Spiel der Instrumente, die erst dem weitestgehend solistisch spielenden Klavier eine goldene Basis erschaffen und es dann mit warmen Klängen umschmiegen, bevor sie es in einen nahezu natürlichen Fluss des ersten Themas hineinperlen lassen. Als sich nach dieser Exposition noch eine Ladung Pathos in die Musik als Nebenthema ergießt, bevor das Klavier in eine von Streichern getragene Solokadenz einleitet, ist die Mischung perfekt.

Und das ist noch nicht das Ende von Chaminades geschickter Auswahl der Stilmittel. Denn nach diesen beiden Formteilen folgt noch ein dritter, zunächst bewegter Abschnitt, in dem sie das Klavier und das Holz umeinander tänzeln lässt, bevor sie in einer dramatischen Wendung mit vollem Blech und Schlagzeug wieder zum Hauptthema zurückkehrt. Noch einmal begegnet einem hier das farbenfrohe Spiel des ersten Themas, bevor die Musik in einem schillernden Höhepunkt zu ihrem leuchtenden Ende findet. Selten können so wenige Minuten Musik so viel erreichen!

Diese kleine Komposition zeigt nicht nur deutlich, was für eine begnadete Komponistin Cécile Chaminade gewesen sein muss. Sie zeigt auch einen an Perfektion grenzenden Umgang mit dem Klavier. Denn so, wie sich dieses Instrument und das Orchester in ihrer Komposition komplettieren, erlebt man es selbst in Werken der so genannten „großen Meister“ nur selten.

Es ist eine Ungerechtigkeit der Geschichte, dass ihr nur aufgrund ihres Geschlechts eine größere Teilhabe als Orchesterkomponistin verwährt worden ist und bis heute verwehrt bleibt. Für mich ist die Musik von Cécile Chaminade eine Entdeckung, die in jeden Konzertsaal gehört. Und dass von ihr wegen ihres Geschlechts nur wenige Werke für Orchester existieren, ist eine bis heute reichende Tragödie, denn ihre Musik hätte das große Publikum verdient! Vielleicht gelingt es aber immerhin, über dieses Werk eine Brücke zu weiteren, ebenfalls genialen Kompositionen zu bauen, die von ihr und anderen Frauen stammen. Wir alle würden dadurch gewinnen.

Daniel Janz, 30. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker, Komponist, Stipendiat, studiert Musikwissenschaft im Master:
Orchestermusik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich zunächst für ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zur Verbindung von Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für klassik-begeistert. 2020 erregte er zusätzliches Aufsehen durch seine Kolumne „Daniels Anti-Klassiker“. Mit Fokus auf den Raum Köln/Düsseldorf kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend geht er der Frage nach, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

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